„The boys are back in town“ (USA)
Xavier BonnetTrump hat, wenige Stunden nach seiner Vereidigung, die Kapitolstürmer und hunderte weitere extrem rechte Kader und Mitläufer begnadigt. "The boys are back in town“ postete Enrique Tarrio von den "Proud Boys" nach seiner Freilassung zurecht auf X.

„Wessen Haus?“ fragte Enrique Tarrio und drehte sich in Richtung des US-Kapitols. „Unser Haus!“, brüllten mehrere "Proud Boys" – eine Szene im Januar 2025, die Bände spricht. Gerade hatte Trump, wenige Stunden nach seiner Vereidigung, die Kapitolstürmer und hunderte weitere extrem rechte Kader und Mitläufer begnadigt. Weshalb, das begründete Trump später in einem Interview. Die „Gefangenen“ seien „ja selbst angegriffen worden, sie wurden von unserer Regierung angegriffen“, behauptete er, sie seien „unfair, fürchterlich behandelt worden“. Er, Trump, habe mit der Begnadigung „der Menschheit eine großen Gefallen getan“.
Gut vier Jahre zuvor hatte die Schlägertruppe um ihren Chef Enrique „Henry“ Tarrio (der seine Leute von einem Hotel aus dirigierte) das US-Kapitol zu stürmen versucht, und mit ihr Tausende weiterer Rechtsextremer. Verhindert werden sollte die amtliche Bestätigung der Präsidentschaftswahlen 2020, angestachelt von Trumps Lüge, die Wahl gegen ihn sei manipuliert und ihm „gestohlen“ worden. Mehr als 2000 drangen in das Kapitol ein, zertrümmerten Fenster, schlugen auf Polizeibeamte ein, plünderten Büros und suchten nach Abgeordneten, die sie umbringen wollten, einschließlich Vizepräsident Mike Pence („Hang Pence“). Eine Stürmerin wurde von der Polizei im Kapitol erschossen, ein Beamter erlag zwei Schlaganfällen. Drei Menschen starben infolge von medizinischen Notfällen am Kapitol, vier Polizeibeamte begingen später Selbstmord.
Über 1500 Personen wurden in der Folge nach einer FBI-Untersuchung wegen ihrer Beteiligung an dem Angriff auf das Kapitol verhaftet und zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Ein Kongress-Ausschuss stellte in einem fast 850-seitigen Bericht fest: „Die Hauptursache des 6. Januar war ein Mann, der ehemalige Präsident Donald Trump, dem viele andere folgten. Keines der Ereignisse des 6. Januar wäre ohne ihn geschehen“, so das Gremium. Seine Empfehlung: Trump deshalb strafrechtlich zu verfolgen. Dazu kam es bekannterweise nicht. Stattdessen machte ihn eine Mehrheit der US-amerikanischen Wählerschaft zum 47. Präsidenten.
„The boys are back in town“ postete Tarrio nach seiner Freilassung zurecht auf X. Dies gilt für ihn, für Trump und die Kapitolstürmer. Hunderte Mitglieder der extrem rechten "Proud Boys" waren am 6. Januar 2021 aus dem ganzen Land zusammengekommen und marschierten zum Kapitol, ohne zuvor an der Trump-Kundgebung an diesem Morgen teilgenommen zu haben.
„New in town“, und zwar von Trump und den Senats-Republikanern in die höchsten politischen Ämter gehievt, sind daneben loyale extrem rechte und rechtslibertäre Gestalten. Sie betreiben im Zusammenspiel mit Elon Musk, auf den sich die Medienaufmerksamkeit richtet, den autoritären
Staatsumbau mit schockierender Geschwindigkeit. Das Dekret von Trump begnadigte bis auf wenige Ausnahmen alle Inhaftierten „vollständig und bedingungslos“. Zudem ordnete es die Abweisung sämtlicher anhängiger Anklagen ab. Tarrio war im September 2023 zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der zuständige Bezirksrichter hatte ihn als „den ultimativen Anführer der Verschwörung vom 6. Januar“ bezeichnet.
Eine weitere bekannte Figur des Aufstands, die begnadigt wurde, ist der sogenannte "QAnon-Schamane" Jake Angeli-Chansley, der zu 41 Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Ein dritter prominenter Freigelassener ist der Gründer der "Oath-Keepers"-Miliz Stewart Rhodes. Der Ex-Fallschirmjäger der US-Armee und an der Yale-Eliteuniversität ausgebildete Rechtsanwalt hatte 30 seiner bewaffneten Milizionäre in den Tagen vor dem Sturm nach Washington gebracht. Die Gruppe versteckte Waffen in einem größeren Waffenlager unweit des Kapitols für den Fall, dass Trump das Kriegsrecht ausgerufen hätte. Wie Tarrio war auch Rhodes davon ausgegangen, dass Trump oder einer seiner Loyalisten im Weißen Haus den Befehl zur militärischen Übernahme des Kapitols und zur Festnahme von Kongressmitgliedern geben würde. 2023 wurde Rhodes zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt.
