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Finnland: Die extreme Rechte anno 2024

Varis Network (Finnland) (Gastbeitrag)
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(Bild: varisverkosto.com)

Zur Schau gestellter Akzelerationismus: "Lest SIEGE", ein von den Lahti-Neonazi-Terroristen veröffentlichtes Bild.

Die finnischen extremen Rechten hatten in den letzten Jahren zwar einige parlamentarische Erfolge, aber weniger Aktivitäten auf der Straße. Seit 2023 hat es einige Veränderungen gegeben, als das internationale Netzwerk „Active Club“ in einigen Städten gegründet wurde. Das wichtigste Ereignis der finnischen extremen Rechten sind die Aufmärsche zum Unabhängigkeitstag in Helsinki am 6. Dezember, eine Veranstaltung, die von Antifaschist_innen immer wieder mit Gegenprotesten und Blockaden begleitet wird.

Die verbotenen Nationalsozialist_innen

Im Jahr 2020 beschloss der Oberste Gerichtshof Finnlands, die „Nordische Widerstandsbewegung“ (Nordiska Motståndsrörelsen) und die „Pohjoismainen Vastarintaliike“ (PVL) wegen ihrer gewalttätigen Angriffe auf politische Veranstaltungen und ihrer verfassungsfeindlichen Agenda zu verbieten. Die nationalsozialistische Bewegung, die ihre Basis in Schweden hat, hatte in den letzten Jahren weniger Erfolg, aber das Verbot des finnischen Zweigs zwang viele ältere Aktivist_innen zum Austritt. 

Einige Mitglieder gründeten Medienprojekte und MMA-Trainingskollektive, um die Ideologie der Gruppe fortzuführen, einige wurden inaktiv oder schlossen sich anderen Projekten an. Die Gruppe vertrat eine sehr harte ideologische Linie und lehnte die Zusammenarbeit mit Gruppen ab, die sie für weniger radikal hielten als sie selbst. Der Gerichtsprozess zwang sie, sich um die Solidarität der übrigen extremen Rechten zu bemühen und den Prozess als „Prozess der Redefreiheit“ zu bezeichnen. Prozesse und Verbote gegen solche Organisationen sind nicht geeignet, politische Ideen und Bewegungen zu beseitigen. In diesem Fall wurde die extremste Organisation von der Spitze entfernt, während andere an ihrer Stelle aufblühten.

Die extreme Rechte in der Regierung

Bei den Parlamentswahlen 2023 wurde die rechtspopulistische „Partei der Finnen“ (Perussuomalaiset) mit 20 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft und bildete eine Regierung mit den Parteien des rechten Flügels und der rechten Mitte. Diese Regierung hat mit massiven Kürzungen im Sozial-, Schul- und Gesundheitswesen begonnen. Während diese Maßnahmen selbst bei ihren eigenen Anhänger_innen auf Ablehnung stoßen, sehen viele Finnen die geschlossene Grenze und strenge Einwanderungsgesetze als Erfolg der Partei. Zurzeit wird diskutiert, das Asylrecht nur auf „christliche“ Asylbewerber zu beschränken, zusätzlich zu anderen Verstößen gegen internationales Recht. 

Die Finnenpartei wurde in den 1990er Jahren mit einem ländlich-populistischen Programm gegründet und gilt allgemein als kleine Protestpartei mit wenig Stimmen. In den 2010er Jahren begann sie, bei den Wahlen Erfolg zu haben und profilierte sich sowohl für als auch gegen die Austeritätspolitik. Die Partei, insbesondere der Jugendflügel profilierte sich zudem mit einer rassistischen Politik, die ihren Höhepunkt fand, als Jussi Halla-aho im Jahr 2017 zum Vorsitzenden gewählt wurde. Halla-aho wurde zehn Jahre zuvor als Blogger berüchtigt, als er in verschiedenen Foren „anti-jihadistische“, rassistische und anti-feministische Inhalte verbreitete. Nach seiner Zeit als Vorsitzender hat die Partei die extrem rechte Politik verstärkt und Personen aus der neofaschistischen Gruppe „Suomen Sisu“ in ihren Vorstand aufgenommen. Allerdings gibt es immer noch einige Machtkämpfe um das Image: Der Jugendflügel wurde 2020 wegen zu offener „faschistischer“ Haltung ausgeschlossen, und viele von ihnen gründeten daraufhin die Partei „Blauschwarze Bewegung“ (Sinimusta Liike, SML).

Das neofaschistische Parteiprojekt SML

Während der Pandemie kamen mehrere extrem rechte Projekte zum Stillstand. Die „Nordische Widerstandsbewegung“ (NMR) wurde verboten, und einige neue Gruppen versuchten, die Situation für sich zu nutzen. Manche begannen Seminare mit internationalen Referenten zu organisieren, andere sammelten Geld für den Kauf von Infrastruktur und wieder andere versuchten, Jugendgruppen zu gründen. Da die extreme Rechte sehr zersplittert war, haben sich viele von ihnen in der parlamentarischen „Blauschwarzen Bewegung“ zusammengechlossen, eine Anspielung auf die Faschist_innen der Zwischenkriegszeit in Finnland. Obwohl das Parteiprogramm offen faschistisch ist und Militarismus, die Deportation von Nicht-Weißen und das Verbot von freien Medien und LGBTIQ-Materialien fordert, gelang es der Partei, sich beim Innenministerium registrieren zu lassen und bei den Parlamentswahlen anzutreten, wobei sie 0,07 Prozent der Stimmen erhielt. Der Parteistatus wurde ihnen kurz darauf wieder entzogen und sie waren gezwungen, ihr Programm zu ändern und genügend Unterschriften zu sammeln, um den Status erneut zu beantragen. 

