Der Mord an Walter Rathenau
Vor einhundert Jahren wurde Walter Rathenau von Rechtsterroristen in Berlin ermordet. Das nationalistische Milieu aus dem die Mörder kamen, steht bei heutigen extremen Rechten hoch im Kurs.
Der 22. Juni 1922 war ein Sonnabend. Es ist regnerisch in Berlin, als der Außenminister der jungen Weimarer Republik von seinem Chauffeur gegen 10.30 Uhr im noblen Berliner Villenviertel Grunewald abgeholt wird, um ins Außenministerium gefahren zu werden. Polizeilichen Personenschutz gibt es für Rathenau nicht. Um seine Angehörigen nicht in Angst zu versetzen, habe er auf ihm zustehenden Schutz verzichtet. Rathenaus Wagen wird von einem Mercedes verfolgt. In ihm sitzen die beiden jungen Weltkriegsoffiziere Erwin Fischer und Hermann Kern, Mitglieder der „Organisation Consul“ (OC), die aus dem Freikorps Ehrhardt hervorging, und damals die wohl wichtigste rechte Terrorstruktur im Dreieck zwischen rechtsradikalen Wehrverbänden, Freikorps und Schwarzer Reichswehr war. Hinter ihnen steht ein ganzes Netzwerk rechter, antirepublikanischer Strukturen, die zwei Jahre zuvor für den gescheiterten Kapp-Putsch verantwortlich waren. Um 10.50 Uhr feuert Erwin Kern mit einer Maschinenpistole auf Rathenau, Hermann Fischer wirft eine Handgranate in dessen Auto.
Das Attentat ist nicht die erste rechtsterroristische Anschlag in der frühen Weimarer Republik. Die sich nach dem 1. Weltkrieg neu formierende extreme Rechte im Nachkriegsdeutschland lässt ihrem antisemitisch gefärbten Hass auf die republikanischen „Erfüllungspolitiker“ wie Matthias Erzberger (Zentrumspartei), Philipp Scheidemann (SPD) und Walter Rathenau (DDP) nicht nur publizistisch freien Lauf. Gemein ist diesen, dass sie offen für die Republik und die Demokratie in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg eintreten, und dafür bereit sind, die harten Bedingungen des Versailler Vertrages zu akzeptieren, der Deutschlands Wiederaufstieg zur Großmacht in Europa verhindern soll und mit erheblichen Reparationszahlungen an Frankreich verbunden ist.
Gewaltaufrufe gegen Demokraten und Vertreter der Arbeiterbewegung aus den nationalkonservativen Verbänden und den Freikorps sind damals an der Tagesordnung. Auf die genannten Politiker werden Anschläge verübt, Erzberger stirbt, der Anschlag auf Scheidemann scheitert knapp.
Walter Rathenau wird von der völkisch-nationalistischen Presse der Weimarer Republik mit besonderem Hass übergossen. Als jüdischer kosmopolitischer Intellektueller, AEG-Chef und Berater des preußischen Kriegsministeriums bewegt sich Rathenau einerseits im Milieu der wilhelminischen Elite. Andererseits befasst er sich mit Fragen von Sozialreformen, Methoden der Planwirtschaft und mit Kultur und Kunst. Den zeitgenössischen Nationalisten der extremen Rechten gilt er als Teil der „Novemberverbrecher“ und mitverantwortlich für den angeblichen „Dolchstoß“, der „Verräter in der Heimat“, der die vorgeblich im Krieg unbesiegte deutsche Armee getroffen habe.
Nach dem Mord an Rathenau flüchten die Täter als Studenten getarnt durch Deutschland, und suchen Zuflucht auf der Burg Saaleck, zwischen Halle (Saale) und Naumburg, wo sie einen Monat später festgenommen werden sollen. Bei der Festnahme kommt es zum Schusswechsel. Einer der Täter wird getötet. Der andere begeht Suizid.
Als Reaktion auf den Mord an Rathenau tritt das Republikschutzgesetz in Kraft. Es soll die Verfolgung politisch motivierter Gewalttaten erleichtern. Doch die juristische und politische Aufarbeitung des Mordes an Rathenau, und die Verfolgung der rechtsterroristischen Hintergrundnetzwerke bleibt stecken. Die Strukturen der rechten Freikorps, der schwarzen Reichswehr und der „Organisation Consul“ bleiben weitgehend unangetastet. Es fehlt in der Weimarer Demokratie an Durchsetzungskraft, die reaktionären Wehrverbände und ihre politischen Sprachrohre in den Parlamenten dauerhaft in die Schranken zu weisen. Die wirklich überzeugten und verteidigungsbereiten Demokraten in der Weimarer Republik stehen der Machtkonzentration der alten und neuen antidemokratischen Eliten aus Adel, Armee und Industrie gegenüber. Es ist der militante Antikommunismus und die Furcht vor der Macht der Arbeiterbewegung, der die Weimarer Reaktion zusammenhält.
