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»Die Polizei griff nicht ein...«. Interview mit Flüchtlingen aus Hoyerswerda

Einleitung

Der Text ist aus einem Interview entstanden, das wir Mitte Oktober 1991 mit Pierre, Robert und Jean (Namen geändert) geführt haben. Die drei lebten zur Zeit der Pogrome als Flüchtlinge in den Wohnheimen in Hoyerswerda. Sie äußern sich zu den Lebensbedingungen und Angriffen auf ihr Wohnheim, zu ihrer Flucht nach Berlin und der dortigen Unterbringung. Unsere Fragen, die sich lediglich auf den Gang der Ereignisse bezogen, wurden zwecks besserer Lesbarkeit weggelassen.

Bild: Umbruch Bildarchiv

Empfang und »Betreuung« in Hoyerswerda

Pierre: In Hoyerswerda waren Vietnamesen, Äthiopier, Rumänen, Jugoslawen, Kameruner, Ghanesen, Senegalesen, Angolaner... Wir kamen aus verschiedenen Orten. Einige aus Frankfurt, andere kamen aus Berlin und es gab auch welche, die aus Zittau kamen, die ihr Verfahren im Osten begonnen haben. Manche kamen auch aus Niedersachsen.

Wir kamen zuerst nach Chemnitz. Von dort wurden wir nach Hoyerswerda geschickt. Am Anfang fühlten wir uns gut aufgenommen. Nach einem Monat stellten wir fest, dass die Bevölkerung uns nicht gut gesonnen war. Man beleidigte uns, man bedrohte uns auf der Straße, sie griffen uns an, sie belästigten uns. So waren wir gezwungen, nur noch in Gruppen auszugehen. Gingst du raus zum Telefonieren gab es Probleme; gingst du einkaufen, wurdest du bedroht, all das. So haben wir schnell verstanden, dass die Leute von Hoyerswerda uns nicht mochten.

Was die Behörden angeht: Wir wurden nicht gut betreut. Selbst zu Beginn der Probleme haben die Behörden uns nicht geschützt. Ihr Engagement war nicht gerade ausreichend. Und zu unseren Informationen: Wir waren nicht wirklich informiert. Nehmen wir einen Fall als Beispiel: In Deutschland gibt es seit August ein Gesetz, dass die Arbeit für Asylbewerber regelt. Seit dem ersten August haben alle Asylbewerber das Recht zu arbeiten. Aber uns gegenüber haben sie das verschwiegen. Sie wollten uns nicht mitteilen, dass wir arbeiten dürfen. Wir übten Druck auf die Behörden aus, uns die Arbeitserlaubnis zu erteilen. Und selbst als sie mitbekommen hatten, dass wir die Information  besaßen, waren sie noch immer unwillig; sie haben uns die Genehmigung nicht erteilt.

Also, es gab eine Menge vorenthaltener Informationen. Grund für uns, uns Anwälte zu suchen, die sich ein wenig für Betreuung, Schutz und Informationen einsetzen.

Robert: Als es um die Anwälte ging, sagten sie uns, sie könnten keine für uns finden, in Ostdeutschland sei es unmöglich und wenn wir im Westen suchen würden, könnte das sehr lange dauern. Daher würden wir sowieso in keiner Frage Erfolg haben. Das teilten sie uns offiziell mit. Wenn wir andere Fragen oder Probleme hatten, z.B. wie wir den Ort wechseln könnten, sagten sie: »Wir können euch nicht helfen, das ist euer Problem. Ihr seid hier hergekommen mit euren Problemen, jetzt löst sie auch selbst.«

Unter den Sozialarbeitern war einer mit Erfahrungen im internationalen Recht. Er hat über sechs Jahre in Kolumbien gearbeitet. Als wir uns an ihn wandten, weil einige Leute auf der Straße angegriffen worden waren, sagte er immer nur: »Kein Problem.« Immer nur: »Kein Problem.« Und immer wuchs das Problem, bis schließlich das Heim, in dem wir lebten, angegriffen wurde. Schon am Anfang stellte sich die Polizei auf die Seite der Faschisten. Ihr wisst, Hoyerswerda ist eine kleine Stadt. Man trifft sich, man kennt sich, und darum können sie sich nicht mit denen hauen. Schließlich kam die Polizei aus Leipzig und anderswo mit Hubschraubern und schützte uns, bevor wir evakuiert wurden.

