Ermittlungen gegen „Indymedia linksunten“ endgültig eingestellt
Fast fünf Jahre nach dem Verbot der linksradikalen Nachrichtenplattform „Indymedia linksunten“ hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe das Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung am 12. Juli 2022 nach Paragraf 170 Abs. 2 StPO endgültig eingestellt. Elf Strafverfahren musste die Staatsanwaltschaft bereits 2019 einstellen und sämtliche beschlagnahmten Geräte und Gelder wieder herausgegeben.
„linksunten.indymedia.org“ wurde im Jahr 2009 als eigenständiges Independent Media Center innerhalb des globalen Non-Profit-Indymedia-Netzwerkes gegründet. Das nach dem Prinzip des „Open-Postings“ funktionierende unabhängige Nachrichtenportal wurde bald zu einer der wichtigsten Informations- und Kommunikationsplattformen für die linke Presse-und Öffentlichkeitsarbeit, antifaschistische Recherche und allgemein linke Ideen und Debatten in Deutschland.
Politisch motiviertes Verfahren
Mit der Einstellung endete ein jahrelanger Rechtsstreit, der im August 2017 seinen Anfang nahm. Am 14. August 2017 wurde die Nachrichtenplattform kurz nach den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg vom Bundesinnenministerium wegen angeblicher verfassungsfeindlicher Bestrebungen kurzerhand nach dem Vereinsgesetz verboten. Am 25. August 2017 - kurz vor der Bundestagswahl - hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) das Verbot bekannt gemacht und die Internetplattform als „Vereinigung“ deklariert. Damit konnte das Vereinsrecht angewendet werden, das im Vergleich zum Telemediengesetz deutlich weniger Anforderungen für ein Verbot vorsieht.
Am 25. August 2017 wurden daraufhin in Freiburg die Privatwohnungen von fünf Personen sowie ein autonomes Kulturzentrum von einem großen Polizeiaufgebot durchsucht und dabei zahlreiche Speichermedien, Computer, Schriftstücke, aber auch Bücher, private Notizen, Flyer und andere Gegenstände sichergestellt. Den Betroffenen wurde vorgeworfen, die mutmaßlichen Betreiber_innen der Internetseite zu sein. Sie sollten damit für die Inhalte von Beiträgen verantwortlich gemacht werden, die auf der „Open Posting“-Plattform zu militanten Aktionen gegen den G20 Gipfel aufgerufen hatten. In der Pressemitteilung zum Verbot heißt es: „Das Verbot des Vereins mit der linksextremistischen Plattform ‚linksunten.indymedia“ setzt ein deutliches Zeichen. Wir gehen konsequent gegen linksextremistische Hetze im Internet vor. (...) Der Weiterbetrieb der Seite ist ab sofort eine Straftat. Wir werden alles daran setzen, dass die Maßnahmen der Strafverfolgung zeitnah und effektiv greifen. Für radikale, gewaltbereite Extremisten – gleich welcher Ausrichtung – ist kein Platz in unserer Gesellschaft!“.1
„Spiegel Online“ verbreitete die Nachricht als erstes und bezeichnete das Verbot als „schweren Schlag gegen die linksextreme Szene“ in Deutschland.2 Genau wie später das Innenministerium zitierte „Spiegel Online“ aus Bekennerschreiben zu militanten Anschlägen, die auf „Indymedia linksunten“ veröffentlicht worden waren – und die als Begründung der Verbotsverfügung dienten.
Um die hohen Hürden zum Schutz der Pressefreiheit zu umgehen, konstruierten die Strafverfolgungsorgane einen „Verein“, um die Nachrichtenplattform mittels eines Vereinsverbotes auszuschalten. Bereits im Juni 2018 erlitten die Repressionsorgane eine erste Schlappe, als der Verwaltungsgerichtshof Karlsruhe die Beschlagnahmungen als unrechtmäßig beurteilte. Das Ermittlungsverfahren war zunächst im Juli 2019 vorläufig eingestellt worden, damit jedoch lediglich unterbrochen. Offizieller Grund war die eingereichte Klage gegen die Zensur vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht im Januar 2020 die Klage gegen das Verbot der Nachrichtenplattform abgewiesen hatte, nahm die Karlsruher Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nach Paragraf 129 StGB wieder auf. Allerdings konnte diese keine Beweise finden und sah daher keinen genügenden Anlass zur Erhebung einer öffentlichen Klage. Bis heute konnte offenbar keiner der bei den Razzien im August 2017 beschlagnahmten Datenträger durch die Behörden entschlüsselt werden.
„Rechtsschutzfalle“
2020 lehnte das Bundesverwaltungsgericht aus formalen Gründen eine Anfechtung eines solchen Verbots ab, dazu sei „regelmäßig nur die Vereinigung“ befugt. Das Verbot vor dem Bundesverwaltungsgericht angreifen konnten nur die Betroffenen, welche die Verbotsverfügung erhalten hatten - die Mitgliedschaft in dem behaupteten Verein aber naheliegender weise nicht bestätigen wollten. Juristisch wird diese Situation als „Rechtsschutzfalle“ bezeichnet.
Das BVerwG befand immerhin, dass sich die Kläger_innen auf die im Grundgesetz verankerte „Allgemeine Handlungsfreiheit“ berufen könnten. In der mündlichen Verhandlung wurde nicht darüber entschieden, ob das Vereinsverbot überhaupt rechtmäßig war. Eine Verfassungsbeschwerde ist noch anhängig.
