Die Debatte um die sogenannte „Clan-Kriminalität“
Melly AmiraWöchentlich neue Dokus und Schlagzeilen, die „Strategie der tausend Nadelstiche“ und Serien wie „4 Blocks“ - das Thema „Clan“ ist deutschlandweit in aller Munde. In erster Linie ist die Debatte aber eins: aufgebauscht und rassistisch.
Seit 2018 hat die sogenannte „Clan-Debatte“ politisch und medial an Fahrt aufgenommen. Die Forderung, Mitgliedern von arabischstämmigen Großfamilien die Staatsbürgerschaft zu entziehen, kam allerdings bereits einige Jahre zuvor von der AfD. Seit 2018 haben sich dieses Themas aber vor allem die CDU und SPD angenommen, die in Berlin und NRW ein regelrechtes Kräftemessen veranstalten. Wer geht härter gegen „Clans“ vor ?
Dabei ist das Wort Clan-Kriminalität bereits schwierig. Es suggeriert, dass dies eine bestimmte Art der Kriminalität wäre, die nur von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe begangen wird und dass komplette Familien eine homogene Masse wären, von denen jeder kriminell ist oder zumindest von den kriminellen Machenschaften anderer Mitglieder Bescheid weiß und diese deckt. Auch die Definition des Bundeskriminalamtes redet hier von einer abgeschotteten Subkultur. Einige Personen lehnen sogar das Wort Clan komplett ab, andere nutzen dies als Selbstbezeichnung, kritisieren allerdings ganz klar die Assoziation zwischen diesem Begriff und Kriminalität.
Die Realität ist allerdings eine andere: Nur 7 Prozent der organisierten Kriminalität ist auf die sogenannte „Clan-Kriminalität“ zurückzuführen. In den Lageberichten der Polizei dazu sind in erster Linie Verkehrsdelikte und Ordnungswidrigkeiten aufgeführt. Noch dazu sind diese sehr schwammig. So kommen sämtliche Dinge, die z.B. bei den sogenannten „Shisha-Razzien“ oder bei anderen verdachtsunabhängigen Kontrollen, z.B. im Straßenverkehr, gefunden wurden, mit dazu. Ob die kontrollierten Personen überhaupt einen „Clan“ - Hintergrund haben oder einfach Migrant_innen sind, die sich in einer Shishabar aufhalten oder durch Neukölln fahren, geht daraus nicht hervor. Auch bei den Zahlen zu Betäubungsmitteln ist nicht definiert, ob es sich hier um große Mengen Rauschgift handelt, die zum Handel bestimmt sind, oder ob ein Gast einer Shishabar vielleicht Gras oder Kokain zum eigenen Gebrauch dabei hatte. Außerdem gibt es auch keine Vergleichszahlen, es ist also gar nicht klar, ob es in der deutschen Eckkneipe oder der Hipster-Bar nebenan weniger Verstöße oder gar Drogen gibt.
Doch wie laufen diese Kontrollen ab? Zuerst muss man ganz klar darauf hinweisen, dass es sich hierbei nicht um Razzien handelt. Dieser Begriff wird oft benutzt, eine Razzia braucht aber immer einen Durchsuchungsbeschluss der Staatsanwaltschaft und somit einen Tatverdacht. Diese Kontrollen sind allerdings Verbundseinsätze: Gewerbekontrollen, bei denen die Polizei nur die Begleitung für z.B. das Ordnungsamt, den Zoll etc. ist. Oftmals sind es aber zwischen 50 und 70 schwer bewaffnete Polizist_innen, die die migrantischen Gewerbe wie Shishabars, Spätis oder Barbershops stürmen. Das ist nicht nur total überzogen, sondern vermittelt auf Außenstehende und Gäste ein Bild, hier müsse etwas schwer Kriminelles vor sich gehen. Dafür wurden mehr als 120.000 Arbeitsstunden der Polizei in über 900 Einsätzen verbraucht. Der Neuköllner Polizist Böttcher nannte die Einsätze einen „Türöffner für die Polizei“.
