Antifa Ratschlag 2024. Austausch, Organisierung, Vernetzung – Antifa raus aus der Deckung!
ANTIFA RATSCHLAG 2024Eine inner- und außerparlamentarisch erstarkende Rechte, Druck auf antifaschistische Strategien und Strukturen – unter Antifas gibt es derzeit einen erhöhten Austausch-und Vernetzungsbedarf über Fragen wie: Wo stehen wir? Wirken unsere Strategien noch? Was sind die antifaschistischen Aufgaben und Herausforderungen der nächsten Zeit?

Austausch, Organisierung, Vernetzung – Antifa raus aus der Deckung!
Nachdem 2024 bundesweit verschiedene Vernetzungstreffen, Camps und Kongresse stattfanden, haben wir für November 2024 in Berlin zum Antifa Ratschlag unter dem Motto „Austausch, Organisierung, Vernetzung – Antifa raus aus der Deckung!“ eingeladen. Dabei wurden antifaschistische Strategien der vergangenen Jahre betrachtet. Es gab Workshops und Vorträge, die sich mit den Grundlagen für eine antifaschistische Organisierung und Praxis beschäftigten. Auch wurden schlaglichtartig einzelne Themen aufgegriffen, die in Antifa-Kreisen zu wenig Beachtung finden, darunter die derzeitigen Asylrechtsverschärfungen, der Neukölln-Komplex oder der Umgang mit Sozialen Medien.
Ein frühes Highlight bildete das Panel zum 20-jährigen Bestehen der Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen!“, bei dem auch der Launch ihrer Broschüre gefeiert wurde. Gemeinsam mit Antifas verschiedener Generationen wurde über Formen der NS-Verherrlichung vergangener Jahrzehnte diskutiert und Kampagnen gegen diese ausgewertet. Hervorgehoben wurde, dass die langjährige und mühselige antifaschistische Arbeit dann erfolgreich ist, den rechten Konsens zu brechen, wenn sie auf soliden Grundlagen fußt: Auf antifaschistischer Recherche und ihrer Verwertung (Broschüren, Infoveranstaltungen) sowie einer Politik der Nadelstiche und vielfältigen Aktionsformen, die auf ihre jeweiligen Zielsetzungen angepasst und flexibel sind.
Eine solche Rückbesinnung auf die Erfahrungen und Standards antifaschistischer Praxis hilft auch bei der Beschäftigung mit aktuellen Themen: der Umgang mit der erstarkenden Straßengewalt von (Jung-)Neonazigruppen in Berlin, die antifaschistischen Mobilisierungen zu CSDs in Ostdeutschland, die Versuche der vergangenen Jahre, Klimaproteste und Antifa näher zusammenzubringen, die Suche nach Strategien gegen die fortschreitende Etablierung der AfD als politische Kraft.
Auf einige Punkte wollen wir im Folgenden tiefer eingehen.
Aufgaben und Reflexionen zu Ostdeutschland
Im Herbst 2023 gründete sich in Berlin mit dem „Solidarischen Bündnis gegen Rechts“ ein neuer Akteur im Anti-AfD-Spektrum. Das Bündnis hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Zusammenarbeit mit antifaschistischen Strukturen in Brandenburg zu verbessern und antifaschistische Akteur*innen in Brandenburg zu stärken. Das erste Etappenziel waren hierbei die Landtagswahlen in Brandenburg im September 2024. In der Zeit des Wahlkampfs unterstützte das Bündnis linke Strukturen in ihren lokalen Kämpfen mittels Umverteilung politischer Ressourcen und Kapazitäten, zum Beispiel durch Mobilisierungen aus Berlin zu Kundgebungen und Demonstrationen in Brandenburg, durch die Bereitstellung finanzieller Mittel, von Rechercheinformationen oder durch Schutzstrukturen für Veranstaltungen. An vielen Stellen konnten nicht alle Erwartungen erfüllt werden. Dennoch entstanden neue politische Beziehungen und Netzwerke zwischen Berliner und Brandenburger Strukturen, die kontinuierlich weiter ausgebaut werden. Gerade Berlin kann davon profitieren, die Großstadt-Politbubble zu durchbrechen und sich wieder stärker mit den angrenzenden Regionen zu verbinden.
Nicht zuletzt macht das größer werdende Neonaziproblem in diversen Berliner Bezirken deutlich, wie viel wir von den Erfahrungen der Genoss*innen außerhalb der Großstadt lernen können. Gerade dieser Erfahrungsaustausch steht für uns im Zentrum einer notwendigen Vernetzung ostdeutscher Antifastrukturen, auch über Berlin und Brandenburg hinaus. Denn die Bedrohungen sind nicht für alle gleich. Es macht einen Unterschied, wo ich wohne, wie ich äußerlich wahrgenommen werde oder auf welche Art ich politisch aktiv bin. Die Antworten auf diese Herausforderungen können wir als Antifabewegung nur gemeinsam finden. Dafür braucht es verbindliche und vertrauensvolle Strukturen, die einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch, eine gemeinsame Reflexion bisheriger Ansätze und die Suche nach geeigneten Strategien und Handlungsperspektiven ermöglichen.
Bestehende Institutionen wie das AJUCA, der JUKO Chemnitz oder der Antifa Ratschlag Thüringen sehen wir als wichtige Anknüpfungspunkte für weitere Debatten.
