Rudolstadt - Rudolf Heß Marsch 1992
Wunsiedel-Vorbereitungsgruppe (Gastbeitrag)Im letzten Antifaschistischen Infoblatt (AIB) sind wir ausführlich auf die Bedeutung, die Wunsiedel für die Neonaziszene hat eingegangen und haben ein bundesweites Gegenmobilisierungskonzept vorgestellt. Aufgrund der Tatsache, daß Wunsiedel/Rudolstadt jetzt schon einige Zeit her ist und in vielen anderen Zeitungen schon eine Menge dazu stand, möchten wir hier nur kurz auf den Ablauf eingehen und uns dann mehr den stattgefundenen Diskussionen und der Einschätzung des Tages widmen.
Vorspiel
Die Neonazis probierten auch in diesem Jahr als erstes in Wunsiedel ihren Gedenkmarsch durch Berthold Dinter vom „Volksbund Rudolf Heß“ anzumelden und durchzuführen. Dies wurde durch ein Verbot der Stadt verhindert. Gleichzeitig wurde für alle anderen Veranstaltungen in Wunsiedel ein Allgemeines Versammlungsverbot von Freitag, dem 14. August 1992, 0.00 Uhr, bis Sonntag, den 16. August 1992 24.00 Uhr erlassen, womit auch unsere antifaschistische Demonstration verboten war.
Als nächstes kam Bayreuth an die Reihe. Dort meldete der Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger eine Protestveranstaltung gegen das Verbot an. Auch dort wurde sowohl der neo-faschistische »Gedenkmarsch« als auch die antifaschistische Demonstration verboten. Dann kam eine in diesem Jahr neue Stadt an die Reihe: Plauen. Diesmal meldete Hans-Günter Laimer aus den Kreisen des „Nationalen Block“ (NB) die Rudolf-Heß-Gedenk-Demonstration an. Aber auch dort das gleiche Spiel, ein Allgemeines Versammlungsverbot. In den Verbotsbegründungen wurde viel voneinander abgeschrieben. Der Tenor war immer wieder, daß sie das Verbot gegen die Neonazis nicht durchsetzen können, wenn wir gleichzeitig in der jeweiligen Stadt demonstrieren, dazu kamen als besondere Höhepunkte, daß die Anmelderinnen von der Stadt Bayreuth als »Linksterroristen« bezeichnet wurden und daß die Stadt Plauen sämtliche Ersatzveranstaltungen, auch in geschlossenen Räumen, gleich mit verbot, was nun völlig gegen das geltende Versammlungsgesetz verstößt. Die Neonazis legten gegen ihre Verbote Beschwerde bis hin zum Bundesverfassungsgericht ein, wurden aber überall abgelehnt.
Damit war die Ruhe vor dem Sturm dahin und die Neonazis probierten nun panisch, irgendeinen Versammlungsort genehmigt zu bekommen. Dazu tätigten sie mindestens 20 Anmeldungen durch Thomas Dienel von der “Deutschen Nationalen Partei” (DNP) im Raum Thüringen und Sachsen. Bayern hatten sie zu diesem Zeitpunkt wohl schon aufgegeben.
Wir in einer Stadt in Bayern...
Soweit zur Vorgeschichte. Wie zu erwarten, wußten wir in diesem Jahr bis zuletzt nicht, wo die Neonazis nun demonstrieren würden, mit dem Unterschied, daß es die meisten Neonazis auch nicht wußten. Wir einigten uns deshalb darauf, in Hof eine genehmigte Demonstration durchzuführen, bis wir mitbekommen sollten, wo die Neonazis denn nun demonstrierten. Wir trafen uns wie vorgesehen am 15. August 1992 an drei verschiedenen Konvoi-Treffpunkten, dann ging es im Konvoi ohne größere Unterbrechungen zur Demonstration in Hof. Mit einiger Verzögerung ging es gegen 15.30 Uhr endlich los, ca. 2000 Leute demonstrierten in guter Stimmung gegen die »hess«lichen Zeiten und das Erstarken der neofaschistischen Parteien und Gruppierungen in der BRD. Gegen Ende der Demonstration kam die unerfreuliche Nachricht für uns: die Neonazis demonstrieren ungestört mit gleichfalls 2000 Leuten durch das thüringische Städtchen Rudolstadt.
