Gegen die Gravitation von Staat & Kapital
Antifa WestberlinNoch nie gab es in der BRD so viele politische Gefangene aus dem Bereich Antifa wie aktuell. Den politischen Willen von Politik und Justiz, gegen Antifaschist*innen vorzugehen, gibt es zwar schon lange, doch der Erfolg in großem Umfang hielt sich in Grenzen.
Die Verfolgung über den § 129a StGB gegen Gruppen der „Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation“ (AA/BO) aus Göttingen und Passau, die 1996 bzw. 2000 jeweils mit Einstellungen endeten, oder das „Antifa-Sportgruppenverfahren“ von Dresden im Jahr 2010 wirken dem Charakter nach eher als Einschüchterungsversuche. Die Anwendung des sogenannten „Schnüffelparagrafen“, der den Repressionsbehörden weitreichende Befugnisse zur Ausforschung von Strukturen ermöglicht, führte indes nur selten zu Anklagen und Verurteilungen.
Dies hat sich inzwischen drastisch verändert: Die Budapester Repression nach den Protesten gegen den „Tag der Ehre” im Februar 2023 zieht zwei Jahre später weitere Kreise und der Paragraph 129 StGB führt inzwischen sehr schnell zu Inhaftierungen. Das eingeübte Vorgehen, dass Beamte vom Schreibtisch aus „Vereinigungen“ konstruieren, führt nun vermehrt zu handfesten Repressionen gegen jene, die in diesen Zirkeln vermutet werden.
Es überrascht also nicht, dass der (militante) Antifaschismus auch in Zeiten sich zuspitzender Faschisierung hartnäckig bekämpft wird. Unsere Aufgabe als antifaschistische Strukturen bleibt es zunächst, diesen weiterhin offensiv zu verteidigen. Mit viel Herzblut und Aktivismus sind zahlreiche Antifa- und Soligruppen dabei, Öffentlichkeit für die Situation der lange Zeit Untergetauchten und nun Inhaftierten herzustellen. Ob Kampagnen gegen drohende Auslieferungen an das Orbán-Regime, das Organisieren von Kundgebungen, Podiumsdiskussionen, Informationsveranstaltungen oder Demonstrationen – es ist bundesweit sehr viel in Bewegung. Die Demonstration für die Freilassung der Gefangenen am 14. Juni 2025 in Jena ist der vorläufige Höhepunkt dieser Solidaritätsarbeit.
Trotz der aufwendigen Arbeit, die auch die Eltern der Inhaftierten leisten, ist eine Sensibilisierung über Antifa-Kreise hinaus nur partiell gelungen. Bei der antifaschistischen Vorwärtsverteidigung scheint eine Grenze erreicht zu sein, die eine Solidarisierung aus der Zivilgesellschaft verhindert; staatliche Repression wird dann, so zeigt es der „Budapest-Komplex“, auch von Linksliberalen schweigend hingenommen.
Diesbezüglich müssen wir uns, und das scheint eine weitere Aufgabe unserer Strukturen, die Frage der Vermittlung neu stellen. Es gibt Ansätze der Gegenaufklärung, um die Verhältnisse darzustellen. So hat das „Budapest Antifaschist Solidarity Committee“ (BASC) ein Dossier zu den vermeintlichen Opfern im Budapest-Verfahren erstellt und auch die Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen” weist seit Jahren auf die Strukturen von „Blood & Honour“ und „Hammerskins“ hin, die jährlich zum „Tag der Ehre” pilgern. Der Wirkungsgrad in die gesamtgesellschaftliche Linke ist jedoch mehr als überschaubar. Ihr Zustand ist es, der die Wirksamkeit unserer Methoden maßgeblich bestimmt und um diesen scheint es in vielerlei aber insbesondere in Hinsicht auf militanten Antifaschismus nicht gut bestellt.
Die richtige Aussage von Esther Bejerano, wonach man sich beim Kampf gegen Nazis nicht auf den Staat verlassen kann, wird oft und gern zitiert, durchdringt jedoch keineswegs zentrale Bereiche des Denkens und Handelns. Der spezifisch deutsche autoritätsgläubige Blick auf den Staat wird uns auch in den kommenden Jahren einiges in der Mobilisierung und Antirepressionsarbeit abverlangen. Dies wurde uns während des Podiumsgesprächs „Free All Antifas“ im Berliner Club "SO36" vor Augen geführt, als Solidaritäts-Strukturen aus Frankreich über die Resonanz berichteten, die ihre Arbeit im Kontext des „Budapest-Komplex“ dort erfährt.
Wir müssen uns also eingestehen: Es fehlt einerseits an Schnittstellen zu Teilbereichskämpfen, welche einer kollektiven antifaschistischen Praxis den Rücken stärken, die auch Militanz mit einschließt. Anderseits scheinen unsere Kämpfe und unsere Arbeit nicht diejenigen zu erreichen, die mit am stärksten von den unzumutbaren Zuständen betroffen sind. Obwohl im kollektiven Gedächtnis die Pogrom-Jahre zu Beginn der 1990er Jahre oder die rassistische Straßengewalt als Reaktion auf den Sommer der Migration 2015 verankert sind, läuft die Notwendigkeit für einen konsequenten Antifaschismus jenseits des Staates potentiell Verbündeten immer noch zuwider.
