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Neuer Spitzelfall in Spanien: Polizeispionin in Girona enttarnt

La Directa (Gastbeitrag)
Einleitung

Nach den drei enttarnten Polizeibeamten in Barcelona und Valencia, die jahrelang im Auftrag des Staates Personen aus verschiedenen sozialen Bewegungen ausgeforscht hatten, wurde nun ein neuer Spitzelfall in Girona (Katalonien) aufgedeckt. Eine Polizistin hatte dort drei Jahre lang soziale Bewegungen infiltriert.

Protest: Frau streckt Faust in die Luft
(Foto: Dokumentation “Contrahistoria” von Left Report)

Maria I.T. ist inzwischen das vierte Mitglied der spanischen Nationalpolizei, das von der katalanischen Zweiwochenzeitung „La Directa“ als Spionin enttarnt werden konnte. Ihre Spionagemission konzentrierte sich auf die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, antirassistische Initiativen sowie auf Bewegungen für sozialen Wohnraum. Während der gesamten Zeit unterhielt sie eine Liebes­beziehung zu einem Aktivisten aus Girona.

Ausbildung für Spezialmission

Maria I.T. gehörte zur 33. Abteilung der spanischen Nationalpolizei (CNP)1 , in deren Auftrag sie nach Girona kam. Am 11. September 2017 fing sie bei der Polizeischule in Avila an. Hier trainierte sie 2017 und 2018 zusammen mit Marc, Daniel und Ramón2 , den drei zuvor von „La Directa“ aufgedeckten Polizeispitzeln, die zeitgleich auf soziale Bewegungen in Barcelona und Valencia angesetzt waren. (Vgl. AIB Nr. 138)3 Nach einjähriger Ausbildung und einem zweimonatigen Praktikum wurde Maria I.T. von der Generalkommission für Nachrichtendienste der CNP für eine Mission in der Stadt Girona ausgewählt, die Teil einer großangelegten Infiltrationswelle gegen linke Bewegungen in Katalonien im Frühjahr 2020 war. 

Erste Schritte der Infiltration

Im Mai 2020 baute Maria I.T. ihre ersten Freundschaften in Girona auf. Sie war drei Monate zuvor nach Girona gekommen, um die Schule „Aurea Formació“ zu besuchen, wo sie sich für die Hochschulaufnahmeprüfung für über 25-jährige Absolventen angemeldet hatte. Maria Perelló Amengual – so lautete der Name, der auf ihrem gefälschten Ausweis stand – sollte in nur wenigen Monaten zu einer engagierten Aktivistin in verschiedenen sozialen Bewegungen von Girona und Salt werden. Aufgrund der journalistischen Recherchen von „La Directa“ konnte bestätigt werden, dass ihre wahre Identität den Namen Maria I.T. trägt. Von 2012 bis 2015 hatte sie an der Universität Pompeu Fabra (UPF) in Barcelona studiert und dort ihr Studium der Kriminologie und öffentlichen Präventionspolitik abgeschlossen.4

Im Sommer 2020 schrieb sich Maria I.T., die gerade 27 Jahre alt geworden war, an der Universität von Girona (UdG) für den Studiengang Sozialpädagogik ein. Dabei verwendete sie gefälschte Unterlagen, die ihr vom Innenministerium unter der Leitung von Fernando Grande-Marlaska zur Verfügung gestellt worden waren.

Den ersten Schritt ihrer Infiltration unternahm Maria I.T. am 7. Juni 2020 bei der „Tancada per Drets“, einer Mobilisierung, die „Brot, Dach, Papiere und Arbeit“ für unbegleitete minderjährige Migrant_innen forderte. Mehr als zwanzig jugendliche Migrant_innen hatten sich zuvor in Begleitung mehrerer Aktivist_innen in einem Klassenraum der pädagogischen Fakultät der Universität Girona eingeschlossen, um von den öffentlichen Verwaltungen auch nach ihrer Volljährigkeit eine Wohnung und finanzielle Unterstützung zu fordern. Am 24. Juni 2020 führte sie eine Exkursion mit den Jugendlichen durch.