Unter den laut Justizministerium 1583 Personen, die verhaftet und/oder verurteilt und schließlich begnadigt wurden, befanden sich über 300, die Angriffe zugegeben hatten, und 69, die sich für schuldig erklärt hatten, Polizeibeamte mit einer gefährlichen oder tödlichen Waffe attackiert zu haben. Laut einer Studie der University Maryland hatten rund 300 Randalierer direkte Verbindungen zu 46 extrem rechten Gruppen oder Bewegungen. Bei vierzehn wegen schwerster Verbrechen verurteilter Personen wurden die Urteile umgewandelt, d. h. ihre Straftaten bleiben zwar aktenkundig, aber sie werden dennoch aus dem Gefängnis entlassen. Dazu gehört auch "Oath-Keepers"-Chef Rhodes. Er darf im Gegensatz zur großen Mehrzahl der Begnadigten, die ihre staatsbürgerlichen Rechte wieder aus üben können, keine Waffen tragen noch an Wahlen teilnehmen. Das FBI dürfte die Suche nach mindestens 13 Verdächtigen und Flüchtigen (so der Stand von Mitte Januar 2025) eingestellt haben. Denn die Behörde ist inzwischen „gesäubert“ und mit
Trump-Loyalisten besetzt worden. Auf der trumpistischen Website "Patriots.win" drückten Dutzende von Ultra-Rechten ihre Hoffnung auf Hinrichtungen von Demokraten, Richtern oder Strafverfolgungsbehörden aus, die den Kapitolsturm vom 6. Januar 2021 untersucht hatten. Juristen oder Polizisten müssten gehängt, „zu Tode geprügelt“, „in Holzhackern zermahlen“ oder „aus Hubschraubern geworfen“ werden, war zu lesen, „Die gesamte Bundesjustiz in einem Stadion zusammentreiben. Und sie dann zuhören und zusehen lassen, wie die Richter zu Tode geprügelt werden“, hieß es, „die Köpfe abschneiden und vor dem Justizministerium aufspießen“.
Dass es zu solchen Szenen kommt, ist bis auf Weiteres auszuschließen. Denn das Instrumentarium autoritär-(neo)faschistischer Gewalt und seine Institutionen sind subtiler angelegt, gerade weil der Staatsumbau noch im Gange ist und sich demokratisch zu legitimieren versucht. Noch sind Gerichte in der Lage, manche Grenzüberschreitungen vorübergehend zu stoppen. Noch schreckt das Trump-Regime davor zurück, etwa Richter festnehmen zu lassen. Gleichwohl herrscht bereits jetzt – angesichts der Massenentlassungen von unliebsamen und „überflüssigen“ Verwaltungsangestellten in den Bundesbehörden und nicht nur dort – ein Klima der Angst.
Parallel dazu hat Trump extrem Rechte und Verschwörungsgläubige in die höchsten Regierungsämter berufen, mit Zustimmung der Republikaner-Senatoren, die ihm ergeben sind. Neuer FBI-Chef ist beispielweise Kash Patel. Er leitet die oberste Ermittlungsbehörde des Landes und deren
umfangreichen Überwachungsapparat. Inkompetenz ist ihm nicht vorzuwerfen. Schon in der ersten Trump-Regierung hatte Patel eine Reihe von Funktionen inne, etwa als Staatsanwalt im Justizministerium, als nationaler Sicherheitsberater, Mitglied des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses und im Nationalen Sicherheitsrat. Er war häufiger Gast in konservativen wie teils auch offen neofaschistischen Medien, beispielsweise in Podcasts von Steve Bannon und Shawn Ryan, Ex-Navy-Seal und CIA-Mitarbeiter. "The Shawn Ryan Show" – einer der meistgehörten Podcasts in den USA, ist der Lieblingspodcast extrem rechter Militärs.
Äußerten sich FBI-Agenten anonym beunruhigt über den Hardliner und Trump-Vertrauten Patel als ihren neuen Chef, so gaben sie sich nach Presseberichten mehr als bestürzt über dessen Stellvertreter Dan Bongino. Der ehemalige "Fox"-Moderator und Agent des "Secret Service" sei ein „radikaler Rechter“, wurden mehrere FBI-Beamte zitiert. Bongino war in einem Podcast mehrmals mit der Behauptung aufgefallen, die Behörde, die er nun leiten soll, sei „durch und durch korrupt“ und „von Wokeismus verseucht“. Trump, „der einzig legitime Präsident“, sei vom „tiefen Staat und seiner Justiz betrogen“ worden. Bonginos Posten als stellvertretender Direktor wird für wichtiger gehalten als der des FBI-Chefs. Denn der Stellvertreter überwacht Operationen,
beaufsichtigt FBI-Außenstellen und ist mit den geheimsten Informationen befasst. Befürchtet wird, dass sich das neue FBI gänzlich den Wünschen von Trump beugt und sich zur repressiven Waffe gegen die Opposition – skeptische Republikaner, Demokraten, Progressive und Linke – machen lässt.
Das Kippen des US-Staatsapparats ins Autoritäre geht einher mit Bemühungen, der extremen Rechten „im Feld“ den Boden zum Aufstieg in die Repressionsorgane von Polizei und Militär zu bereiten. So wurde beispielweise Anfang März 2025 bekannt, dass der Generalinspekteur des Pentagon, der Infiltrierung des Verteidigungsministeriums mit Neonazis nichts mehr entgegensetzen will. Vorhaben aus der Vergangenheit, Rechtsextremismus in den eigenen Rängen „zu identifizieren und ihnen entgegenzuwirken“, seien mit sofortiger Wirkung einzustellen, hieß es. Begründung: „the project does not align with President Donald Trump‘s executive orders” ("das
Projektvorhaben deckt sich nicht mit Präsident Donald Trumps Exekutivverordnungen").
Demgegenüber verblassen die Pläne einiger von Trump begnadigter Kapitolstürmer, in republikanischen Vorwahlen anzutreten und in den Kongress gewählt zu werden. Enrique - „The Boys are back in town“ - Tarrio ist einer von ihnen.