Skip to main content

Abtauchen, Abwarten, Widerstand?

SPD Wels
(Bild: Screenshot von YouTube/@kalenderblatt736)

Der SPD-Politiker Otto Wels auf einer Kundgebung im Berliner Lustgarten 1932.

Die Erfahrungen von 1933 in Deutschland

Wann die nationalsozialistische Diktatur begann ist relativ unstrittig. Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 durch den konservativen Reichspräsidenten Hindenburg kam die NSDAP an die Macht – zwar nur mit zwei Ministern in einer größeren Koalition, aber es war der Beginn des Endes. Die Nazis selber vermieden den Begriff „Machtergreifung“ und bevorzugten die Bezeichnungen „Nationale Erhebung“ oder „Nationale Revolution“. Sie wollten damit deutlich machen, dass sie die Mehrheit des Volkes hinter sich hatten. Tatsächlich wurde die NSDAP in den Reichstagswahlen 1932 mit 37,3 Prozent die stärkste Partei im Reichstag – war aber dennoch weit davon entfernt, alleine regieren zu können. Nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 wurde die Kommunistische Partei (KPD) verboten und Tausende ihrer Mitglieder und Sympathisant_innen gefoltert und eingesperrt. Mit dem sogenannten „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933 konnten die Natiosalsozialisten quasi ungehemmt durchregieren. 

Bei der Reichstagssitzung am 23. März 1933, auf dem das Gesetz verabschiedet wurde, war die SPD die einzige Fraktion im Reichstag, die sich geschlossen gegen das Ermächtigungsgesetz, welches das Ende der Gewaltenteilung bedeutete, stellte: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“ verkündete ihr Vorsitzender Otto Wels - obwohl das Gebäude der Sitzung von SA umstellt war und er um sein Leben fürchten musste. Alle anderen demokratischen Parteien – das katholische „Zentrum“, die bürgerlichen „Demokraten“ etc., stimmten für das "Ermächtigungsgesetz" und damit für ihre eigene Abschaffung. Da die KPD bereits verboten war, konnten deren Abgeordnete nicht mehr dagegen stimmen.

Das Ende der Demokratie

Schon seit 1930 kam keine parlamentarische Mehrheit mehr zusammen, das heisst das Land wurde nur noch durch wechselnde Minderheitenregierungen regiert, welche vom Reichspräsidenten eingesetzt und abgesetzt wurden. Bereits am 20. Juli 1932 organisierte die Reichsregierung unter Franz von Papen den „Preußenschlag“. Der dort noch regierende sozialdemokratische Ministerpräsident wurde in einem Staatsstreich abgesetzt entmachtet und alle Befugnisse zentralisiert und direkt dem Reich zugeordnet. Zwar gab es noch im März 1933 Wahlen - bei denen die NSDAP ihren Vorsprung auf 44 Prozent ausbauen konnte – aber von demokratischen Wahlen konnte hier schon keine Rede mehr sein. Die kommunistische Partei KPD war verboten, alle anderen Parteien und deren Mitglieder massivem Druck, Propaganda und Repressalien ausgesetzt.

Gehen oder Bleiben?

Der aufmerksame Beobachter des Zeitgeschehens Sebastian Haffner war zwar schockiert, als er in der Zeitung las, das Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war – aber „Dann schüttelte ich das ab, versuchte zu lächeln, versuchte nachzudenken, und fand in der Tat viel Grund zur Beruhigung“. Wahrscheinlich würde die neue Regierung viel Unheil anrichten – aber eine Mehrheit hätten Sie ja weiterhin nicht und die Massen, welche sie gewählt hatten würden sicherlich bald enttäuscht sein, und sich wieder abwenden. 

Der Dresdner Professor Victor Klemperer hatte dagegen schon früh keinerlei Hoffnung mehr. Er schrieb am 10. März 1933 in sein Tagebuch: „Wieder ist es erstaunlich, wie wehrlos alles zusammenbricht […] Und alle Gegenkräfte wie vom Erdboden verschwunden“. Und, wenig später: „Man wagt keinen Brief zu schreiben, man wagt nicht zu telefonieren, man besucht sich und erwägt seine Chancen.“ 

Kein Generalstreik der Gewerkschaften, keine Demonstrationen linker oder bürgerlicher Parteien, keine offene Opposition versuchten den Durchmarsch der Nationalsozialisten zu stoppen. Die Gewerkschaften, die theoretisch einen Generalstreik gegen die aufziehende Diktatur hätten organisieren können, hofften, auch unter dem neuen Regime eine Rolle im Staat spielen zu können und beteiligten sich am nationalsozialistischen „Tag der Arbeit“ am 1. Mai 1933, der von den Nazis zum ersten Mal als Feiertag eingeführt wurde. Es half ihnen nichts – nur einen Tag später wurden die Gewerkschaftshäuser besetzt und die Organisationen zerschlagen. 

