Skip to main content

Publizistische Kriminalisierung des Antifaschismus

Einleitung

Kriminalisierung hat viele Ebenen. Eine davon ist, durch Verbreitung und Wiederholung von Unwahrheiten, Halbwahrheiten, Interpretationen und Unterstellungen politische Organisationen zu diskreditieren, um sie isolieren und letztendlich zerschlagen zu können.

Anti-Antifaschismus von Mletzko

Der Autor Matthias Mletzko, der gute Kontakten zu bundesdeutschen Geheimdienst-Kreisen haben soll, entwickelt momentan eine erstaunliche publizistische Aktivität gegen „autonome AntifaschistInnen“. So veröffentlichte er Anfang Februar 1992 nahezu gleich lautende Artikel u.a. im „Göttinger Tageblatt“ und in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ und einen ausführlichen Bericht im Polizeiexperten-Blättchen »Kriminalistik« im März 1992. Ziel seiner Ausführungen ist scheinbar eine Entpolitisierung der antifaschistischen Bewegung, in dem er sie, wie, auf die „Gewaltfrage“ reduziert. Wir zitieren ihn etwas ausführlicher:

»Parallel mit der ständigen Ausweitung des Begriffs "Faschismus" wurde Antifaschismus bald als Kampf gegen den westlichen Imperialismus definiert, schließlich als Mittel der politischen Manipulation und Desinformation eingesetzt und letzlich als Begründung und Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt bei der Durchsetzung politischer Ziele mißbraucht

Der Versuch eine Verbindung zwischen antifaschistischem Widerstand und bewaffnetem Kampf zu konstruieren, erleichtert insbesondere politische Isolierungsbestrebungen:

»Dem Ausbau einer bundesweiten "Antifa"- Struktur räumen deutsche Linksextremisten - insbesondere im Bereich militanter autonomer Gruppen, des RAF-Umfelds und der Revolutionären Zellen (RZ) – neuerdings deutlich mehr Priorität ein. Damit wächst stetig das Potential gewalttätiger und bewaffneter Konfrontationen zwischen Rechts- und Linksextremisten

Mit einer Aufzählung 19 »einschlägiger Zwischenfälle« im Oktober/November in der gesamten Bundesrepublik, bekanntermaßen der Zeitraum, als Neonazis besonders offensiv AusländerInnen und Flüchtlinge terrorisierten, will Mletzko einen »Eindruck der Aktivitätendichte« der AntifaschistInnen verschaffen:

»Sicherheitsexperten verfolgen vor diesem Hintergrund steigender Virulenz1 aufmerksam die gegenwärtig in der militanten Szene geführte "Organisationsdebatte"

Große Angst scheint man vor der Anwendung der „neuen Technologien“ durch zu haben, da immer wieder auf das Mailbox-Projekt »Spinnennetz« hingewiesen wird. Und auch die internationale Zusammenarbeit scheint besorgniserregend:

»Hinsichtlich internationaler Kontakte sind mittlerweile auch konkrete Berührungspunkte der deutschen Szene zu Organisationen wie der kurdischen PKK und türkischen DEV SOL zu berücksichtigen, die sich im Rahmen der 'antifaschistischen/antirassistischen' Mobilisierung in den letzten Monaten ergeben haben

Die Kontakte von deutschen AntifaschistInnen zu der britischen Zeitung »Searchlight«, die bekanntermaßen zum - wenn auch linken - demokratischen Spektrum gehört, scheint dem Autoren zu besorgen und er bemüht sich einen Verbindung zu, in seinen Augen, "Linksextremisten" zu ziehen:

»Im Juli 1991 veröffentlichte die linksextremistische Schrift 'Antifaschistische Nachrichten' ein Interview mit dem 'Europakorrespondenten der antifaschistischen und internationalen Zeitschrift Searchlight'.« (...) »In  England sei 'ein großes Unbehagen über die Situation und Entwicklung in Deutschland zu spüren'

Der Autor räumt ein:

