Skip to main content

150 Jahre Widerstand gegen den §218

"Antisexistischen Aktion München" (Nachdruck RHZ 1 2022) (Gastbeitrag)
Einleitung

Es ist erschreckend, wie wenig sich doch getan hat über die Jahre“, sagt eine Besucherin der Ausstellung „Der §218 StGB. Kollektiver Widerstand - damals und heute“, die im Dezember 2021 von der Antisexistischen Aktion München (asam) gemeinsam mit der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München (firm) kuratiert wurde. Die Ausstellung zeigte, wie Münchner Frauenrechtler*innen und Feminist*innen in den letzten 150 Jahren für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung kämpften. Dabei zieht sich auch das Thema Polizeigewalt wie ein roter Faden durch die vielen Jahre der Proteste.

Ein Blick in die Ausstellung „Der §218 StGB. Kollektiver Widerstand - damals und heute“

150 Jahre Münchner Widerstand

Den Einstieg zur Ausstellung machte ein von der Decke hängendes, beidseitig beklebtes Schild. Auf der einen Seite war der Wortlaut des Paragrafen 218 StGB zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahr 1871 zu lesen, auf der anderen war er in seiner heutigen Form zu sehen. Die Organisator*innen der Ausstellung machten damit gleich zu Beginn deutlich, dass sich die Situation ungewollt Schwangerer, trotz der teils vehement geführten Kämpfe, rechtlich nicht maßgeblich verbessert hat. So haben sich zwar Formulierungen geändert, der Paragraf 218 StGB wurde oberflächlich reformiert, doch die Rahmenbedingungen sind weitestgehend dem kaiserzeitlichen Ursprung gleich geblieben: Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland rechtswidrig und werden nur unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafrechtlich verfolgt.

„Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine!“

Es ist dieser Zustand, gegen den Aktivist*innen seit 150 Jahren auf die Straße gehen oder sich in Parlamenten und vor Gericht gegen die Kriminalisierung stellen müssen. Neben Einzelpersonen, wie der in der Kaiserzeit in München praktizierenden Ärztin Hope Bridges Adams Lehmann, die sich gegen ihre strafrechtliche Verfolgung erfolgreich wehrte, haben Feminist*innen sich durchgehend kollektiv für reproduktive Rechte eingesetzt.

Dabei zeichnen sich phasenweise Höhepunkte dieses kollektiven Kampfes gegen die Kriminalisierung in der Münchner Räterepublik, der Weimarer Zeit und in den Frauenbewegungen der 1970er Jahre ab. In der Ausstellung wurde dieser jahrzehntelange Protest mit alten Plakaten, Flyern und Bildern erlebbar: Pappschilder mit der Parole „Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine“ erinnerten an einen Tag im Jahr 1971, als rund 3000 Münchner*innen für die Streichung des §218 StGB auf die Straße gingen. Auch in den 2000er Jahren bleiben es immer wieder antifaschistische und feministische Gruppen beziehungsweise. Bündnisse, die unermüdlich zu Protesten gegen sogenannte „1000-Kreuze-Märsche“ und andere Aktionen radikaler Abtreibungsgegner*innen in München mobilisieren.

Ein roter Faden der Repression

Der Blick in die lokale Geschichte des Kampfes für reproduktive Rechte zeigt vor allem eins: Feminist*innen, die in München gegen den Abtreibungsparagrafen und selbsternannte „Lebensschützer*innen“ protestieren, brauchen ein dickes Fell. Denn das Thema Polizeigewalt – auch das wurde in der Ausstellung deutlich – zieht sich durch die vielen Jahre der Proteste und verliert auch heute nicht an Aktualität.

Dies zeigt sich nicht nur bei größeren Demonstrationen und Kundgebungen, wie dem seit 2021 in München - und in Zukunft wohl jährlich stattfindenden - sogenannten „Marsch fürs Leben“ radikaler Abtreibungsgegner*innen. Sondern auch bei dem Widerstand gegen die in München monatlich statt ndenden christlich-fundamentalistischen Gebetsmärsche, den sogenannten „Vigilien“, vor Kliniken und Beratungsstellen. Mit ihrem Protest gegen die Gehsteigbelästigung wollen Aktivist*innen sicherstellen, dass Schwangeren der Zugang zu medizinischer Versorgung und der rechtlich verpflichtenden Beratung erhalten bleibt. Während es hierbei immer wieder zu physischer und psychischer Gewalt gegen die Feminist*innen durch die Staatsgewalt kommt, werden die Abtreibungsgegner*innen in ihrem Versuch Schwangere in der Ausübung ihrer Rechte zu stören durch ein unverhältnismäßiges Polizeiaufgebot begleitet und geschützt.

Die Erfahrungsberichte der feministischen Aktivist*innen zeigen, dass die polizeiliche Repression immer wieder von sexistischen Kommentaren über fadenscheinig begründete Festnahmen bis hin zu Kopfverletzungen durch massiven Schlagstockeinsatz reichen. Die Betroffenen berichten, wie die fast ausschließlich männlich besetzten bayerischen USK-Einheiten versuchten, die Feminist*innen mit konkreten Drohungen – wie dem Wunsch nach Flammenwerfereinsatz – einzuschüchtern. Eben diese Einheiten sorgten vor Kurzem mit ihren sexistischen und antisemitischen Chatgruppen für Schlagzeilen. Diese Erfahrungen zeigen, dass misogyne Ressentiments bei den Beamt*innen nicht nur in den Köpfen vorherrschen, sondern sich in expliziten Handlungen gegen Menschen, die sich für körperliche Selbstbestimmung einsetzen, niederschlagen.

Dass es sich dabei nicht nur um antifeministische Einzelüberzeugungen in den Reihen des Polizeiapparats handelt, bleibt zu vermuten. Bisher kann und wird das Problem jedoch nur individuell angegangen, indem Einzelne von Repression Betroffene solidarisch unterstützt werden. Es zeigt sich eine Leerstelle in Problemanalyse und widerständiger Praxis in München. Was es in der bayerischen Landeshauptstadt und darüber hinaus in Zukunft braucht, ist eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema geschlechterspezi scher Polizeigewalt, welche dieses als ein strukturelles Problem behandelt.

Damals, heute und morgen – Ein Kampf für Selbstbestimmung

In der Ausstellung konnten Besucher*in- nen mittels interaktiver Kommunikations- formen in Austausch darüber kommen, was es braucht, um den Paragrafen 218 StGB endlich Geschichte zu machen. Auch in Zukunft werden aktivistische Räume und Arbeiten wie die des feministischen Kollektivs Antisexistische Aktion München und der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus, die sich mit extrem rechten Aktivitäten in der bayerischen Landeshauptstadt beschäftigt, ein wichtiger Beitrag bleiben. Denn Ausstellungen wie diese, welche die eigene Geschichte widerständiger Praxis aufbereiten, sind ein wichtiger Schritt in der Sichtbarmachung struktureller Dimensionen der Repression. Einnotwendiger Schritt der täglichen Selbstbehauptung gegenüber den gegenwärtigen patriarchalen Zuständen, auf dem Weg zu einer feministischen Wirklichkeit der selbstverständlichen Selbstbestimmung über den eigenen Körper.