Die Angriffe begannen beim Heim der Mosambikaner (dem Arbeiterwohnheim, Anm. d. Red.). Schon oft waren sie auf der Straße geschlagen worden und Schritt für Schritt kamen sie (die Angreifer, Anm. d. Red.), um das Heim anzugreifen, bis schließlich viele im Krankenhaus lagen. Danach ging das dann mit den Vietnamesen los. Da wurden ihnen auf der Straße Dinge nachgerufen. Auch Leute von uns wurden geschlagen, als sie zur Kirche oder woandershin gingen. Schließlich kamen sie, um unser Haus anzugreifen: Mit Raketen und Tränengas schossen sie, und alles wurde wie auf einem Kriegsschauplatz, nein, ein Schlachtfeld war es.

Die Angriffe auf die Heime

Pierre: Sie begannen die Angriffe bei den Mosambikanern und danach bildeten sich Gruppen. Sie hatten auch Hunde. Wenn ein Ausländer auf der Straße an ihnen vorbeiging, ließen sie den Hund auf ihn los, und so etwas machten sie jeden Tag. Die Polizei griff nicht ein, wir verstanden es nicht. Und dann, es war der 20. September, griffen sie uns an.

Während des Tages, bevor sie kamen, gaben unsere Sozialarbeiter uns zu verstehen: »Heute wird der Angriff sein. Also bereitet euch vor: Schlaft nicht, seid vorsichtig, schließt die Fenster usw. – sie werden kommen und euch angreifen.« Also, es war, als ob es vorbereitet gewesen wäre. Ganz Hoyerswerda wusste es, dass wir an diesem Tag zu dieser Zeit angegriffen werden würden. Als der Angriff dann begonnen hatte und wir einige Blicke nach draußen riskierten, sahen wir einige von den Sozialarbeitern, die bei uns arbeiteten, unter diesen Gruppen. Sie taten nichts, sie sahen nur zu. Wir verstanden es nicht. Es war wie eine vorbereitete Sache, vorbereitet von der ganzen Bevölkerung der Stadt.

Robert: Wir taten nichts. Für mich und ich glaube für viele andere ging es nur darum, uns zu verstecken. Wir hatten nicht einmal Tränengas, gar nichts, außer dem Tisch, von dem wir aßen oder das Bett, auf dem wir schliefen. Wir sagten ganz offen, dass wir nichts hatten, um sie abzuwehren. Sie hätten kommen und uns töten können.

Pierre: Am zweiten Tag des Angriffs hatten wir Steine gesammelt und sie nach drinnen gelegt. Als die Skinheads eintrafen, kamen die Sozialarbeiter zu uns und nahmen alles weg, was wir vorbereitet hatten: Die Steine, die Flaschen, sie haben das alles weggeworfen. Sie verboten uns, auf die Angriffe zu antworten, uns zu verteidigen. Sie haben alles konfisziert, was wir als Waffe oder Instrument zur Selbstverteidigung hatten.

Also, als sie ankamen (gemeint sind die rund 400 antirassistischen Unterstützer_innen, die am 22. September, dem vierten Tag der Angriffe, mit einem spontanen Autokonvoi aus Berlin nach Hoyerswerda aufbrachen; Anm. d. Red.) verlangten drei aus diesen Gruppen von der Polizei die Erlaubnis, in unser Haus kommen zu dürfen, um uns einige Fragen zu stellen. Die Polizei stimmte nicht zu, doch wir bestanden darauf. Wir wollten mit diesen Leuten reden, damit sie wüssten, was hier vor sich geht. Auch unsere Sozialarbeiter wollten sich nicht darauf einlassen. Aufgrund unserer Beharrlichkeit gestatteten sie schließlich zwei oder drei Leuten aus diesen Gruppen, sich mit uns zu unterhalten.