Die Partei ist interessant, weil sie alte Nationalsozialist_innen, junge Ethno-Nationalist_innen und verschiedene aus der „Partei der Finnen“ ausgeschlossene Mitglieder zusammengebracht hat, um den Faschismus mit ihrem eigenen Namen und Gesicht zu fördern. Dieses öffentliche Auftreten zeigt, dass extrem rechte Ideen in Finnland inzwischen zum Mainstream gehören und selbst die großen Parteien immer mehr Rassismus unter ihren Politiker_innen ungehindert zulassen. 

Es bleibt abzuwarten, ob diese Offenheit der Partei zu Wachstum verhilft, da sie derzeit wenig bis gar keinen Erfolg an den Wahlurnen hat und sich wahrscheinlich nicht alle Mitglieder damit zufrieden geben werden, nur in Hemd und Krawatte herumzustehen.

Rechter Terrorismus: Die „Kankanpää Five“ und die „Lahti gun printers“

In den letzten Jahren haben die finnischen Behörden mehrere extrem rechte Gruppen ermittelt und verurteilt. Die erste Ermittlung findet in Westfinnland statt und läuft bereits seit mehreren Jahren. Es geht um fünf junge Männer1 in Kankaanpää, die Schusswaffen und Sprengstoff für terroristische Zwecke gestohlen haben. 

Im zweiten Fall wurden im Oktober 2023 vier Männer in Lahti verurteilt, die Schusswaffen im 3D-Druckverfahren herstellten und Sabotageakte und gewalttätige Angriffe gegen politische Gegner_innen planten.

Beide Gruppen waren von der nationalsozialistischen „siege culture“ und der als „Akzelerationismus“ bekannten Ideologie inspiriert. Diese beiden eng miteinander verbundenen Ideen zielen darauf ab, die Gesellschaft durch Gewalt ins Chaos zu stürzen, um die Macht zu ergreifen. Während der COVID-19-Krise traten in finnischen Kreisen der extremen Rechten zunehmend verschiedene Phantasien vom gesellschaftlichen Zusammenbruch auf.

Nach Angaben der Polizei begannen die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Fall Kankaanpää bereits im Jahr 2016 und dauerten bis Ende 2019 an. Die Polizei ermittelte zunächst gegen die Gruppe wegen Drogendelikten und Waffendiebstahls, stellte aber fest, dass es sich um junge Neonazis handelte. Sie werden verdächtigt, terroristische Straftaten vorbereitet und mit Sprengstoff in terroristischer Absicht gehandelt zu haben. Anfang 2022 wurden alle fünf wieder freigelassen, aber das Vorverfahren läuft noch. Den Ermittlungsunterlagen zufolge hatte die Gruppe mehrere Jahre lang Minderheiten in der ländlichen Stadt Kankaanpää angegriffen und eine Gruppe gebildet, die stark von der Ästhetik der „Atomwaffen Division“ inspiriert war. Die Anführer der Gruppe standen in Verbindung mit den Clubhäusern der „Crew 38“ (finnische Hammerskin-Supporter) in Muurame und Kerava, die wichtige Eckpfeiler der extrem rechten Musikszene sind. Wann der Prozess stattfinden wird, ist noch nicht entschieden.

Der anderen terroristischen Gruppe in Lahti gehörten vier Männer an, von denen drei wegen terroristischer Straftaten zu Haftstrafen verurteilt wurden.2 Dies ist das erste Mal, dass extrem rechte Personen in Finnland wegen terroristischer Straftaten verurteilt wurden. Der Hauptverdächtige war zuvor Kandidat der Finnenpartei gewesen und hatte sich in den Kreisen der „Blauschwarzen Bewegung“ zunehmend radikalisiert und vor einigen Jahren an rassistischen und identitären Konferenzen teilgenommen. Er wurde für schuldig befunden, die Gruppe in Lahti angeführt und die 3D-gedruckten „FGC-9“-Schusswaffen hergestellt zu haben. 

Nachdem die Gruppe das Haus einer ostasiatischen Familie heimgesucht und Propagandavideos produziert hatte, wurden die Männer bei einer Schießübung im Freien verhaftet, und ihre Kommunikation wurde untersucht. Dabei handelte es sich größtenteils um rassistische Fantasien, aber sie diskutierten auch über mögliche Anschläge auf den Premierminister, den Generalstaatsanwalt, antifaschistische Demonstrationen sowie Cafés und Punk-Treffpunkte, die sie als „linke politische Feinde“ betrachteten.

  • 1

    Tommi N., Kimmo N., Aku M., Markus J. und Jere-Matias N. (Vgl. https://varisverkosto.com/2024/01/a-total-of-10-nazi-terrorists-convict…)

  • 2

    Der Hauptverdächtige Viljam Lauri Antero Nyman wurde wegen schwerer Schusswaffendelikte in terroristischer Absicht, Ausbildung zur Begehung einer terroristischen Straftat und Drogendelikten zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Petteri Niko Suikki wurde wegen schwerer Schusswaffenvergehen in terroristischer Absicht, Ausbildung zur Begehung einer terroristischen Straftat und fünf weiterer Straftaten zu einem Jahr und neun Monaten Haft verurteilt. Tuukka Tapani K. wurde wegen Beihilfe zu einer schweren Schusswaffentat in terroristischer Absicht, wegen Beihilfe zur Ausbildung für eine terroristische Straftat und wegen eines geringfügigen Schusswaffendelikts zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Rentner Jyrki Voitto Antero Niemi wurde wegen Schusswaffendelikten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt. (Vgl. https://varisverkosto.com/2024/01/a-total-of-10-nazi-terrorists-convict…)