»RECHTS«-Sicherheit für NS-Verherrlichung in Wunsiedel und Halbe
Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt konnten im Jahr 2003 zwei Neonaziaufmärsche stattfinden, deren politischer Aussage ausschließlich aus der Verherrlichung des Nationalsozialismus besteht.
Der politische Umgang der Antifabewegung und Zivilgesellschaft mit den erfolgreich durchgesetzten Nazi-Events in Wunsiedel und Halbe – die zuletzt Anfang der 90er Jahre eine wesentliche Schlüsselfunktion darin hatten, eine fraktionierte Bewegung und Generationen zusammen zu bringen – kann nur als Desaster bezeichnet werden. Ganz zu schweigen von dem politischen Signal, dass der positive Bezug auf Symbolfiguren des nationalsozialistischen Deutschlands und Mörderorganisationen wie die Waffen-SS, die SS und die Wehrmacht gerichtlich unter den Schutz von freier Meinungsäußerung gestellt wurden. Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft gerade das jährliche Hess-Gedenken in Wunsiedel und perspektivisch auch das »Heldengedenken« in Halbe zu den relevantesten Terminen der deutschen Neonazi-Szene zählen werden.
Vor allem die »Rechtssicherheit«, die der Anmelder Jürgen Rieger für Wunsiedel geschaffen hat, lässt nach zwei erfolgreichen Großaufmärschen einen wiedererkehrenden Mobilisierungserfolg mehr als möglich erscheinen. Der juristische Erfolg im November 2003 in Halbe könnte einen ähnlichen Effekt haben. Die klare Bezugnahme auf den Nationalsozialismus verschafft Neonazis derzeit ihre größten öffentlichen Erfolge. Besonders bedenklich ist, dass die Aufmärsche gänzlich ungestört von Protesten stattfinden konnten und dass eine politische Auseinandersetzung mit der eindeutigen NS-Verherrlichung durch die Zivilgesellschaft nicht mehr stattfindet. Grund genug also, beide Events noch einmal zu analysieren.
»Heldengedenken« in Halbe 2003
Zehn Jahre nach dem letzten Aufmarsch von über 1.000 Neonazis in Halbe 1992, und ein Jahr nach der juristischen Schlappe von Christian Worch & Co. vor dem Oberverwaltungsgericht Frankfurt/Oder im November 2002, konnte am 17. November 2003 eines der Highlights der deutschen Nazi-Szene, der Aufmarsch zum »Heldengedenken« vor Deutschlands größten Soldatenfriedhof in Halbe, stattfinden. Im Gegensatz zum vorherigen Jahr wurde der Aufmarsch im Jahr 2003 von den Gerichten erlaubt. Doch mit ca. 500 TeilnehmerInnen blieb der Marsch weit hinter den Erwartungen der Veranstalter um Christian Worch zurück. Auch in Halbe gab es das übliche Rahmenprogramm aus Würstchen-Stand, den Liedermachern »Manuel« und Andre Lüders, den Rednern Christian Worch, Thorsten Heise sowie Thomas Wulff und einem Schweigemarsch mit klassischer Musik zum Waldfriedhof. Worch und Wulff hatten hier erstmals seit zwei Jahren wieder gemeinsam die Fäden in der Hand.
Bei ihrem kurzen »Gedenkmarsch« trugen die Neonazis Kränze vor sich her, auf deren Schleifen der im April 1945 in der »Kesselschlacht« von Halbe eingesetzten SS-Divisionen und Wehrmachts-Einheiten gedacht wurde. Anmelder Lars Jacobs aus Schleswig-Holstein bemühte sich sogar noch erfolglos, durch einen Verwaltungsrichter eine Eilentscheidung gegen das polizeiliche Abkleben der Buchstabenfolge »SS« zu erlangen. Auch ein zweites Zugeständnis mussten die Neonazis – vor allem Aktivisten von Kameradschaften aus den neuen Bundesländern, aus Norddeutschland und aus Thüringen sowie der NPD-Ortsverband Gera – bei der Ortswahl machen. Das Amt Schenkenländchen hatte als Verwaltungsorgan das Betreten des Waldfriedhofes Halbe untersagt. So berichteten der »frühere Jagdpilot« Reinhold Leidenfrost und der »Ritterkreuzträger« Otto Riehs vor dem Friedhof über die vermeintlichen Heldentaten ihrer verstorbenen »Kameraden«. Der Hallenser Kameradschaftsführer Sven Liebich trug brav ein Gedicht vor und alle sangen mehr oder weniger gekonnt das Lied »Ich hatt’ einen Kameraden«.
