Skip to main content

Rudolf Hess. Der Stellvertreter.

Einleitung

Rudolf Hess war bis in die jüngste Vergangenheit wichtiger Bezugspunkt für Alt- und Neonazis. Nun liegt das erste Mal eine wissenschaftliche und umfangreiche Biographie über ihn vor.

Hess-Buch

Der England-Flug

Am 10. Mai 1941 flog Hess überraschend nach England. Durch diesen Flug wollte er Frieden zwischen dem Deutschen Reich und England erreichen. Deutlich wird, dass Hess den Flug nach England tatsächlich nahezu im Alleingang durchführte. Anders als es die Neonaziszene aber später behauptete, flog er nicht nach England „um den Frieden zu retten“ – sondern nur, um Deutschland einen Zweifrontenkrieg gegen die Sowjetunion und England zu ersparen und weil er eine Fortsetzung des Kriegs zwischen den „germanischen Brudervölkern“ beenden wollte. Hess Pläne gingen nicht auf. Er kam in britische Kriegsgefangenschaft, Hitler war entsetzt und bezeichnete ihn als „Geisteskrank“, Goering hoffte, dass Hess im Meer abgestürzt war. Alle Personen die Hess bei seinem Flug unterstützt hatten kamen in ein KZ oder wurden an die Front geschickt.

Nürnberger Prozess

Auf der Anklagebank in Nürnberg 1946 traf Hess dann wieder mit seinen alten Kameraden zusammen – und wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt. In seiner Verteidigungsrede für den Prozess, die er aber nicht halten durfte da jedem Angeklagten nur ein kurzes Schlusswort erlaubt war, gab er alle Schuld an Krieg, Gräueltaten und sogar den KZ den Juden. Statt seiner langen Rede sagte er nur: „Ich bereue nichts“ – was zu einem geflügelten Wort in der Neonaziszene werden sollte.

Der Selbstmord in Spandau

Von 1947 bis 1987 war Hess im Kriegsverbrechergefängnis Spandau inhaftiert, welches von den vier Alliierten gemeinsam verwaltet wurde. Gefangen waren neben Hess nur sechs weitere NS-Kriegsverbrecher. Nachdem diese entlassen wurden, war er ab 1966 der letzte Häftling. Die Haftbedingungen waren dabei nicht schlecht. Er bewohnte mehrere Zellen, hatte mehrere Ärzte und das ausgedehnte Areal der Gefängnishöfe diente ihm als Garten. Am 17. August 1987 erhängte sich Hess mit einem Kabel an einem Fensterknauf. Schnell herbeigerufene Sanitäter konnten den 93-jährigen nicht mehr retten. Die in Neonazikreisen gerne wiederholte Verschwörungserzählung, der britische Geheimdienst habe Hess in Spandau ermorden lassen, wird in dem Buch ausführlich untersucht und als Märchen widerlegt.

Die „Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Hess e.V."

Platz eingeräumt wird auch der Kampagne für die Freilassung von Hess. Sie vereinte sowohl Alt-und Neonazistische Kreise – aber auch prominente internationale Unterstützer. Hess wurde immer mehr zur Kultfigur der Neonaziszene. Rechtsterroristen planten Befreiungsversuche und übten sogar 1986 einen Bombenanschlag auf das Gefängnis aus.
Die vorliegende Biographie ist umfangreich, nutzt zahlreiche, teilweise bisher unbekannte Quellen und entspricht wissenschaftlichen Standards. Zu einigen zentralen Fragen und Mythen rund um Hess kommt das Buch zu eindeutigen Antworten. Ob es einem Wert ist, sich 758 Seiten lang mit allen Details aus dem Leben von Hess zu beschäftigen, muss dabei jede/r für sich selbst entscheiden.

Manfred Görtemaker: 
Rudolf Hess. Der Stellvertreter.  
Eine Biographie.
München 2023. 38 Euro