Neonazi-Aktivitäten gegen die »Wehrmachtsausstellung«
Am 31. Januar 2004 wollen Neonazis zum Abschluß der Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« in Hamburg aufmarschieren. Ein Rückblick auf die Naziaktivitäten in Dortmund und Peenemünde soll bei der Einschätzung helfen.
Dortmund
Schon seit Monaten waren sie auf der »Heimatseite« der »Völkisch orientierten Gemeinschaft Dortmund« angekündigt: zwei neonazistische Demonstrationen sowie diverse »stationäre Kundgebungen« gegen die in Dortmund gastierende Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht«. Zum Unterstützerkreis des Aufrufs »Heraus zum Protest! Unsere Großväter waren keine Verbrecher« gehörten die »Freien Kameradschaften« aus Dortmund, Hamm, Köln-Bonn, dem Hochsauerlandkreis, der NPD-Landesverband NRW, die Band »Oidoxie« sowie »viele weitere freie Aktivisten und Zusammenhänge“.
20. September: Zum Auftakt des Aktionsmarathons hatten sich am 20.9. rund 700 Neonazis eingefunden. Wie nicht anderes zu erwarten, waren nahezu alle NRW-Kameradschaften und NPD/JN-Verbände angetreten. Unterstützt wurden sie von Delegationen aus anderen Bundesländern und den Niederlanden. Als Demoanmelderin trat Karin Lenzdorf in Erscheinung, die gemeinsam mit Katja Jarminowski auch die Demoleitung stellte. Beide gelten als enge Vertraute des Kameradschaftsführers Siegfried Borchardt ("SS-Siggi") der zwischenzeitlich eine einjährige Haftstrafe verbüßt.
Etwas abseits, aber stets auf dem Sprung, der Demoleitung bei juristischen Fragen zur Seite zu stehen, hielt sich der Dortmunder Rechtsanwalt André Picker, der sich großer Beliebtheit in der neonazistischen Szene erfreut. Als RednerInnen traten Christian Worch (Hamburg), Daniela Wegener (Hochsauerlandkreis), Yvonne Mädel (Thüringen), Hartmut Wostupatsch (Würzburg), der NPD-Funktionär Willibert Kunkel aus dem Aachener Raum, Constant Kusters (Niederlande) und Ralph Tegethoff (Rhein/Sieg-Kreis) in Erscheinung. Zum Schluss spielte die Band »Oidoxie« um Marko Gottschalk und Dennis Linsenbarth auf, zwischenzeitlich verstärkt um den einstigen Drummer der Düsseldorfer Band »Reichswehr«, Dennis Heinrich Jörißen aus Mönchengladbach.
27. September: Sieben Tage später, kam es dann zur ersten von insgesamt anfangs fünf angekündigten »stationären Kundgebungen« der Neonazis gegen die Ausstellung. 70 Personen nahmen teil, etwa 120 Menschen führten eine spontane Gegendemo durch. Bei der Neonazi-Kundgebung sprachen die beiden Kölner Axel Reitz und Paul Breuer (KDS) sowie Claus Cremer (NPD), der für eine »Aktionsgemeinschaft Gegen die Schandausstellung« auch Berichte über Veranstaltungen gegen die Ausstellung verbreitete.
2. Oktober: Mehr oder weniger ins Wasser fiel eine von der DVU geplante Veranstaltung am 2. Oktober. Schon seit Eröffnung der Ausstellung hatten DVUler rund um ihr Ratsmitglied Max Branghofer Flugblätter eines »Arbeitskreises für Geschichte und Politik« verteilt. Eingeladen wurde mit ihnen zu zwei Veranstaltungen, die in dem Museum stattfinden sollten. Als Referenten waren »Waldemar Post« (für den 2.10.) und Stefan Scheil (für den 24.10.) angekündigt. Mit »Waldemar Post« war der Münchener Rechtsaußen-Historiker Walter Post gemeint, Autor des Buches »Die verleumdete Armee – Wehrmacht und Anti-Wehrmacht-Propaganda« und erst vor wenigen Wochen Interviewpartner der »Nationalzeitung« der DVU. Er erreichte mit seinem Vortrag aber nur einen verschwindend kleinen Teil der angepeilten 200 Besucher. GegendemonstrantInnen hatten das Foyer des Museums blockiert. Daran konnten auch die breitschultrigen und kahlköpfigen Ordner aus dem Kameradschaftsspektrum nichts ändern, derer sich die DVU bediente. Stattdessen schlugen sie während der Veranstaltung einen Dortmunder Lehrer, der als Kritiker die Veranstaltung besucht hatte. Draußen bleiben musste auch der NPD-Landesvorsitzende Stephan Haase, der mit Cremer und einigen anderen KameradInnen im Gefolge gekommen war, um Post zu lauschen. Dies gelang letztlich nur 15 Personen, wie die Polizei mitteilte: den DVU-Oberen und den Ordnern.