Verschiedene Generationen von Antifas machten Erfahrungen damit, Pogrome zu vernindern oder darauf zu reagieren. Dafür hat man sich punktuell an Orten zusammengefunden, wo dies nötig ist - jenseits von staatlichen Institutionen, die rassistische Morde, wie beim Beispiel NSU oder Hanau sogar noch begünstigen. Es scheint jedoch an Vermittlungsräumen zu fehlen, die dieses kollektive Wissen verbreiten, erlebbar und anschlussfähig machen können.
Im Gegenteil: Die Proteste für ein Verbotsverfahren oder doch zumindestens weniger parlamentarische Zusammenarbeit mit der AfD reichen zu oft nicht über moralische Appelle an die Unionsparteien hinaus und halten die Hoffnung auf einen durchgreifenden Staat aufrecht.
Vor dieser Analyse sind wir auf der Suche, einen Weg zu finden, der einerseits über die szenigen Zirkel hinauswirkt, andererseits klar unversöhnlich mit dem Staat und jenen umgeht, die sich im Zweifel auf seine, statt auf die der inhaftierten Genoss:innen schlagen. Ob sich aus der spektrenübergreifenden Mobilisierung nach Jena eine langfristige Vernetzung entwickeln kann, die dem autoritären deutschen Staat und seinen zunehmend aggressiver werdenden Neonazis etwas entgegensetzt, bleibt abzuwarten.
Mit der im letzten Jahr gegründeten Kampagne „Zeit zu handeln” wird ebenfalls ein solcher Versuch unternommen, die bundesweite Vernetzung von Antifa-Gruppen wiederherzustellen. Die Demonstration am 14. Juni ist für die antifaschistische Bewegung von Bedeutung, da seit längerer Zeit wieder einmal spektrenübergreifend zusammengearbeitet wurde und sich sowohl internationalistisch als auch antinational orientierte Gruppen beteiligen. Über den 14. Juni hinaus geht es darum, als Bewegung wieder sichtbarer zu werden. Dies erfordert verlässliche Strukturen, die vertrauensvoll und auf Augenhöhe zusammenarbeiten können und einen sehr langen Atem für Vernetzungs- und Strukturarbeit. Denn es ist klar, dass wir von der sogenannten Mitte, die sich in rasendem Tempo zu radikalisieren scheint, demnächst nichts zu erwarten haben.
Daneben benötigt es einen Blick über den eigenen Tellerrand hinaus und eine gewisse Toleranz gegenüber Arbeitsweisen und Themenschwerpunkten anderer Gruppen - auch wenn diese von den eigenen abweichen. Aus unserer Perspektive ist Antifa-Arbeit längst nicht mehr auf klassische Anti-Nazi-Arbeit im Sinne von Recherche und Aktion beschränkt. So ist zu beobachten, dass Aktive aus der Klimabewegung auch vermehrt in antifaschistischen Kämpfen aktiv sind. Der Schulterschluss zwischen Neo-Faschismus und fossilem Kapital, der unter Trump II noch offensichtlicher wurde, gibt Anlass, diese Kämpfe zu verbinden.
Da ferner die propagierte Kriegstüchtigkeit eine Zuspitzung patriarchaler und sexistischer Verhältnisse darstellt, mit denen sich junge Menschen künftig konfrontiert sehen sollten, wenn die Wehrpflicht, wie von CDU/SPD angekündigt, eingesetzt wird, ergeben sich für uns zwangsläufig mehr Bezugspunkte zu antimilitaristischen Bündnissen. Gegen die Aufrüstung im Inneren, die Sensibilisierung der Gesellschaft für den Dienst an der Waffe und die kriegstreiberische Zeitenwende, mit der wir seit einiger Zeit konfrontiert sind, fehlt bisher eine adäquate Antwort aus der radikalen Linken.
Dies sind nur zwei von zahlreichenden anstehenden Kämpfen, an die es aus (militant-)antifaschistischer Perspektive anzuknüpfen gilt. Sie verdeutlichen Zerfallserscheinungen von Staatlichkeit und erteilen bürgerlichen Sehnsüchten eine deutliche Absage. Wenn er sich offensiv an der Zerstörung des Planeten beteiligt und lautstark danach trachtet, alle jungen Menschen einzukasernieren, die er in die Finger bekommt, kann der Staat an Anziehungskraft für die weitere gesellschaftliche Linke einbüßen. In diesen Momenten des Bruches gilt es da zu sein, stabile Strukturen und Gruppen anzubieten, die Selbstorganisation an erste Stelle setzen. All der Szenestreit täuscht darüber hinweg, dass wir genau das eigentlich nicht verlernt haben. Wir warten geduldig auf diejenigen, die sich ihrem Staatsfetisch entledigen und genau wie wir voller Zorn für die Rückkehr der eingeknasteten Genoss:innen kämpfen.