Die Evakuierung

Robert: Manchmal kamen Leute, die von diesen Vorfällen am Anfang gehört hatten, um festzustellen, was unsere Probleme sind. Auch Journalisten. Sie kamen vom Fernsehen, um zu fragen, was los ist. Aber Frank, unser Sozialarbeiter, verwehrte ihnen den Eintritt. »Es geht ihnen gut«, sagte er, »es gibt keine Probleme und keine Erlaubnis, sie selbst zu fragen.« Er wollte nicht, dass die internen Probleme in unserem Haus genauer bekannt werden.

Pierre: Seit ihr da gewesen wart (gemeint ist der Autokonvoi; Anm. d. Red.), von diesem Punkt an sagte der sächsische Innenminister, dass er uns nicht länger schützen könne, da man das nicht länger bezahlen könnte. Also gab es die Entscheidung, dass wir Hoyerswerda verlassen sollten. Sie kamen um 14 Uhr, am Montag den 23. September. Um 14 Uhr teilten sie uns die Entscheidung mit, dass wir um 15 Uhr den Ort verlassen müssten. Also gaben sie uns eine Stunde, uns vorzubereiten, unsere Sachen zu packen und abzufahren. Das Ziel war uns unbekannt. Wir diskutierten, dass wir so nicht fahren könnten, ohne zu wissen, wohin sie uns bringen. Aber sie bestanden darauf und wir konnten nichts machen. Wir mussten es ganz einfach so hinnehmen. Es gab drei Busse. Wir Afrikaner waren alle in einem. So verließen wir Hoyerswerda. Als wir abfuhren, wurde ein Bus angegriffen. Das heißt, die Skinheads waren da. Von der Seite warfen sie Steine auf einen der Busse. In unserem Bus war ein Mitarbeiter des Sozialamts. Vor uns fuhr ein Lastwagen mit Soldaten (wahrscheinlich Bundesgrenzschutz; Anm. d. Red.). Als wir auf der Landstraße waren, kehrten die Soldaten um und wir blieben dort allein. Wir fuhren bis zu einem entfernten Dorf, das Meißen heißt. Bevor wir in den Ort fuhren, sahen wir auf den Brücken die Parolen »Ausländer raus«. Wir verstanden genug deutsch um zu wissen, dass dies die Parolen der Faschisten, der Rassisten sind.

So hatten wir schon im voraus Angst vor diesem Ort, da wir Hoyerswerda ja genau wegen dieser Dinge verlassen mussten. Wir kamen also in Meißen an, und es ist überall dasselbe. Vor allem war der Ort nicht angemessen. Es war ein isolierter Platz in einem Wald. In Hoyerswerda waren wir in einer Stadt mit all ihren Möglichkeiten. Aber dort in Meißen, das war eine Katastrophe, schlimmer als vorher in Hoyerswerda. Wenn es da einen Angriff gegeben hätte, wären wir nicht in der Lage gewesen, die Polizei rechtzeitig zu verständigen oder uns selbst zu verteidigen. So beschlossen wir, den Bus nicht zu verlassen, obwohl uns der vom Sozialamt dazu zwingen wollte. Schließlich haben sich der Typ und der Busfahrer ein Taxi rufen lassen und sind zurückgefahren.

Über die anderen Busse wissen wir nichts. Es waren nur wir Afrikaner, die in Meißen waren. Also blieben wir im Bus und verbrachten dort die ganze Nacht, ohne irgendwas zu essen. Wir waren dort völlig verlassen. Es war schon eine seltsame Ecke: Es gab Gleise und Züge fuhren vorbei. Vom Bus aus sahen wir Leute in den Zügen an uns vorbeifahren. Sie beleidigten uns, sie tuschelten über uns, zeigten uns die Finger... und wir hatten schnell kapiert, dass wir hier nicht sicher sein würden, dass es dasselbe wie in Hoyerswerda sein würde. Wir wollten auf den Typ vom Sozialamt warten, damit er nach Chemnitz fährt, wo die Zentralstelle ist und unsere Akten geführt werden. Er sollte von seinem Chef verlangen, uns einen sicheren Platz zu suchen. Wir warteten die ganze Nacht, er kam nicht zurück. Ebenso am Morgen: Wir waren da und warteten, er kam nicht. Es wurde Mittag. Und immer noch sahen wir diese Leute vorbeifahren, die uns beleidigten. Gegen 16/17 Uhr entschieden wir, den Ort zu verlassen, da wir unter diesen Bedingungen nicht weiter im Bus schlafen konnten. Wir bildeten einen Zug von dort bis zum Bahnhof. Dreimal mussten wir gehen, um all unser Gepäck zum Bahnhof zu bekommen. Wenn dieser Ort wirklich sicher gewesen wäre, dann hätte sich doch jemand um uns gekümmert, wenigstens die Polizei angerufen oder so. Aber niemand hat reagiert. Niemand hat uns gefragt, wo wir hin wollen mit unserem Gepäck auf dem Kopf. So haben wir am Bahnhof den Zug nach Berlin genommen.

