Die elementarsten Menschenrechte ermöglichen
Interview mit dem Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin. Das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin feiert in diesem Jahr sein fünfjähriges Bestehen.
AIB: Das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe hat gerade seinen fünften Geburtstag gefeiert. Warum habt Ihr Euch damals eigentlich gegründet und mit welchen Zielen?
Daniel: Seit der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1993 und den nachfolgenden Verschärfungen dieses Gesetzes wird ein erheblicher Teil der in Deutschland lebenden Flüchtlinge bzw. MigrantInnen von der gesundheitlichen Regelversorgung ausgeschlossen. Dies betrifft sowohl Flüchtlinge in einem regulären Asylverfahren als auch solche, die mit einem Duldungsstatus hier leben. In den ersten drei Jahren des Asylverfahrens wird beispielsweise eine medizinische Versorgung nur noch im akuten Krankheitsfall, bei Schmerzzuständen und für Schwangerschaft und Entbindung zugestanden.
Darüber hinaus sind die Sozialämter in der alltäglichen Praxis dazu übergegangen, auch jenen, die nach dem Gesetz SozialhifeempfängerInnen gleichgestellt werden sollen, den Zugang zu adäquater Behandlung zu erschweren. Zudem hat die faktische Abschaffung des Asylrechtes zur Folge, dass die Zahl von Flüchtlingen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus wächst. Illegalisierte Flüchtlinge - sogenannte »Illegale«, denn können Menschen illegal sein? - haben keinerlei Anspruch auf gesundheitliche Versorgung und jegliche Inanspruchnahme derselben ist mit einem Abschiebungsrisiko verknüpft. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass ihnen elementare Menschenrechte abgesprochen werden - ein Zustand, der sogar vom Deutschen Ärztetag zurückgewiesen wird.
Unser Ziel war und ist eine Kombination von »sozialarbeiterischer« Arbeit, unter anderem auch wegen der besseren Argumentationskraft, und politischer Arbeit. Bei der Gründung war das Büro ein Zusammenschluss verschiedener politischer Gruppen, von denen eine eine Umfrage unter Flüchtlingen gemacht hatte. Die Frage war, was für sie die größten Schwierigkeiten birgt - und sehr häufig wurde dann die medizinische Versorgung genannt. Für viele Leute, die ins Projekt einstiegen, war es auch der bewußte Ansatz, ein ganzes Themengebiet abzudecken anstatt wenige Personen auf mehreren Ebenen zu betreuen. Das letztendliche Ziel war und ist, auf das Problem aufmerksam zu machen und einen kleinen Einfluss in Richtung Besserung zu erreichen - denn von der »Weltrevolution« hatten sich die meisten AktivistInnen im Projekt schon vorher verabschiedet.
AIB: Wer kommt zu Euch und was bietet Ihr denjenigen, die kommen, an Unterstützung? Und kannst Du sagen, wie vielen Menschen Ihr in den letzten fünf Jahren Unterstützung angeboten habt?
Daniel: Es kommen illegalisierte Flüchtlinge hauptsächlich aus Südamerika und den ehemaligen Ostblockstaaten. Weniger vertreten sind Menschen aus Staaten und Regionen, die hier eine starke Community haben wie beispielsweise KurdInnen. Wir hatten anfangs befürchtet, dass wir mit den Angeboten des Büros bestehende Strukturen zerstören würden. Aber das ist zum Glück nicht passiert. Außerdem kommen auch Flüchtlinge, die im Asylverfahren stecken und sich offiziell in einer anderen Stadt aufhalten müssen, aber in Berlin leben und hier keine medizinische Versorgung erhalten.
Wir bieten ausschließlich die Vermittlung von medizinischer Hilfe - d.h. Von Facharztpraxen, Hebammen, KrankengymnastInnen, HeilpraktikerInnen und anderen medizinischen Einrichtungen. Häufig wird nach Unterstützung bei Geburten, aber auch Abtreibungsmöglichkeiten gefragt. Die Zahl derer, die wir vermitteln, nimmt von Jahr zu Jahr zu, was wahrscheinlich sowohl durch den zunehmenden Bekanntheitsgrad des Büros als auch durch die Zunahme von Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus verursacht wird. Insgesamt haben wir bisher ca. 4.000 Vermittlungen durchgeführt.