Emotionale Bindung als Infiltrationsstrategie

Gleichzeitig führte Maria I.T. ein sehr aktives Sozialleben in Girona. Auf einem Grillfest in ihrer Mietwohnung in einem Gebäude mit Touristenappartements lernte sie Òscar C. kennen, den Bruder einer jungen Frau, mit der sie sich während der Aufnahmeprüfung an der Universität angefreundet hatte. „Sie war diejenige, die mich eingeladen hatte, und nach ein paar Blicken kamen wir sofort zusammen. Von diesem Moment an schenkte mir Maria einige der schönsten Momente meines Lebens, ich verliebte mich in sie“, erinnert sich Òscar C.

Seit dem 8. Juli 2023 befindet er sich in einem emotionalen Schockzustand, denn da erfuhr er, dass die Person, die er als „die Liebe meines Lebens“ bezeichnet, in Wirklichkeit eine Polizeibeamtin ist. Òscar C. war Aktivist bei den "Komitees zur Verteidigung der Republik" (CDR)5 in Girona und ist eines der bekanntesten Gesichter der Unabhängigkeits- und antifaschistischen Bewegung der Stadt.

Daneben ist Òscar C. einer der vier Angeklagten, die sich im Zuge der als „21 Gründe“ bekannt gewordenen Operation der Ermittlungsbehörden mit einer von der Staatsanwaltschaft geforderten Gefängnisstrafe von vier Jahren sowie einer hohen Geldstrafe konfrontiert sehen. Wie auch die CUP-Bürgermeister von Verges und Celrà, Ignasi Sabater und Dani Cornellà, sowie der Fotojournalist Carles Palacio, ist Òscar C. eine der Personen, die verhaftet wurden, weil sie am 1. Oktober 2018, dem ersten Jahrestag des Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens, die Gleise der Hochgeschwindigkeitsstrecke sabotiert haben sollen.

Wie schon die anderen Polizeispitzel setzte auch Maria I.T. gezielt Strategien ein, die auf Gefühlen und emotionalen Bindungen beruhten. So lud sie Òscar C. zu einem Wochenende in einem Haus in Palma ein, welches angeblich ihr gehörte. Auch fuhren sie gemeinsam mit einem Wohnmobil in den Urlaub nach Asturien und Nordkatalonien. Die Beziehung war so eng, dass sie beschlossen, in der Wohnung von Maria I.T. in Girona zusammenzuleben. Dort wohnten sie mehr als ein Jahr als Paar und schmiedeten sogar Pläne, in eine größere Wohnung zu ziehen.

Tiefe Einblicke in verschiedene Bewegungen

Schritt für Schritt bekam Maria I.T. immer mehr Einblicke in die verschiedenen Bereiche des politischen Aktivismus. Am 7. März 2022 gelang es ihr, an einem Treffen mit den Anwälten Montserrat Vinyets und Benet Salellas teilzunehmen, bei dem die Verteidigungsstrategie für den Fall der „21 Gründe“ festgelegt wurde. Der Prozess war für den 28. März 2022 angesetzt, wurde aber schließlich ausgesetzt. Als Òscar C. am 21. April 2022 seine Arbeit in der nationalen Zentrale der katalanischen Kulturorganisation „Òmnium Cultural“6 in Barcelona als Koordinator des Projekts "(Re)voltes" begann, nahm Maria an Fortbildungskursen teil.7 Im Rahmen von (Re)voltes beteiligte sie sich an einem Projekt, das aus einer Tour durch die Schulen von Salt bestand, um die Segregation in den Klassenzimmern anzuprangern. Daneben nahm sie an Mobilisierungen der Wohnungsbaugewerkschaft von Salt, an Versammlungen und Demonstrationen gegen die Verhaftung des linken Rapper Pablo Hasél und an einigen Aktivitäten im „Ateneu Salvadora Catà“ teil, wo sie erfolglos versuchte, einer Kickbox-Gruppe beizutreten, doch zu dieser Zeit war das Training nur Bezugsgruppen (Bubble Groups) vorbehalten. Darüber hinaus bestand sie darauf, der „8M – Girona, Koordination für einen antikapitalistischen Feminismus“, beizutreten.