Solidarität und Unterstützung

Jean: Wir waren illegal. Gut, glücklicherweise haben eure Gruppen, die autonomen Gruppen uns geschützt in diesen zwei oder drei Wochen und dann hat sich die Kirche um uns gekümmert. Wir haben das Problem erörtert und seitdem warteten wir auf die Entscheidung, ob wir in Berlin bleiben dürfen. Wir kannten Berlin schon recht gut, weil wir hier waren, bevor wir nach Hoyerswerda geschickt wurden. Wir wissen, dass es auch hier Bedrohung und Angriffe geben kann. Aber hier in Berlin sind wir wirklich sicher. Denn wenn etwas passiert, ist nach ein, zwei, drei Minuten die Polizei da und greift ein.

Pierre: Wir wissen genau, dass wir illegal hier waren. Und wir wissen auch, dass wir nicht gegen die Gesetze handeln können, die uns verbieten, ohne Erlaubnis den zugewiesenen Ort zu verlassen. Aber wir haben das aus Notwehr getan. Hier in Berlin kam unsere Angelegenheit auf den Tisch der Regierung. Es gab Treffen, und die Regierung hat sich zusammengesetzt, um unser Problem zu behandeln. Was wir erwarteten war ganz einfach die Entscheidung des Innensenators, dass diejenigen, die hier ihren Asylantrag gestellt haben, in Berlin bleiben können.

Robert: Jetzt sind politische Dinge nötig: Wir haben viele Sachen zurücklassen müssen, in Meißen, in Hoyerswerda, überall. Wir mussten zuerst einmal uns selbst retten. Jetzt, wo die kalte Jahreszeit kommt, fehlt es zum Beispiel an warmer Kleidung. Ob wir die Sachen bekommen oder nicht, wissen wir nicht. Auch das hängt vom Sozialamt ab.

Jetzt zu den anderen Gruppen (die nicht über Berlin nach Hoyerswerda gekommen waren, Anm. d. Red.). Ich finde, Probleme müssen so gelöst werden, wie sie sich stellen. Man kann nach Gesetzen oder Prinzipien handeln. Aber auf der anderen Seite hat jeder das Recht, seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. In Deutschland stehen dem vielleicht Gesetze entgegen, aber auf der ganzen Welt kann man selbst entscheiden, wo man leben will. Egal, ob man in dem Land geboren ist oder nicht. Also politisch unterstützen wir sie (die anderen Flüchtlinge, Anm. d. Red.).

Wenn die Frankfurter Stadtregierung in schriftlicher Form zusichert, dass die (Flüchtlinge, Anm. d. Red.), die nicht über Berlin gekommen sind, in Frankfurt bleiben können und dort untergebracht und beschützt werden -okay. Durch eine Erklärung, Einladung oder so. Wenn nicht, dann sollten sie dort nicht hingehen. Denn Faschismus ist Faschismus, ob in Frankfurt oder Berlin. Deshalb müssen sie dem Faschismus entfliehen, nicht irgendwelchen Städten, wisst ihr?

So sind wir ein wenig in zwei Gruppen geteilt, seit sich für einige von uns Probleme gelöst haben. Die Wünsche und Hoffnungen sind ein wenig anders geworden. Aber wir denken immer an die anderen. Und wenn es etwas gibt, was wir tun können, dann werden wir es tun. Aber es hängt auch von euch ab, den Unterstützer_innen. Es gibt nicht genug Unterstützer_innen. Immer irgendeine Aktion, etwas, womit man Druck erzeugen kann. Aber kein Problem, wir werden weiter zusammen für ihren Erfolg arbeiten.