Die Rolle von AfD & VS
Bezeichnend war die zentrale Rolle der AfD, nach deren Strafanzeige die Staatsanwaltschaft tätig wurde. Das Paragraf 129-Verfahren ging auf eine Strafanzeige von Robin Classen zurück – ein ehemaliger Burschenschaftler der „Germania Halle zu Mainz“, danach aktiv bei der „German Defence League“ und inzwischen im Landesvorstand der AfD Rheinland-Pfalz. Die AfD hatte im Nachgang zum „Indymedia linksunten“-Verbot im Sommer 2020 nachgelegt und einen achtseitigen Antrag (Verein Indymedia verbieten, Drucksache 19/20682) für das Verbot von sämtlichen Indymedia-Strukturen in den Bundestag eingebracht, der allerdings keine Mehrheit fand.
Dennoch wird seit 2020 auch „de.indymedia.org“ - offiziell - als Verdachtsfall im Verfassungsschutzbericht des BfV geführt. Inoffiziell ist er das vermutlich mindestens seit Mitte der 2000er Jahre. Zumindest nahm der BfV-Spitzel Reinhold K. in diesem Zeitraum an mehreren bundesweiten Treffen von „de.indymedia.org“ teil.3 Die Beteiligung des Amtes für Verfassungsschutz an dem erwirkten Verbot, auf dessen angeblichen Erkenntnissen das Verfahren beruhte, ist hierbei ein Skandal im Skandal. Als Begründung wurden vom Bundesinnenministerium fast ausschließlich nachrichtendienstliche Erkenntnisse aufgeführt, das heißt Behördenzeugnisse des Verfassungsschutzes und Berichte des Verfassungsschutz-Spitzels.
Zur „Sicherung, Aufbereitung und Entschlüsselung der IT-Asservate“ wurde unter Federführung des LKA Baden-Württemberg eigens eine Task Force eingerichtet, an der auch Mitarbeiter des damals noch von Hans-Georg Maaßen geführten "Bundesamts für Verfassungsschutz" und der Bundespolizei beteiligt waren. Diese aktive Einbindung des Inlandsgeheimdienstes läuft dem staatlichen Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten zuwider.
Angriff auf die Pressefreiheit
„Reporter ohne Grenzen“ kritisierten das Verbot als rechtsstaatlich äußerst fragwürdig, da mit dem Verbot eines journalistischen Online-Portals durch die Hintertür des Vereinsrechts die rechtlich gebotene Abwägung mit dem Grundrecht auf Pressefreiheit umgangen werde.4 Auch Rechtsanwältin Angela Furmaniak, die zwei der Betroffenen im Verbotsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vertritt, bilanzierte dazu im August 2019 bei Netzpolitik: „Dass mit solchen Angriffen in Zeiten des zunehmenden Rechtsrucks der Gesellschaft und des Erstarkens populistischer und autoritärer Tendenzen zu rechnen ist, liegt auf der Hand. Wenn aber eine journalistische Plattform durch die Hintertür mit den Mitteln des Vereinsrechts verboten werden kann, verkommt das Grundrecht der Pressefreiheit zur Makulatur. Ein engagierter Kampf nicht nur auf juristischer, sondern auch auf politischer Ebene gegen das Verbot von „Indymedia linksunten“ wäre dringend erforderlich.“5
Das 1999 entstandene Indymedia-Projekt gilt als ein Vorreiter des Bürgerjournalismus im Netz. Indymedia und auch seine Ableger wurden als Plattformen für fundierte Recherchen gerne von Journalist_innen genutzt. Hilfe und Solidarität aus dem Bereich der Medien gab es jedoch kaum und auch im Nachhinein gab es keine Skandalisierung des staatlichen Vorgehens. Die Behörden haben ihr Ziel erreicht: Das Portal hat seine zentrale Bedeutung eingebüßt, selbst wenn es noch als Archivseite erreichbar ist und Alternativseiten existieren.
- 1www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot…
- 2www.spiegel.de/politik/deutschland/linke-website-linksunten-indymedia-v…
- 3Vom 23. bis 25.05.2008 fand ein Indymedia-Treffen in der KTS Freiburg statt, an dem auch der Spitzel Reinhold „Rheini“ K. aus Köln teilnahm. Auswertungsberichte des BfV, die auf seinen Berichten basieren, sind Teil der den Gerichten vorgelegten Materialien. K. war schon Ende der 1980er Jahre im /CL-Netz aktiv, einem linken Technik-Projekt. Hier nahm er über viele Jahre hinweg regelmäßig an Treffen teil und fungierte als Kassenprüfer des Trägervereins. Mitte der 2000er Jahre nahm K. Kontakt zu „de.indymedia.org“ auf und soll auch hier mehrere Treffen besucht haben. Bei beiden Indymedia-Projekten gab er an, sich für eine Vernetzung zwischen dem älteren /Cl-Netz und den neuen Medienprojekten zu interessieren. (Quelle: Rote Hilfe Broschüre zum Verbot von Indymedia, autonome-antifa.org/IMG/pdf/2018-rote-hilfe-linksunten-broschuere.pdf)
- 4www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/rechtsstaatlich…
- 5https://netzpolitik.org/2019/das-verbot-von-linksunten-indymedia-und-di…