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Geschichtsrevisionismus abgewehrt

Aktionsbündnis „Kein Knoten für Zetkin“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Clara Zetkin: Antifaschistin, Sozialistin, Frauenrechtlerin, Friedensaktivistin. Ausgerechnet sie wollte die Stadt Tübingen in eine Reihe stellen mit Nazis: Die Clara-­Zetkin-Straße sollte mit einem „Knoten“ aus dem 3D-Drucker als „kritikwürdig“ gekennzeichnet werden – eine Markierung, die sonst nur Faschisten oder Kriegsverbrecher bekommen. Nach einer mehrmonatigen Kampagne wurde dem Vorschlag vom Gemeinderat eine Absage erteilt.

Zetkin

Im Januar 2023 legte eine von der Stadtverwaltung beauftrage Kommission zur Überprüfung von Straßennamen ihren Abschlussbericht vor. Die Historiker empfahlen, verschiedene Tübinger Straßen umzubenennen oder im Stadtbild als „in der Kritik stehend“ zu markieren. Dies betraf Straßen, die nach Personen benannt sind, die mit dem NS-Regime, mit Antisemitismus, Kriegsverbrechen oder Kolonialismus in Verbindung standen – und die Clara-Zetkin-Straße. Deren Namensgeberin warf die Kommission „Mitwirkung an Justizverbrechen“ und „Demokratiefeindlichkeit“ vor.

Tübinger Totalitarismus-Theorien

Clara Zetkin war die erste Frau, die in einem deutschen Parlament eine Rede hielt. Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg bezeichnet sie als „Wegbereiterin der Demokratie“. Während des gesamten Bestehens des Parlaments der Weimarer Republik von 1920 bis 1933 war sie Abgeordnete im Reichstag. Bis zuletzt hat sie gegen den an die Macht drängenden Faschismus gekämpft und dabei auch die bürgerliche Demokratie vor Angriffen von rechts in Schutz genommen. Schon 1919 musste sie sich mehrere Tage lang in Tübingen verstecken, weil Rechtsradikale einen Mordanschlag auf sie geplant hatten. Wie also kommt man also darauf, ausgerechnet Zetkin mit rechten Demokratiefeinden in einen Topf zu werfen?

Zetkin habe im Rahmen eines Prozesses in Moskau 1922 für Todesstrafen plädiert, so die Behauptung im Abschlussbericht der Kommission; in ihrem Plädoyer habe sie „totalitär“ argumentiert – und so „den später vollzogenen Übergang zur stalinistischen Verfolgungspolitik vorweg“ genommen.

Das Aktionsbündnis prüfte diese Behauptungen und stellte fest, dass sie nicht belegt werden können. Die historische Wahrheit sieht anders aus. So plädierte Zetkin beispielsweise nie für Todesstrafen. Im Gegenteil setzte sie sich im Rahmen des Prozesses 1922 erfolgreich gegen die Vollstreckung der Todesurteile ein. In einem Fact Sheet, das auf der Website des Bündnisses (keinknoten.wordpress.com) einsehbar ist, wurde unter Anführung historischer Quellen aufgezeigt, dass die Behauptungen im Abschlussbericht falsch waren. „Der Gemeinderat sollte der Empfehlung der Kommission in Bezug auf die Clara-Zetkin-Straße nicht folgen“, lautete das Fazit. Das Fact Sheet ging im Februar an die sieben Mitglieder der Kommission, an die Stadtverwaltung und an alle Gemeinderatsmitglieder.

Posse

Im März fand eine Podiumsdiskussion zum Thema statt, an der auch zwei Vertreter der Kommission, die Historiker Johannes Großmann und Bernd Grewe, teilnahmen. Sie konnten nicht überzeugen: Nach der Veranstaltung bezeichnete die Lokalpresse ihren Vorschlag als „Posse“ und forderte: „Lieber ein Knoten für Bismarck oder Ebert“. Für diese beiden Straßen hatten die Experten keine Markierung vorgeschlagen.

Bald wurde überregional Protest laut. Über 25 Organisationen und Einzelpersonen unterstützten das Bündnis – antifaschistische, antimilitaristische und feministische Gruppen, Zetkin-KennerInnen wie Florence Hervé, aber auch das „Zetkin-Haus“ in Stuttgart, die „Zetkin-Gedenkstätte“ in Birkenwerder und das „Zetkin-Museum“ in Wiederau, die sich in öffentlichen Erklärungen gegen das Vorhaben der Stadt positionierten. Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) erklärte, dass „jedwede Gleichstellung von Antifaschistinnen und Antifaschisten mit den Verbrechern und Profiteuren des Naziregimes eine untragbare und überaus gefährliche Form des Geschichtsrevisionismus“ darstelle.

Es gab eine Vielzahl von Veranstaltungen und Aktionen – Vorträge, Theaterstücke, Lesungen, Kundgebungen. Im Juni fand anlässlich des 90. Todestags Zetkins, der gleichzeitig der 100. Jahrestag ihrer Rede „Der Kampf gegen den Faschismus“ war, eine ganze Aktionswoche statt.