Emil Julius Gumbel verdanken wir ein umfangreiches Wissen über die Geschichte und die Kontexte des Rechtsterrorismus in der Weimarer Republik. Seine Arbeit über rechte Fememorde und die Gewaltexzesse der Freikorps gibt einen Eindruck von den Ausmaßen rechten Terrors in der Weimarer Republik.
Eine Beschäftigung mit dem Rechtsterror der Weimarer Zeit ist schon deshalb sinnvoll, weil nicht wenige seiner Motive, Feindbilder und Gewaltverherrlichungen sowohl im Terror der Nationalsozialisten radikalisiert werden, aber sich auch sich in den Feindbestimmungen des heutigen Rechtsterrorismus wiederfinden. Namentlich der Antisemitismus stellt eine Motiv-Kontinuität dar. Rechter Terror in Deutschland. Er reicht weiter zurück als bis zum NSU, den „Deutschen Aktionsgruppen“ eines Manfred Roeder oder der „Wehrsportgruppe Hoffmann“.
Gedenken an die Rathenau Mörder in der Gegenwart
Seit den 1990er Jahren fanden in und um Saaleck Gedenkveranstaltungen der extremen Rechten für die Rathenau-Mörder Fischer und Kern statt. Diese konzentrierten sich lange Zeit auf die Grabstätte der beiden Täter, die frei zugänglich auf dem Friedhof der evangelischen Kirchengemeinde von Saaleck waren. NPD, Junge Nationaldemokraten und andere extrem rechte Gruppen nutzten die Gräber als Pilgerstätte für ihr Gedenken an die Mörder. Sie stellen sich damit bewusst in die Tradition des Rechtsterrorismus der Weimarer Republik, dessen Geschichte jedoch vielen Antifaschist_innen nicht präsent ist. Vor einigen Jahren ließ die Kirchengemeinde die Gräber von Erwin Fischer und Hermann Kern aufheben und einebnen. Doch die damit verbundene Hoffnung, die rechten Besucher würden daraufhin ausbleiben, erfüllte sich nicht. Bis heute gibt es rund um den Todestag Rathenaus Bemühungen, seiner Mörder zu gedenken. Die regionale Öffentlichkeit nimmt davon nur am Rande Notiz.
Wer die politische Ästhetik der selbsternannten intellektuellen Rechten im Umfeld von Schnellroda beobachtet, bemerkt die ganz offenkundigen Bezugnahme auf die prä-faschistische extreme Rechte der Weimarer Republik. Das Milieu aus dem damals ein Teil der Freikorps-Kämpfer rekrutiert wurde, Burschenschafter und rechte Jugendverbände, existiert, wenn auch in viel kleinerem Umfang fort. Anklänge an die toxisch-männliche Freikorps Romantik finden sich in der Selbstdarstellung der "Identitären" ebenso, wie bei extrem rechten Burschenschaften. So ist es nicht Zufall, sondern Absicht, dass Götz Kubitschek und Erik Lehnert als Protagonisten des „Institut für Staatspolitik“ (IfS) etwa einen Autor wie Ernst von Salomon zur eingehenden Lektüre empfehlen. Gewiss, Ernst von Salomon wird hier als Schriftsteller gewürdigt und in den rechten Lektürekanon eingeordnet. Doch Ernst von Salomon gehörte zum Umfeld der Rathenau-Mörder und machte zeitlebens aus der nationalistischen Gesinnung kein Hehl. Die literarische Beschäftigung mit dem Erbe der rechten Freikorpstradition wird in Schnellroda als Schöngeistigkeit verbrämt. Doch die Botschaft dürfte bei den jungen rechten gesinnungstreuen Rezipienten der Videos ankommen: dies ist Teil der traditionsbildenden Ideengeschichte der Rechten heute in Deutschland. Oder anders ausgedrückt: die Ästhetisierung präfaschistischer Gewalt ist offenbar hip in extrem rechten Kreisen.
Literatur:
Martin Sabrow
Die verdrängte Verschwörung: Der Rathenau Mord und die deutsche Gegenrevolution. Frankfurt/M 1999
Markus Josef Klein
Ernst von Salomon: Revolutionär ohne Utopie. Aschau 2002
Erwin Könnemann
Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände. Ihre Funktion beim Aufbau eines neuen imperialistischen Miltärsystems (November 1918 bis 1920). Berlin, Ost 1971
Kurt Gossweisler
Kapital, Reichswehr und NSDAP. Berlin Ost 1981
Klaus Theweleit
Männerphantasien, Bd. 2. Berlin 2019