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Bezahlkarte ohne Standards – Länder vereinbaren Diskriminierungskonzept

Pro Asyl (Gastbeitrag)
Einleitung

Die Bundesländer haben mit der Bezahlkarte ein Diskriminierungsinstrument konzipiert, das geflüchteten Menschen in Deutschland das Leben schwer machen soll. PRO ASYL appelliert an die Bundesländer, die vorhandenen Spielräume positiv zu nutzen.

Bezahlkarte
(Foto: Christian Ditsch)

Die einheitliche Bezahlkarte für Geflüchtete kommt – das ist die Botschaft der Bundesländer. 14 der 16 Länder hätten sich auf „Standards“ der Bezahlkarte und ein gemeinsames Vergabeverfahren geeinigt, teilte die Hessische Staatskanzlei am 31. Januar 2024 mit. Faktisch bekunden die Länder mit dieser Erklärung zur Bezahlkarte den Willen, ein Diskriminierungsinstrument für Geflüchtete zu installieren. Das vorgebliche Ziel – die Senkung der Asylzahlen – werden die Verantwortlichen nicht erreichen. Was offenbar dennoch bei der Bevölkerung ankommen soll, ist das kaum verhohlene Signal: Wir tun etwas gegen Geflüchtete. Und damit lassen sich Politiker*innen der demokratischen Parteien von denen treiben, die schutzsuchende Menschen generell von Deutschland fernhalten oder aus dem Land vertreiben wollen.

Bezahlkarte: Abschreckung als erklärter Zweck

Mit der Bezahlkarte sollen die Bargeldverfügung für geflüchtete Menschen eingeschränkt und Überweisungen unmöglich werden. Wie genau die einzelnen Länder die Bezahlkarte ausstatten werden, ist noch offen.

Schon auf ihrer Konferenz am 6. November 2023 hatten die Regierungschef*innen von Bund und Ländern betont, „Anreize für eine Sekundärmigration … nach Deutschland“ und generell die Asylantragszahlen „deutlich und nachhaltig“ senken zu wollen. In sozialpolitischen Verschärfungen, zu denen die Bezahlkarte gehört, sehen sie dazu offenbar ein legitimes Mittel.

Das ist nicht nur schäbig, sondern auch menschenrechtlich zweifelhaft: Schon allein das Motiv Abschreckung wirft Fragen auf. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung von 2012 die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für jeden Menschen ausdrücklich festgehalten und erklärt, dass die Menschenwürde nicht „aus migrationspolitischen Gründen relativiert“ werden dürfe. Mit dieser Entscheidung hatte das höchste deutsche Gericht die Höhe der geringen Asylbewerberleistungen annähernd auf Sozialhilfeniveau angehoben – bis die Regierung die Leistungen einige Jahre später wieder senkte.

Was bedeutet die Karte für die Betroffenen?

Die beschlossenen angeblichen Standards der Bezahlkarte sind keine Standards, sondern lediglich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Bundesländer einigen konnten. Auf dieser Grundlage können die einzelnen Länder die Karte mit technischen Nutzungseinschränkungen versehen, müssen es aber nicht. Klar ist: Je mehr Beschränkungen auf der Bezahlkarte sind, desto drastischer greifen die staatlichen Maßnahmen in das Alltagsleben und die persönliche Freiheit der Betroffenen ein. Bei der Verhinderung von Überweisungen scheinen sich die Länder bereits auf die restriktivste Linie festgelegt zu haben. Fraglich ist noch, wie es um den Datenschutz der Karte, insbesondere um den Schutz vor Missbrauch der Daten sowie der Zugriffsmöglichkeiten durch die Behörden aussehen wird.

Die drei der größten Probleme

1. Keine Überweisungen: Die Bezahlkarte ist mit keinem Bankkonto verknüpft, wodurch eine Überweisungsmöglichkeit explizit ausgeschlossen wird. Überweisungen sind aber unentbehrlich – etwa für einen Handyvertrag, für den Abschluss einer Haftpflichtversicherung oder für manche Einkäufe im Internet. Geflüchtete müssen insbesondere die Raten für ihre dringend benötigten Rechtsbeistände per Überweisung bezahlen können. Nicht alle Anwält*innen verfügen über ein Debitkartenterminal. Das Geflüchtete jeden Monat zur Abbuchung oder Barzahlung zu ihrem Rechtsbeistand reisen ist aufwendig und kostet Geld. Ohne Überweisungsmöglichkeit werden Geflüchtete aus einem wichtigen Bereich des Lebens ausgegrenzt und ihrer Selbständigkeit beraubt.