Auf der Straße und in den Zeitungen regierte der Terror der Nationalsozialisten. Täglich kam es zu Schikanen, Verhaftungen und Morden – alles durchgeführt in der völligen Selbstverständlichkeit, dass keine Strafe zu erwarten war. Alle ehemalige Opposition war verboten, abgetaucht oder hatte sich den neuen Zeiten unterworfen.

Widerstand

Diejenigen die als erste und am vehementesten Widerstand in Deutschland gegen das aufkommende „Dritte Reich“ leisteten waren die, die als erstes von den Nazis verfolgt und verboten worden waren: die Kommunisten. In ihrer Gesellschaftsanalyse stand die sozialistische Revolution praktisch schon vor der Tür und die Nazis waren nur das letzte Aufbäumen des zum Tode verurteilten Kapitalismus. 

Direkt nach der Machtübergabe am 30. Januar 1933 riefen sie in verschiedenen Städten zu Demonstrationen und einem reichsweiten Generalstreik auf – doch außer symbolischen Protesten und kleineren Streiks geschah nichts weiter – und die Polizei ging hart gegen alle Ansammlungen vor. Die KPD wurde verboten und versuchte aus der Illegalität heraus Widerstand zu leisten. Illegale Flugblätter und Parteizeitungen wurden gedruckt und heimlich verteilt und versucht, das Netzwerk an Parteistrukturen auch im Untergrund weiter am Leben zu halten. Fast der gesamte illegale Apparat wurde aber in den nächsten Jahren aufgerollt – unter anderem mit Hilfe von Folter und durch zahlreiche Spitzel. Tausende Kommunist*innen kamen ins Gefängnis oder Konzentrationslager.

Auch ehemalige Gewerkschafter*innen, Sozialdemokrat*innen, Christ*innen etc. versuchten in ihrem engeren Umfeld Verfolgten zu helfen und Widerstand zu leisten – hatten aber, anders als die KPD, eine deutlich realistischere Vorstellung von den tatsächlichen Machtverhältnissen. Diese Formen des Widerstands wurde nicht durch „spektakuläre“ Aktionen bekannt, sondern fand, angesichts der massiven Repression und dem Bewusstsein, dass sehr viele Deutsche die Machtergreifung Hitlers euphorisch begrüßt hatten, im Verborgenen statt.

Das Verstecken von Untergetauchten, das Fälschen von Pässen und Lebensmittelkarten, das Sammeln von Geld, die Sabotage in Fabriken oder das Weitergeben von geheimen Informationen an ausländische Geheimdienste waren nur einige Formen des Widerstand dieser „Stillen Helden“.

Exil

Die, die konnten und keine Hoffnung mehr hatten, flohen. Von den ca. 500.000 Menschen die Deutschland (und später auch das annektierte Österreich) verließen, waren ca. 80 Prozent Juden oder jene, die von den Nazis als Juden angesehen wurden. Fast alle „großen“ Namen für welche die Weimarer Republik heute bekannt ist, gingen vorübergehend oder kamen von ihren Auslandsaufenthalten nicht zurück: Georg Grosz, Thomas Mann, Hannah Arendt, Bertold Brecht, Albert Einstein, Alfred Döblin, Walter Gropius, Kurt Tucholsky, Theodor Adorno, Irmgard Keun, Stefan Zweig und viele andere.

Doch für eine Auswanderung brauchte man Geld, Sprachkenntnisse und eine berufliche Perspektive. Nur ein sehr kleiner Teil aller Gegner der Nazis hatten daher die Möglichkeit, sich eine neue Existenz in einem anderen Land aufzubauen. 

Und: die Länder schlossen ihre Türen. Bei der internationalen Konferenz von Évian 1938 wurde deutlich, dass die Länder nur bereit waren, sehr geringe Zahlen von Verfolgten aus Deutschland aufzunehmen – besonders die Juden in Europa saßen damit in einer tödlichen Falle. Jedes Jahr wurde es schwieriger ein Visum zu erhalten - spätestens mit Kriegsbeginn 1939 war es fast unmöglich.

Fazit

Mit dem Jahr 1933 brach die Demokratie in Deutschland endgültig zusammen und bis 1945 sollte sich keine Opposition entwickeln, die den Nazis wirklich hätte gefährlich werden können. Es gab daher nie „den“ Widerstand in Deutschland – aber dennoch eine große Anzahl von Menschen und Gruppen, die aus Menschlichkeit, politischer Überzeugung oder religiösen Gründen versuchten, sich nicht anzupassen und einen Unterschied zu machen.

Der Widerstandskämpfer Martin Gauger schrieb in seinem Abschiedsbrief 1941 aus dem KZ Buchenwald: „Wenn einmal der Nebel sich zerteilt hat, in dem wir leben, dann wird man sich fragen, warum nur einige, warum nicht alle sich so verhalten haben“. Wenige Tage später wurde er in der Tötungsanstalt Pirna vergast.