AIB: Seid Ihr auch mit Opfern rassistischer Gewalt - sei es Straßengewalt oder institutioneller Gewalt - konfrontiert? Und wenn ja, welche Hilfestellungen braucht diese Opfergruppe?
Daniel: Ja, klar kommen zu uns auch Opfer von rassistischer Gewalt. Erstmal geht es auch da um normale medizinische Hilfe. Bei der Traumaaufarbeitung arbeiten wir dann mit dem Zentrum für Folteropfer zusammen. Und für eine weitergehende Betreuung nehmen wir Kontakt zu anderen Organisationen wie der Opferperspektive in Brandenburg oder Reach Out in Berlin auf.
AIB: Und wo siehst Du die größten Schwierigkeiten für Eure Arbeit?
Daniel: Die Vermittlung von Krankenhausaufenthalten wird immer schwieriger, da die Krankenhäuser immer weniger dazu bereit sind, Flüchtlinge ohne Status und dementsprechend ohne Versicherung oder Krankenscheinübernahme durch das Sozialamt zu behandeln. Auch die Betreuung von chronisch Kranken ist schwierig, da hohe laufende Kosten entstehen.
AIB: Ihr hattet ja immer auch den Anspruch, nicht »nur« Sozialarbeit zu machen, sondern auch politisch zu intervenieren. Ist Euch das bisher gelungen, oder frisst die Arbeit an den einzelnen »Fällen« soviel Energie, dass für politische Kampagnen kaum noch Zeit bleibt?
Daniel: Leider ist dieses Dilemma auch bei uns der Fall. Es gibt einige Aktionen und Kampagnen, die wir durchführten oder an denen wir beteiligt waren. Zum Beispiel Aktionen gegen die zwangsweise Altersbestimmung von Minderjährigen in der Charité oder im letzten Jahr die Bootstour gegen das neue Zuwanderungsgesetz. Um uns etwas glücklicher zu machen, sagen wir, dass die »Sozialarbeit« politisch ist. Der Staat will die Leute weg haben, wobei natürlich die Frage ist, ob das wirklich gewollt ist, oder ob es darum geht, sie in die Illegalität zu zwingen. Und wir ermöglichen ihnen im Gegenzug den Aufenthalt.
AIB: Was würdest Du als die Highlights Eurer bisherigen Arbeit bezeichnen? Habt Ihr in einzelnen Fällen auch Erfolge gehabt?
Daniel: Leute, die krank waren, wurden gesund, und wahrscheinlich wären einige ohne medizinische Hilfe nicht gesundet. Die Gesetzeslage und die Bedingungen für Flüchtlinge in der BRD werden dagegen immer prekärer. Was uns freut ist, dass das Interesse für die Problematik zumindest im medizinischen Bereich zunimmt. Auch wenn es hier hauptsächlich über die humanistische Schiene läuft und nicht über die politische.
AIB: Wie geht Ihr mit dem Widerspruch um, dass Ihr inzwischen von staatlichen Stellen wie beispielsweise der Ausländerbeauftragten, ganz klar als Lückenbüsser zum Versorgungssystem für illegalisierte Flüchtlinge und MigrantInnen gezählt werdet?
Daniel: Dagegen versuchen wir natürlich anzugehen und uns zu wehren. Durch unsere politischen Aussagen versuchen wir, diesem Bild entgegenzuwirken und Sand im Getriebe zu sein.
AIB: Was ist Euer nächstes Ziel bzw. der politische Schwerpunkt für dieses Jahr?
Daniel: Wir haben einen Schwerpunkt in der Mitarbeit bei einer intensiveren europäischen Zusammenarbeit in einem Netzwerk. Ausserdem beteiligen wir uns am Aufbau des deutschen Netzwerkes von »Kein Mensch ist Illegal«. Da geht es aktuell gerade um eine Kampagne gegen die Abschiebungen von staatenlosen KurdInnen aus dem Libanon. Natürlich wollen wir auch nicht lockerlassen und weitere kritische Diskussion und Proteste gegen das Zuwanderungsgesetz anstossen.
AIB: Danke für das Gespräch.
Kontakt: Büro für medizinische Flüchtlingshilfe, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin, Tel.: 030/6946746,
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