2. Beschränkung von Bargeld: Die Länder haben sich nicht einmal auf einen relevanten Mindestbetrag verständigt, der von den Betroffenen in bar abgehoben werden kann. Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in bestimmten Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse fehlt. Im Sozialrecht ist anerkannt, dass Menschen selbstständig wirtschaften und selbst entscheiden sollen, welchen Teil ihres Geldes sie wofür ausgeben. Eine Beschränkung des Bargeldbetrags schränkt die selbstständige Gestaltung des eigenen Lebens ein.

3. Regionale Beschränkung: Die Bezahlkarte kann so eingestellt werden, dass sie nur innerhalb eines bestimmten Postleitzahlenbereichs funktioniert. Die regio­nale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken: Wer Verwandte oder Freund*innen besucht, einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er*sie nicht mal eine Flasche Wasser kaufen kann.

Neben diesen Beschränkungen sind weitere vorgesehen: Bestimmte Branchen oder Geschäfte können ausgeschlossen werden. Weitere individuelle Beschränkungen oder Sanktionen sind technisch möglich.

Wie die Länder die Karte letztlich umsetzen werden, welche Entscheidungen sie den Kommunen überlassen, ist offen. So können sie auch liberale Regelungen treffen und beispielsweise die Kommunen per Erlass binden, die Auszahlung des gesamten Geldbetrags zu ermöglichen.

Eine diskriminierungsfreie Bezahlkarte wäre möglich – ist aber nicht gewollt. Tatsächlich könnte die Bezahlkarte auch diskriminierungsfrei eingesetzt werden. Möglich wäre ein unbeschränktes digitales Zahlungsmittel für eine Übergangszeit zu Beginn, solange die ankommenden Menschen noch kein Konto haben. So macht es derzeit die Stadt Hannover vor. Bislang händigen die Behörden in der Anfangszeit Bargeld aus – eine aufwändige Prozedur. Der in den Erstaufnahmeeinrichtungen ausgezahlte Betrag ist dabei sehr niedrig (maximal etwa 204 Euro im Monat), weil dort ein Großteil der Leistungen bereits als Sachleistung – in Form von Unterkunft, Kantinenessen, Altkleidern und anderem gewährt wird. Die Barauszahlung zu Beginn des Aufenthalts könnte durch die Bezahlkarte sinnvoll ersetzt werden und Verwaltungsaufwand sparen.

Dazu müssen Länder und Kommunen Beschränkungen und Missbräuche unterlassen, strikt den Datenschutz beachten und noch vorhandene Spielräume positiv und humanitär nutzen. Dabei ist es vor allem wichtig, den betroffenen Personenkreis klein und die Anwendungsdauer kurz zu halten: Sobald die Menschen ein normales Girokonto haben, sind Bezahlkarten nicht mehr nötig. Die normale Girokarte ist diskriminierungsfrei, Berfassungskonform und sogar für die Verwaltungen die einfachste und günstigste Lösung.

Vorgeschobene Argumente

Zur Rechtfertigung der Bezahlkarte werden vorgeschobene Argumente angebracht. Die zentrale Idee, weniger Geld oder mehr Drangsalierung würden zu weniger Asylsuchenden führen, ist so alt wie falsch. Kein Kriegsflüchtling wird die Flucht aufgeben, weil in Deutschland Bezahlkarten statt Bargeld warten. Auch künftig werden Geflüchtete aus manchen europäischen Ländern wie Griechenland oder Italien hierher kommen, weil sie andernorts gar keine Unterstützung bekommen und zum Teil sogar ohne Obdach und Versorgung, hungernd, frierend und nicht selten krank, um ihr nacktes Überleben bangen.

An dieser Realität werden wir auch künftig nicht vorbei kommen. Das Problem ist nicht, dass Deutschland zu hohe Sozialstandards hat, sondern dass manche Länder mitten in Europa die Menschenrechte nicht einhalten.

Eine weitere Begründung für die Bezahl­karte lautet: Man wolle den Transfer von Geld unterbinden – wahlweise zu den Heimatfamilien oder zu Schleppern. Dabei wird übersehen: Bereits heute erhalten Geflüchtete, besonders in der Anfangszeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, vor allem Sachleistungen und nur einen sehr geringen Geldbetrag. Die Idee, von den geringen Asylbewerberleistungen könnte noch Geld in die Herkunftsländer geschickt werden, ist völlig realitätsfern.

Die Bezahlkarte reiht sich in politische Maßnahmen ein, die in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung zweifelhafte Signale an ressentimentgeladene Teile der Bevölkerung senden. Die Umsetzung wird vielerorts absehbar zu Ärger und Frust im Alltag geflüchteter Menschen führen und ihr Ankommen sowie die Integration für eine lange Zeit behindern. Das ist keine rationale, konstruktive Asylpolitik.