"Jugend Voran" - Die Jugendstrategie der Neonazis
Seit Sommer 2024 werden rechte Jugendgruppen bundesweit präsenter. Auch in Berlin, wo die sogenannte „Deutsche Jugend voran“ (DJV) einen - kläglich gescheiterten - Störversuch beim Berliner CSD unternahm oder Antifaschist*innen in Berlin angriff. Ein Vortrag präsentierte aktuelle Rechercheergebnisse. Das Beispiel DJV zeigt die zunehmende Bedeutung von Sozialen Medien für die Vernetzung von Rechten, über die für Aktionen mobilisiert, neue Leute angeworben und überregionale Bekanntschaften geknüpft werden konnten.
Die Frage, wie man mit omnipräsenten extrem rechten Inhalten und Akteuren auf Social Media umgeht, wurde auf einer Veranstaltung mit zwei Content-Creatorinnen diskutiert.
Dass rechte Jugendliche sich wieder selbstbewusst auf Berliner Straßen bewegen und versuchen, an die rechte Jugendkultur und Gewalt in den 1990ern anzuknüpfen, erfordert eine antifaschistische Antwort. Dafür braucht es mehr Recherchewissen über aktuelle rechte Jugendbewegungen, ihre Akteure und Methoden. Einen Anfang konnte dieser Vortrag machen. Dennoch braucht es dazu noch mehr Diskussionsräume, da verschiedene Aspekte, wie die Rolle junger rechter Frauen, bislang noch unterbeleuchtet sind. Hier muss auf feministische Analysen zur extremen Rechten zurückgegriffen werden, um rechte Geschlechterdynamiken in den Blick zu nehmen.
Schutz und antipatriarchale Standards
Dies gilt auch für die Frage des Umgangs mit den Angriffsversuchen der rechten Jugend. Dabei lassen sich die Diskussionen um effektive Schutzstrategien mit den Debatten der vergangenen Jahre zu Männlichkeit und patriarchalen Fallstricken bei offensiver Praxis in der Szene verknüpfen. Die daraus resultierenden Fragen, was wir als Bewegung unter Schutz verstehen, wem welche Schutzaufgaben zugetraut werden und was der Szenestatus damit zu tun hat, wurden in einem Workshop diskutiert. Ausgangspunkt war die viel geteilte Feststellung, dass auch unser Schutzverständnis nicht losgelöst von gesellschaftlichen Vorstellungen funktioniert. Es besteht daher die Gefahr, Schutz rein körperlich, nach außen gerichtet und individualistisch zu verstehen und damit großen, kampfsportaffinen Personen zu übertragen, die darüber die Möglichkeit erhalten, Gewalt auszuüben und ihre Position in der Szene zu erhöhen.
Dass dies ein zu kurzes Schutzverständnis ist wurde weit geteilt. Stattdessen sollten wir Schutz nicht isoliert als körperliche Auseinandersetzung nach außen begreifen, sondern in einem Zusammenhang mit Awareness und Supportstrukturen (ob „Erste Hilfe“ oder emotionaler Support) sehen, um seine Wirkung nach innen zu berücksichtigen. Andererseits wurde kritisiert, dass die Individualisierung von Schutz einer antifaschistischen Bewegung weder würdig noch möglich ist. Schutz kann nicht nur als defensiver Vorgang verstanden werden, sondern muss immer darauf angelegt sein, die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Neonazis aktiv werden, zu ändern und ihre Handlungsräume einzuengen. Zudem müssen wir als Bewegung gemeinsam wehrhaft sein oder werden, ohne hierbei gesellschaftliche Machtverhältnisse und Hierarchien (wie Patriarchat oder Rassismus) zu reproduzieren. Der Zweck heiligt auch hier ausdrücklich nicht alle Mittel, wenn die Mittel den Zweck verkehren können.
Die Diskussionen des Workshops können hierbei nur ein Auftakt sein, die vergangenen Debatten und Erkenntnisse wieder mehr aufzugreifen.
Kritik und Ausblick
Der Ratschlag spiegelte den Stand der Berliner Szene wider. Dazu gehört auch das Eingeständnis, dass wir nicht alle erreichen konnten. Insbesondere linke migrantische Jugendgruppen waren kaum repräsentiert, was auch daran lag, dass die Orgastruktur diese Diversität nicht abbildete. Das ist kein neues Thema und es bleibt notwendig, sich weiter damit auseinanderzusetzen. Zudem wurde im Vorfeld entschieden, das Thema Israel/Palästina nicht ins Programm aufzunehmen. Erfahrungen haben gezeigt, dass es bei dem Thema oft zu Vereinnahmungen ganzer Veranstaltungen kommt. Dennoch halten wir es für notwendig, die Diskussionen zu Antisemitismus und Rassissus andernorts weiterzuführen.
Es stellten sich einige strukturelle Herausforderungen: Wiederholt verharrten die Diskussionen in der Vergangenheit und dem Jetzt und es gelang selten, den Blick nach vorne zu richten. Auch gab es Schwierigkeiten, das Gesagte und die konkrete antifaschistische Bewegungspraxis zusammenzubringen. Außerdem fiel auf, dass Antifas in ihren Analysen und Kämpfen mit so unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sind, dass eine gemeinsame Diskussion schwerfällt.
Umso wichtiger war es, in den Austausch zu treten. Es gelang, interne Reflexionsprozesse zugänglich zu machen und neue Impulse zu geben. Um uns zukünftig stärker aufeinander beziehen zu können, sind Räume zur gemeinsamen Reflexion und Debatte unabdingbar. Dafür braucht es zuverlässige Strukturen, die einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch und gemeinsame Diskussionen ermöglichen. Auch über Berlin heraus.