Das paßte ins Bild, unsere genehmigte, friedliche Demonstration wurde begleitet von Massen an BGS und USK (Unterstützung Sonder Kommando), es waren mindesten 1000 Polizisten in der Stadt. Der BGS verhielt sich auch recht kooperativ, das USK hingegen legte größten Wert darauf, uns bis zur Grenze zu provozieren. Letztendlich schickte sie der Einsatzleiter des BGS von der Demonstration weg, damit eine Eskalation verhindert wird. Dafür rächte sich das USK nach Beendigung der Demonstration, als sie sinnlos Leute verhafteten und damit eine geordnete Abfahrt unmöglich machten. Wir hatten uns inzwischen dafür entschieden, ziemlich geschlossen nach Rudolstadt zu fahren, um die Neonazis wenigstens noch bei der Abfahrt zu behindern. Die ersten Autos, die die Stadt verlassen wollten, wurden vom USK mehrmals getrennt, so daß drei Autos einzeln als erstes den Stadtrand erreichten. Dort warteten ca. 20 Neonazis, die diese Autos auch sofort angriffen. Die Polizei kamen wiedermal gerade rechtzeitig, um die Neonazis vor der antifaschistischen Selbsthilfe der inzwischen eingetroffenen anderen AntifaschistInnen in Sicherheit zu bringen.
...und die Neonazis in der Pampa
Für die Neonazis, standen an diesem Tag die größte Zeit genau 2 (in Worten zwei) Polizisten zur Verfügung (mehr waren laut Einsatzleiter nicht aufzutreiben). Was nützten da die vom Verfassungsgericht bestätigten Verbote, der Belagerungszustand in Wunsiedel, Bayreuth und Plauen, damit auch ja kein Neonazi dort demonstrieren könne, der drei Tage vorher erschienene Verfassungsschutzbericht, in dem geschrieben steht, das alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um gegen extrem rechte Parteien und Organisationen vorzugehen und der Umstand, daß es schon seit dem Abend vorher bekannte war, daß der Treffpunkt der Neonazis 13.00 Uhr Hermsdorfer Kreuz sein wird.
Vom Treffpunkt aus ging es im Konvoi ungestört in Richtung Osten, durch den genehmigten Demonstrationsort Saalfeld durch bis nach Rudolstadt, wo die Demonstration zwar verboten war, auf Grund von Formfehlern das Verbot aber keine Gültigkeit hatte. Anmelder und einer der Organisatoren des Rudolf-Heß-Marsches war Andreas Rachhausen aus Thüringen. Als weiterer Organisator trat der Thüringer Neonazi-Führer Thomas Dienel auf.
In Rudolstadt formierten sich die Neonazis in gewohnter Schnelle und zogen ihren Aufmarsch unbehelligt durch. Unter den teilnehmenden Organisationen befanden sich auch die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP), die „Nationale Offensive“ (NO), Nationaler Block“ (NB), der „Deutsche Weg“ (DW), „Deutsches Hessen“ (DH), „Deutsche Alternative“ (DA), „Nationale Liste“ (NL), „Ruhrfront“ (RF), „Sauerländer Aktionsfront“ (SAF), „Wiking Jugend“ (WJ) und die NPD. Ebenfalls waren Vertreter der „Nationalistische Front“ (NF), der antisemitischen „Pamjat“ (Память) aus Russland und der rassistischen „Afrikaner Weerstandsbeweging“ (AWB) aus Südafrika anwesend.
Im Demonstrationszug FAP-Chef Friedhelm Busse und die ehemalige »Verlobte« des verstorbenen Neonazi-Führers Michael Kühnen Esther Wollschläger („Lisa“) von der „Deutsche Frauenfront“ (DFF), die symbolisch eine Urne vor sich her trug1 . Mit dabei auch der obligatorische Trommlerzug der FAP. Redebeiträge wurden unter anderem von dem Alt-Nazi Otto Riehs, von dem Neonazi-Funktionär Wolfgang Juchem und Michel Faci („Michael Leloup“) gehalten. Michel Faci berichtete über seinen Kampfeinsatz im ehemaligen Jugoslawien und rief dazu auf, den Kommunismus in Kroatien zu zerschlagen. Danach löste sich die Versammlung unbehelligt von den »Ordnungskräften«, die inzwischen nicht wesentlich mehr geworden waren, auf.