Bruder bei ultra-rechter Polizeigewerkschaft

Maria I.T. ist keine Ausnahme in ihrer Familie. Ihr Bruder, der die Initialen R.I.T. trägt, gehört zum Personal der Präfektur der Balearen und ist für seine engagierte Tätigkeit bei der ultra-rechten Polizeigewerkschaft Jusapol bekannt. Auf seinem Facebook-Account gibt es zahlreiche Fotos, auf denen er Plakate gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung trägt, Botschaften gegen die „Lazi-Putsch-­Diktatur“ verbreitet sowie ein Plakat, auf dem der 1. Oktober 2017 (der Tag des Referendums) als „El dia dels simis“ (Der Tag der Affen) bezeichnet wird.

Folgen für Aktivisten_innen

In Juni 2022, zeitgleich mit der Enttarnung des ersten Polizeispitzels durch „La Directa“, verließ Maria I.T. Girona unter dem Vorwand, ihren kranken Vater pflegen zu müssen. Ende Oktober 2022 besuchte sie Òscar C. noch ein letztes Mal in Girona. Danach hielt sie den Kontakt noch bis zu ihrer Enttarnung über mobile Nachrichten weiter aufrecht.

„Was sie mir angetan haben, hat keinen Namen, sie haben mich und meine Familie zerstört. Maria hat mich, meine Schwester, meine Mutter, meinen Vater und alle um mich herum betrogen. Das ist Folter, das ist ein unvorstellbares Ausmaß an Folter. Ich habe ihr mein Bestes gegeben und sie hat mich wegen dem, was ich denke und tue, ausspioniert“, sagt Òscar entrüstet und bestürzt. Seine ganze Familie hat inzwischen die Wahrheit erfahren und weiß nicht, wie sie sie verkraften soll.

Dieser neue Fall von Unterwanderung hat starke politische und emotionale Auswirkungen auf Aktivist_innen in Girona. Die Antirepressionsorganisation „Alerta Solidària“ organisierte am 14. Juli 2023 eine Pressekonferenz bei der Unterdelegation der Regierung in Girona und begleitet die Betroffenen in rechtlicher und psychosozialer Hinsicht.

  • 1CNP steht für "Cuerpo Nacional de Policía" (deutsch: Nationales Polizeikorps)
  • 2Marc Hernàndez Pons, Daniel Hernàndez Pons und Ramón Martínez Hernàndez waren die falsche Identitäten der Polizisten, die Vornamen stimmen mit den wahren Identitäten überein
  • 3www.antifainfoblatt.de/artikel/polizeispitzel-barcelona-und-valencia-en…
  • 4www.directa.cat/una-policia-sinfiltra-tres-anys-en-els-moviments-popula…
  • 5Die CDR spielte eine zentrale Rolle bei der Organisation des verbotenen Referendums 2017 und den anschließenden Protesten.
  • 6Auch das „Omnium Cultura“ spielte eine zentrale Rolle beim Unabhängigkeitsreferendum. Deren Präsident Jordi Cuixart i Navarro wurde wegen seiner Tätigkeit im Rahmen der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen 2017 wegen „Aufruhrs“ angeklagt und 2019 zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Er wurde im Juni 2021 wieder freigelassen.
  • 7Unter anderem zur Analyse des zivilen Ungehorsams als gewaltfreie Reaktion auf die Verletzungen von Grundrechten bei der „Escola Guillem Agulló“