11. Oktober: Am 11. Oktober folgte die zweite »stationäre Kundgebung«, zu der etwas mehr als 100 Neonazis zum Platz von Buffalo kamen. Als RednerInnen traten – angekündigt von Katja Jarminowski – auf: Christian Worch, ein »Markus S. (NPD)«, der als »Sleipnir«- und »Staatsbriefe«-Autor vorgestellte Peter Faethe aus Köln, NPD-Landesvorstandsmitglied Timo Pradel und Axel Reitz. Eine Woche darauf durften an gleicher Stelle Marko Hölder, der als »freier Nationalist« vorgestellt wurde, Reitz, Wostupatsch, Haase und Cremer ans Mikrofon.
13. Oktober: Am 13. Oktober wurde die Ausstellung bzw. das Museum Opfer eines Anschlags. Auf der Herrentoilette wurde Buttersäure freigesetzt, das gesamte Gebäude musste in der Folge evakuiert und die Ausstellung kurzzeitig geschlossen werden. Im Internet jubelten kurz darauf »Nationalsozialisten aus Dortmund und Umgebung« über die Aktion der »Kameraden«. Bereits in der Nacht zuvor war der Museumseingang mit Hakenkreuzen beschmiert worden, wenige Tage später wurde eine Scheibe des Museums eingeworfen. Für die Dortmunder Polizei waren »Anzeichen für einen politisch motivierten Hintergrund« nicht zu erkennen, wenngleich ein solcher »etwa durch Rechtsextremisten« nicht auszuschließen sei.
24. Oktober: Mehr Glück als bei seinem ersten Versuch hatte der »Arbeitskreis für Geschichte und Politik« mit seinem zweiten Vortrag am 24. Oktober. Zwar hatte die Stadt das Museum für Kunst und Kultur für die Veranstaltung gesperrt, gleichzeitig aber Ausweichräume am Kaiserwall bereitgestellt. Da der Eingang erfolgreich von AntifaschistInnen blockiert wurde, mussten die 90 Alt- und Neonazis – darunter viele aus dem Bereich der »Freien« und der NPD unter Polizeischutz durch einen Hinter- sowie einen Notausgang das Gebäude betreten, um dem Vortrag von Stefan Scheil lauschen zu können.
25. Oktober: Etwas mehr als 500 TeilnehmerInnen wurden bei der Abschlussveranstaltung der Neonazi-Kampagne gezählt, einer Demonstration vom Hafen in die Innenstadt. Ans Mikrofon traten: Katja Jarminowski, Thomas Wulff, Christian Worch, Thorsten Heise, Daniela Wegener, die eine Grußbotschaft des inzwischen einsitzenden Siegfried Borchardt verlas, Claus Cremer, Axel Reitz, Horst Schröder als Vertreter der »Erlebnisgeneration«, Ralph Tegethoff sowie Gerd Ittner aus Franken, der allerdings auf polizeilichen Druck seine Rede vorzeitig beenden musste, nachdem er die »Nationalen Sozialisten« mit einem »Heil dem Deutschen Reich« begrüßt hatte.