Antifaschistische Diskussionen im Vorfeld
Soweit zum Ablauf der beiden Demonstrationen. Die Diskussionen im Vorfeld über Sinn, Zweck, Art und Weise der antifaschistischen Demonstration spielten eine wichtige Rolle. Leider beteiligten sich nur relativ wenige Städte/Gruppen an der bundesweiten Diskussion, trotzdem möchten wir hier auf die Hauptdiskussionspunkte näher eingehen. Immer wieder wurde diskutiert, ob wir denn überhaupt demonstrieren sollten. Die meisten Leute waren vom letzten Jahr noch ziemlich abgenervt und es fanden sich kaum Leute, die Interesse an einer solchen Demonstration hatten, geschweige denn daran, sie zu organisieren. Es wurde viel darüber debattiert, ob es nun sinnvoller sei zu demonstrieren oder lieber mit kleineren Gruppen vor Ort oder am jeweiligen Wohnort etwas zu machen.
Schließlich wurde sich darauf verständigt, eine große Demonstration zu organisieren, um auch den Leuten die Möglichkeit zu geben, etwas gegen den Aufmarsch zu tun, die nicht so gut organisiert sind oder keine Lust auf andere Aktionsformen haben. Gleichzeitig sollte jede Gruppe für sich überlegen, wie sie sonst noch wirkungsvoll an der Behinderung bzw. Verhinderung des Aufmarsches mitwirken kann. Leider ist dies nur sehr vereinzelt gelaufen für die Menge an Gruppen, die sich nicht für die Demonstration interessiert haben, weil sie etwas »anderes« machen wollten. Die Demonstration selber wurde absichtlich nicht unter das Motto: »Verhindern wir...« gestellt. Das hatte etwas mit der realistischen Einschätzung der Situation zu tun. Es sollte zwar alles dafür getan werden, auch mit Hilfe der Demonstration die Neonazis möglichst massiv zu be-/verhindern, bloß sollten die eigenen Inhalte in den Vordergrund gestellt werden, damit wir wegkommen von den puren »Gegendemonstrationen«. Diese Inhalte sollten mit Hilfe eines breiten Bündnisses in die öffentliche Diskussion und auf die Straße getragen werden.
Das ist nur mangelhaft gelungen, zum einen auf Grund von fehlenden Strukturen vor Ort und zum anderen wegen der Tatsache, daß sich nur sehr wenig Leute intensiv mit der Organisation beschäftigt haben, und diese größtenteils noch nicht einmal aus dem Raum Bayern kamen. Leute, die sich vorher an keinerlei überregionalen oder regionalen Diskussionen beteiligt haben und auf der letzten Versammlung vor der Demonstration Grundsatzkritik an den erarbeiteten Konzepten ausüben oder sogar zur Nichtteilnahme an der Demonstration aufrufen stehen einer Diskussion über den Sinn und Zweck und Art und Weise solcher Aktionen aber auch nicht gerade konstruktiv gegenüber. Konzepte werden nun mal nicht am Vorabend diskutiert. Offenbar müssen wir aber eine konstruktive Diskussion auch über den Ablauf von bundesweiten Demonstrationen führen. Soweit zu den im Vorfeld gelaufenen Diskussionen.
Einschätzung
Den Tag selber schätzen wir nicht als Sieg aber auch nicht als Niederlage ein. Durch die massiven Anmeldungen von Gegendemonstrationen wurde erreicht, daß die Neonazis nirgendwo in Bayern demonstrieren konnten, sie mußten weit weg von Wunsiedel in der Pampa demonstrieren. Auch ist ihnen dadurch die massive internationale Verbreiterung und der Schulterschluß mit den Neonazis in Schlips und Kragen der REPs und DVU nicht wie erwartet gelungen. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß 2000 Neonazis hauptsächlich aus dem Spektrum der GdNF eine ganze Menge sind. Ohne antifaschistische Gegenaktivitäten wären sie dieses Jahr mindesten 3000 geworden und hätten den totalen Sieg gefeiert und auch die Verbote gegen sie wären ohne antifaschistisches Zutun nicht zustande gekommen. Zum Verhalten der Staatsmacht ist wohl nichts zu sagen, sie hat sich nur ein weiteres Mal negativ bestätigt. Fraglich ist dann nur der Sinn und Zweck der Verhängung der Ausnahmezustände über die Städte Plauen, Bayreuth und Wunsiedel.
- 1Die richtige Urne ist vom Friedhof entfernt und an einem unbekannten Ort vergroben worden, Vgl. Antifaschistisches Infoblatt Nr. 18