Problematisch ist dabei nicht nur, dass hier wahllos migrantisches Gewerbe kontrolliert wird, sondern die Polizei hierbei oft auch ihre Kompetenzen überschreitet. Laut Definition dürfen bei Gewerbekontrollen der normale Ablauf und die Gäste nicht gestört werden. Es gibt aber viele Erfahrungsberichte sowie eigene Erlebnisse, bei denen die Gäste kontrolliert oder gar durchsucht wurden. Es wurden Daten erhoben, Gäste durften weder telefonieren, essen oder sogar die Toilette benutzen. Dabei macht es den Anschein, als würde man die Unwissenheit der kontrollierten Personen über ihre Rechte, sowie die Angst vor der Polizei ausnutzen.
Aber nicht nur die Kontrollen sind bei dieser Debatte ein großes Problem, sondern auch der Generalverdacht gegenüber Menschen aufgrund ihres Nachnamens. Persönlichkeitsrechte scheinen auf einmal egal zu sein und bestimmte Namen liest man andauernd in den Medien. Personen mit eben diesen Nachnamen haben nicht nur Probleme dabei, Wohnungen oder Arbeit zu finden, sie werden bei Polizeikontrollen oder Behörden anders behandelt und sind Anfeindungen bis hin zu Übergriffen ausgesetzt. Dass es sich hierbei um Familien mit hunderten von Mitgliedern, die zum allergrößten Teil ein normales Leben führen (wollen), handelt, ist egal. Von teilweise über 500 Mitgliedern gibt es da teilweise weniger als 20 Personen, die einschlägig polizeilich bekannt sind, alle anderen müssen aber die Konsequenzen tragen. Die Frage, die sich stellt: Warum muss sich ein Herr Müller nicht für alle kriminellen Müllers rechtfertigen?
Die Folgen sind hierbei nicht nur Verdrängung von migrantischem Leben aus bestimmten Stadtteilen und dadurch auch der Anstieg von Gentrifizierung, Isolation und Ausschluss von bestimmten Personen und Bevölkerungsgruppen aus der Gesellschaft, es ist auch brandgefährlich. In Neukölln gab es beispielsweise immer wieder rechte Übergriffe auf Läden oder Wohnhäuser, die zuvor in „Clan“-Dokus von der „BILD“ oder „Spiegel TV“ gezeigt worden waren. Trauriger Höhepunkt war der Anschlag in Hanau im Februar 2020, bei dem ein rechter Attentäter bewusst in eine Shishabar gestürmt ist und dort neun Menschen getötet hat. Verwunderlich ist es nicht. Shishabars wurden zuvor monatelang in den Medien als Ort des Verbrechens dargestellt, als „Wohnzimmer der Clans“, der Rechtsstaat sei machtlos gegenüber der „Organisierten Kriminalität“. Politik und Medien weisen auch hier wieder jede Schuld von sich: Mal wieder ein trauriger Einzelfall. Die Hetzkampagne geht weiter.
So werden medial jegliche Grenzen überschritten, Menschen werden ohne deren Einverständnis gefilmt, teilweise sogar auf Beerdigungen. Auch politisch gibt es keine Tabus mehr, es wird gefordert „Clans“ die Kinder oder sogar deutschen Pässe zu entziehen, abzuschieben und abzuschotten. In einer Polizeibroschüre aus NRW wird geraten, mit Hunden Wohnungen zu stürmen, da Hunde im Islam als unrein gelten und weibliche Polizistinnen einzusetzen, um den männlichen Familienmitgliedern die „Ehre“ zu nehmen. Als Rechtfertigung wird sich auf die immer gleichen medial bekannten Kriminalfälle bezogen.
Vielleicht sollte man die 120.000 Polizeistunden für Ermittlungen nutzen und anstatt in überzogene Kontrollen besser in soziale Arbeit investieren, sowie Menschen nicht Jahrzehnte in Kettenduldungen verharren lassen.