Peenemünde
Es begann schneller als erwartet. Bereits im Winter des Jahres 2002 wurde im Mecklenburg-Vorpommern gegen die im folgenden Sommer stattfindende Wehrmachtsausstellung mobil gemacht. Nicht jedoch übereifrige Neonazis, sondern Lokalpolitiker aus Rügen waren es, die die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung nicht auf ihrer Insel haben wollten. Sicherheitsaspekte und die Angst vor randalierenden Rechten seien es angeblich gewesen, die die Gemeindevertretung des Ortes Binz zur Ablehnung der Ausstellung veranlasst hätten. Sie sei »tourismusschädigend hoch zehn«, meinte Bürgermeister Horst Schaumann.
Noch bevor dann letztendlich die Entscheidung für die ehemalige Heeresversuchsanstalt in Peenemünde auf Usedom statt des „Kraft-durch-Freude-Bades« Prora auf Rügen getroffen wurde, meldete der aus Rostock stammende und nun in Schleswig-Holstein lebende Neonazi Lars Jacobs eine Demonstration in Peenemünde an. Diese sollte jedoch nicht die einzige bleiben: Im April kündigte die Pommersche Aktionsfront, ein Bündnis von Neonazis aus dem vorpommerschen Teil des Bundeslandes, zwei eigene Aufmärsche und eine Reihe von Infoständen an. Als Anmelder trat Michael Vedder auf, der sich vorher als Kopf einer Wolgaster Initiative gegen ein Flüchtlingsheim einen Namen gemacht hatte. In dem zwangsläufig folgenden öffentlichen Streit mit Christian Worch dagegen traten die regionalen rechten Größen Enrico Harmisch und Michael Kutschke hervor.
Sie begannen ihre Kampagne »Opa war in Ordnung – Unsere Großväter waren keine Verbrecher« am 19. Juli mit einem Vortrag des Revisionisten Karl-Heinz Schmick, der sich immer wieder an einer angeblich geschichtswissenschaftlichen Kritik an der Wehrmachtsausstellung versucht. Er tat dies jedoch trotz Ankündigungen der Veranstaltung in Vorpommern nur vor dem Kreis der lokalen Neonazi-Szene, da die Polizei den Besitzer einer zuerst angemieteten Gaststätte über sein zu erwartendes Publikum aufklärte und dieser prompt den Mietvertrag kündigte. So musste der Vortrag des »Lesezirkels zur Wehrmachtausstellung« kurzfristig verlegt werden.
Nur einen Tag nach der Eröffnung der Ausstellung im Historisch-Technischen Informationszentrum (HIT) am 24. Juli fand bereits ein erster Infostand der Pommerschen Aktionsfront zusammen mit NPD-Mitgliedern aus der Region in Peenemünde statt. Fortan sollten die Neonazis über die gesamte Dauer der Wehrmachtsausstellung hin jeden Freitag oder Sonnabend ungestört und problemlos vor dem Haupteingang des Museums und in der näheren Umgebung über angebliche Verbrechen an der Wehrmacht »aufklären« können.
Der 26. Juli sollte der erste und einzige Höhepunkt in der Kampagne der regionalen rechten Szene sein. Etwa 400 Neonazis aus den üblichen Kameradschaften Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs und Berlins sowie NPD-Mitgliedern aus der Umgebung marschierten unter Trommeln und einheitlichen T-Shirts zum Thema durch Wolgast. Die Neonazis Peter Borchert aus Neumünster und Lutz Giesen aus Hamburg sprachen zum Abschluss der Demo, während der Berliner »Liedermacher« und NPD-Kader Jörg Hähnel ein paar seiner Lieder zum Besten gab. Während sie dort unbehelligt blieben, veranstalteten die Stadt und lokale Vereine mehrere Kilometer entfernt ein Kulturfest gegen Rechts, bei dem sich niemand an anwesenden Neonazis störte.