Widerstand abgedrängt
Zeitgleich nahmen rund 250 Menschen an einer von antifaschistischen Gruppen initiierten Gedenkkundgebung für Wehrmachts-Deserteure und ZwangsarbeiterInnen teil. Im vorherigen Jahr hatten noch 600 AntifaschistInnen den Weg nach Halbe gefunden – obwohl der Naziaufmarsch 2002 gar nicht stattfand. Eine antifaschistische Demonstration war im Jahr 2003 ebenso wie eine Ehrung ukrainischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, deren Gräber sich ebenfalls auf dem Waldfriedhof befinden, von den Behörden verboten worden. Der rechtsextremen DVU dagegen wurde für den selben Tag eine Kranzniederlegung auf dem Friedhof genehmigt. Eine Mahnwache für die Wehrmachtsdeserteure auf dem Friedhof, die Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, angemeldet hatte, wurde mit der Begründung nicht zugelassen, der Antrag dafür sei zu spät gestellt worden.
Heß-Gedenken in Wunsiedel 2003
Rund 3.000 Neonazis aus ganz Europa kamen am 16. August 2003 nach Wunsiedel – damit zog das Großevent des deutschen Neofaschismus noch mehr Teilnehmer an als im vorangegangen Jahr und etabliert sich gleichzeitig – wie zuletzt Anfang der 90er Jahre – als strömungsübergreifender, generationenübergreifender, internationaler Treffpunkt und Austauschort der extremen Rechten aus ganz Europa. Anders als in den Jahren zuvor bestätigte der bayerische Verwaltungsgerichtshof die Verbotsverfügung des Landratsamtes Wunsiedel, das sein Verbot auf die Verherrlichung des Nationalsozialismus als Ziel des Aufmarsches gestützt hatte. Das Bundesverfassungsgericht hob diese Entscheidung jedoch wieder auf und machte somit den Dutzenden Reisebussen, Zügen, unzähligen Pkws und Kleinbussen den Weg nach Wunsiedel frei.
Noch mehr Neonazis als die Jahre zuvor reisten im August 2003 aus ganz Europa in das oberfränkische Städtchen Wunsiedel, um bei heißen Würstchen, lauwarmen Reden, kaltem Gesang sowie einem anschließenden Schweigemarsch Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß zu verehren, Propagandamaterial auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und der Szene ein motivierendes Erlebnis zu bescheren. Unter ihnen befand sich – mit Ausnahme von Christian Worch und Thomas Wulff – fast die gesamte militante Neonazi-Szene der BRD sowie die italienischen »Veneto Fronte Skinheads«, schwedische, britische, dänische, belgische, französische, tschechische und spanische »Kameraden«. Am Nachmittag zogen die Nazis aus allen Altersgruppen, zahlenmäßig jedoch vor allem junge Naziskins, schweigend mit schwarzen Fahnen und Heß-Transparenten sowie klassischer Musik durch den Ort.
Kaum Widerstand
Den wenigen Dutzend autonomen AntifaschistInnen, die dieses Jahr nach Wunsiedel gekommen waren, blieb größtenteils nichts anderes übrig, als sich mit ein paar hundert Bürgern, die sich zu einer Gegenkkundgebung mit musikalischer Untermalung versammelt hatten, im von der Polizei bewachten Ortskern aufzuhalten und beim Vorbeiziehen des Neonazi-Marsches antifaschistische Parolen zu rufen. Gleichzeitig nahmen Neonazis am Grillstand nebenan ihr Mittagessen zu sich oder saßen in den angrenzenden Biergärten und Kaffees. Die zumeist von Wunsiedler Jugendlichen gemalten und aufgehängten antifaschistischen Transparente, Plakate und Schilder waren größtenteils schon bei der Anreise der Neofaschisten zerstört, gestohlen oder später als verfremdete »Beutestücke« mitgetragen worden. Wie schon im vergangenen Jahr hatten die Neonazis am 16. August 2003 in Wunsiedel die Hegemonie.