Zweifelhafte Methoden

Für eine regionale Kampagne war das öffentliche Interesse sehr groß. Überregional war die Tübinger Debatte in verschiedenen Medien Thema, die lokale Presse stellte fest, dass Zetkin durch den Protest „innerhalb kürzester Zeit zur bekanntesten Namensgeberin einer Tübinger Straße avancierte“. Schon im März 2023 meldete der SWR, Teile der Vorwürfe gegen Zetkin seien „umstritten und mittlerweile zurückgenommen“. Dem widersprach die Kommission sofort. Die Wissenschaftler weigerten sich, die einmal angeführten Begründungen, die sich als falsch herausgestellt hatten, öffentlich zu revidieren. Da sie den Argumenten des Aktionsbündnisses auf der sachlichen Ebene nichts entgegenzusetzen hatten, gingen Kommission und Stadtverwaltung zum Angriff über – mit zweifelhaften Methoden. Obwohl das Bündnis ausschließlich sachlich argumentierte, versuchten sie fortan, den Protest mit angeblichen „Diffamierungen“ der Kommission gegenüber in Verbindung zu bringen.

Aufkleber mit QR-Code auf den Pfosten der Tübinger Straßenschilder mit „Knoten“ fordern zum „Mitdiskutieren“ auf „tuebingen.de“ auf. Dort konnten über ein Onlineformular Stellungnahmen abgegeben werden. Nachdem kritische Statements nicht veröffentlicht worden waren, löschte die Stadt im Mai 2023 diesen Bereich auf der Website kommentarlos.

Später behauptete die Leiterin des städtischen Kulturamts Dagmar Waizenegger, man habe das Diskussionsforum „mit großem Bedauern“ schließen müssen: „Uns fehlen die Kapazitäten, beleidigende und verleumderische Statements redaktionell so zu bearbeiten, dass wir sie guten Gewissens veröffentlichen können.“ Nachdem das Aktionsbündnis erwirkt hatte, dass die eingesandten Stellungnahmen dem Gemeinderat vorgelegt wurden, stellte sich heraus: Dabei handelte es sich um eine glatte Lüge. Eine angebliche Flut diffamierender Einsendungen war schlicht erfunden worden, um die Löschung des Formulars zu rechtfertigen und den Protest zu diskreditieren. Eine Rücknahme der Unterstellungen erfolgte auch in diesem Punkt nicht. Stattdessen wurde das Bündnis von Oberbürgermeister Boris Palmer (ehem. „Die Grünen“) aufgefordert, „den Vorwurf der Lüge“ zurückzunehmen – obschon dieser klar erwiesen ist. Boris Palmer selbst wurde mehrfach durch rassistische Äußerungen in der Öffentlichkeit bekannt. 

Deutliche Absage

Am 26. Oktober 2023 stand schließlich die Entscheidung im Gemeinderat an. In der Sitzung verkündete Dagmar Waizenegger ernsthaft, die Argumente des Aktionsbündnisses seien „keine fundierte Gegendarstellung, da sie von Personen kommen, die nicht an den Universitäten forschen“. Die Linksfraktion, die das Aktionsbündnis unterstützte, kündigte an, falls der Rat eine Markierung für die Clara-Zetkin-Straße entscheide, ebenfalls eine für die Bismarckstraße beantragen zu wollen – denn während Zetkin nie an Verbrechen beteiligt gewesen sei, klebe an Bismarcks Händen Blut. Sie war die einzige Fraktion, die Kritik am Vorgehen von Kommission und Kulturamt übte, alle anderen lobten deren Arbeit und Engagement, teilweise in höchsten Tönen – um dann trotzdem den Empfehlungen eine deutliche Absage zu erteilen: 20 von 32 anwesenden Stimmberechtigten stimmten gegen einen „Knoten“ für Zetkin, es gab sieben Enthaltungen; nur fünf Gemeinderatsmitglieder stimmten für eine Einordnung der Clara-Zetkin-Straße als „kritikwürdig“.

Dann stimmte eine knappe Mehrheit sogar spontan noch für einen „Knoten“ für die Bismarckstraße. Das Aktionsbündnis hatte sein erklärtes Ziel erreicht – und sogar übertroffen.

Anhand dieses kleinen Themas auf lokaler Ebene wurde einiges deutlich: Ganz offensichtlich spielen akademische Titel, persönlicher Ruf, Ansehen und Beziehungen eine größere Rolle als eine demokratische und sachliche Vorgehensweise im Sinne von Transparenz und wissenschaftlicher Wahrheitsfindung. Mit dem Protest wurde auch ein deutliches Zeichen an den bürgerlichen Wissenschafts- und Politikbetrieb gesendet: Wir schauen genau hin und lassen es nicht zu, dass unter dem Deckmantel vorgeblicher Neutralität die Geschichte verdreht wird. Clara Zetkins Kampf um Befreiung, gegen Faschismus und Krieg muss verteidigt und weitergeführt werden.

(Eine Chronologie der Ereignisse, eine Presseschau, das Fact Sheet, Fotos und weiteres Material finden sich unter www.keinknoten.wordpress.com)