»Im Vergleich zu der 1991 bedrohlich angestiegenen Welle von Gesetzesverletzungen mit nachweislicher oder vermutlicher rechtsextremistischer Motivation (…) mag sich die quantitative Bilanz auf linksextremistischer Seite relativ gering ausnehmen« um in der Folge einzuschränken »Allerdings bestehen hier in qualitativer Hinsicht nach wie vor entscheidende Unterschiede.« Den Neonazis fehle es trotz der Brutalität der Überfälle bisher »noch weitgehend an Organisationsgrad, intelligentem Schrifttum, Raffinesse der Anschlagsplanung und Profil der Führungskader, Merkmale, die das systematische Vorgehen linksextremistisch motivierter Straftäter auszeichnen

Hier mögen sich einige geschmeichelt fühlen, insofern sie ihr Selbstbewusstsein aus solchen Berichten ziehen, tatsächlich geht diese »Erkenntnis« in eine absurde Richtung: Da Linke zielgerichtet kämpfen und nicht blindwütig jede/n auf der Straße zusammenschlagen, seien sie für den Staat gefährlicher. Sein Fazit:

»Insgesamt betrachtet entsteht hier bei der gegenwärtigen Gemengelage in der Gesamtheit betrachtet ein bedenkliches Gewalt- und Konfrontationspotential, das die Sicherheitsorgane hinsichtlich präventiver und repressiver Konzeptionen vor neue Herausforderungen stellt.«

Anti-Antifaschismus vom VS Berlin

Doch nicht nur medial wird einer Kriminalisierung das Wort geredet. Eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Renate Künast (Bündnis 90/Grüne) im Berliner Abgeordnetenhaus ergab, daß das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in »unregelmäßiger Folge« Berichte unter dem Titel »Im Brennpunkt« erstellt.

Bisher existieren zwei, der erste über die »Antifa Jugendfront Berlin« (AJF) vom Oktober 1991, der zweite über »Militante Skinheads in Berlin« vom Januar 1992. Diese Berichte dienen angeblich der »Unterrichtung der Amtsleitung des Landesamt für Verfassungsschutz sowie der Fachaufsicht« und sind nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt, noch nicht einmal die Mitglieder im Verfassungsschutz-Ausschuss des Abgeordnetenhauses in Berlin haben sie erhalten.

Nichtsdestotrotz ist die »Untersuchung« über  die AJF dafür prädestiniert gegen diese Gruppe ins Feld geführt zu werden. In dem Bericht wird ausschließlich aus Veröffentlichungen der AJF zitiert. Die Entstehung und Entwicklung der Gruppe wird ausgeführt und die »Selbstdarstellung/Zielsetzung« analysiert. Nach Ausführungen über die »Terminologie« von Antifaschismus, Rassismus und Sexismus, nachzulesen in den Ausgaben des „Antifa Jugendinfo“, berichten die Autoren über die »Arbeitsmethoden« der AJF:

Drei ebenbürtige Bereiche prägten den erklärten aktionistischen Ansatz der AJF: Öffentlichkeitsarbeit, Strukturarbeit, Widerstand - die Öffentlichkeitsarbeit der AJF wird über die Auflagenhöhe ihrer Publikationen definiert, selbst die Verkaufspreise für Einzelverkäufer und Abonnenten werden detailliert beschrieben, über die »Strukturarbeit« wird vom „Antifa-Jugendcafe“, dem „Antifa-Jugendkongreß“ und den »Vernetzungsbestrebungen Berliner 'Antifa-Gruppen'« berichtet. Die Angaben sind oberflächlich und wenig aussagekräftig und zum Punkt »Widerstand« findet sich erstaunlicherweise kein Wort. Im Kern versucht sich der Bericht darin die »Einstellung zur Gewalt« herauszustreichen:

»Zur Begründung der festgestellten 'absoluten Notwendigkeit' gewalttätiger Aktionsformen im Konflikt mit 'Faschisten' heißt es: 'Gerade in der Antifa reicht es längst nicht mehr, nur über Nazis zu diskutieren, sondern es muß ihnen auch etwas entgegengesetzt werden, ... was ihnen den Mythos der scheinbaren Unbesiegbarkeit runterreißt.'«

Dieses und alle weiteren Zitate sind nachzulesen im öffentlichen Diskussionsbeitrag der AJF »Zum Thema - Gewalt Ja oder Nein oder Wie und wenn Ja Wen?«.

Weitergehende Aussagen finden sich dazu jedoch nicht. Nach einem kurzen Überblick über die Alters-Struktur und der angeblichen Mitgliederzahl der AJF wird die Gruppe schließlich »bewertet«:

»Die AJF Berlin bildet innerhalb des Potentials autonomer Beziehungsgeflechte einen Zusammenschluß mit dem Arbeitsschwerpunkt 'Antifaschismus'. (...) Faschismus, Herabsetzung anderer Kulturen als 'minderwertig' und patriarchalische Strukturen werden von der AJF als Wesensmerkmale der auf die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft ausgerichteten bestehenden politischen Ordnung beschrieben. Erklärtermaßen führt die AJF gegen die derart als 'Unterdrückungssystem' gebrandmarkte 'bürgerliche Demokratie' der Bundesrepublik Deutschland, gemeint ist die Freiheitliche Demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes, einen 'Kampf für ihre Abschaffung'« .

Der Gruppe wird vorgehalten: »Hierbei will sie die in der Rechtsordnung des Grundgesetzes 'gewährte Bewegungsfreiheit', so 'Kontrollmechanismen' - wie die 'Presse, ... Parlamente und Gerichte' -, gezielt für die eigenen Absichten ausnutzen, d.h. mißbrauchen. Es kommt das zu erwartende Fazit: »Damit erfüllt die AJF die Kriterien einer extremistischen  Bestrebung

Insgesamt bleibt das, was von den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes – wenn auch nur intern – herausgegeben wurde, eine oberflächliche Sammlung von Zitaten aus Tageszeitungen und vor allem aus Publikationen der AJF.

Bemerkenswert bleibt: In der »Brennpunkt« Reihe wurde zuerst über eine antifaschistische Jugendgruppe berichtet, der Bericht ist im Vergleich zu dem über die Neonazi-Skinheads sehr ausführlich und er wurde bereits im Herbst letzten Jahres publiziert, zu einem Zeitpunkt, als der Neonazi-Terror offensiv durch ein gesamtgesellschaftliches Klima gestützt wurde. Der »Brennpunkt« über die AJF vom Oktober 1991 trägt zwar die laufende Nummer 2, der Bericht über die Neonazi-Skinheads mit der laufenden Nummer 1 wurde jedoch erst im Januar 1992 herausgegeben.

Die Abhandlung »Militanter Antifaschismus im Aufwind« in der Zeitschrift des Bundesministerium des Innern, »Innere Sicherheit«, beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema antifaschistische Organisierung: »Autonome sehen seit eh und je im "Antifaschismus" eine Möglichkeit, ihre Strukturen zu festigen und ihren subversiven Zielen näherzukommen.«

Auch sie zitieren ausführlich aus Konzepten und antifaschistischen Veröffentlichungen, berichten über die Vorschläge zur bundesweiten Organisierung, die antifaschistische Selbsthilfe und die „Antifa-Jugendfront“.2 .

Ein Ausblick

Angebliche »Erkenntnisse« oder Konstrukte von Verfassungsschutz und Polizeibehörden werden relativ unhinterfragt medial übernommen und so antifaschistische Organisierungsbestrebungen stigmatisiert. Das geschieht in einer Zeit wo die (antifaschistische) Linke politisch schwach und die Neonazibedrohung enorm ist. Die letzten Reste einer, wenigstens in Ansätzen, organisierten Abwehrbewegung, werden so in die Isolation gedrückt. Die Ansätze der Zusammenarbeit von Deutschen und MigrantInnen - in Zeiten gesamtgesellschaftlichen Rassismus - stoßen ausgerechnet den politischen Verantwortlichen der „Asylkampagne “ bzw. deren Helfershelfern übel auf. Solche Methoden des Journalismus dienen einer offenbar erwünschten publizistischen Kriminalisierung.

  • 1Virulenz lt. Duden: Infektionskraft von Krankheitserregern, Giftigkeit; Dringlichkeit
  • 2»Innere Sicherheit«, 28. Februar 1992