Am 2. August, folgte die angekündigte Demonstration des »Freundeskreis Halbe«, der Wolgaster IG »Taten statt Worte«, der »Aktionsgruppe Festungsstadt Rostock« und des »Ehrenkommitees 8. Mai« – Christian Worch, Lars Jacobs und deren Umfeld. Doch mit den knapp 200 Neonazis, die den von Plakaten mit der Aufschrift »Erinnern statt Verdrängen – Usedom sagt ja zur Wehrmachtsausstellung« gesäumten Weg nach Peenemünde einschlugen, lag die Teilnehmerzahl weit unter den Erwartungen. Rigorose Auflagen führten dazu, dass mit allerlei abgeklebten Tattoos und Schriftzügen auf der Kleidung und nicht selten auch barfuss – erlaubt waren keine Schuhe mit Stahleinlagen – marschiert werden musste. Zudem störten an die 40 Antifaschist/innen aus der Region lautstark die Zwischenkundgebung der Demo, bei der der Alt-Nazi und ehemaliger Waffen-SS-Angehörige Heinz Mahncke neben dem westdeutschen Neonazi Axel Reitz, dem Rostocker NPD-Funktionär Lutz Dessau und dem Stralsunder Neonazi Robert Rupprecht zu Wort kam. da der »Liedermacher« Manuel zu spät anreiste, wurde ein zweiter Rundgang durch das wenig bevölkerte Peenemünde mit seiner einen Straße gestrichen und durch ein gemütliches Ausklingen bei Würstchen und Getränken ersetzt. Gemütlich und vor allem bedacht unkonfrontativ ging es auch bei einem Kulturfest auf dem Museumsgelände, mehrere hundert Meter entfernt von der Neonazi-Demo, zu.
Mitte August kam es zu mehreren Hausdurchsuchungen in Vorpommern. Die Polizei beschlagnahmte bei Michael Kutschke, der sich für die Neonazi-Zeitung »Der Fahnenträger« verantwortlich zeichnet, wegen des Verdachts des Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter anderem den Computer, so dass er seine Arbeit für die Pommersche Aktionsfront vorerst einschränken musste. Diese »logistischen Gründe« waren es dann wohl auch, weshalb die für den 6. September angekündigte Demonstration abgesagt wurde. Stattdessen fand ein erneuter Infostand statt, in dessen Verlauf 40 Neonazis »spontan« den Eingang ins Museum mit einer Sitzblockade versperrten. Die Polizei hatte keine Handhabe und vor allem keine ausreichenden Kräfte zur Räumung so, dass das HIT einfach einen Nebeneingang öffnete. Unspektakulär war nicht nur das Ende der rechten Kampagne gegen die Wehrmachtsausstellung, sondern blieben über den gesamten Zeitraum auch Aktivitäten gegen die Aktionen der Neonazis. Es wäre jedoch falsch, das allein auf das Fehlen von aktiven Antifaschist/innen in Vorpommern und deren Schwäche im Rest des Bundeslandes zurückzuführen. Das HIT unternahm keine Versuche, die Wehrmachtsausstellung als Teil eines geschichtspolitischen Diskurses zu sehen und einzuordnen. Stattdessen verknüpfte es die Ausstellung mit dem normalen Programm der »V2 Gedenkstätte«.
So war die Museumsleitung unfähig, offensiv auf die Geschichtsleugnung der Neonazis einzugehen und ihnen das – aus linksradikaler Sicht freilich abzulehnende – Selbstverständnis der wegen seiner Geschichte nun verantwortungsvollen deutschen Gesellschaft entgegenzusetzen. Keine Diskussion oder gar größeres Aufsehen verursachte die Absage des israelischen Soziologen Natan Sznaider und des Hamburger Autors Günther Jacob als Referenten für eine Veranstaltung, die im Begleitprogramm zur „Wehrmachtsausstellung« stattfinden sollte. Sie warfen den Veranstaltern unter anderem vor, dass sich im Rahmenprogramm der Ausstellung Anknüpfungspunkte für Naziaktivitäten fänden.
Symptomatisch dafür erwähnten sie das »Kombi-Ticket«, dass einen verbilligten Eintritt in die »Wehrmachtsausstellung« und gleichzeitig in die Ausstellung über die V2 ermöglichte. Zu diesem »Raumfahrtmuseum« (»Die Welt«) bemerkte der Berliner »Tagesspiegel«: »Seit Jahren balanciert Museumsleiter Dirk Zache auf dem schmalen Grad zwischen Erinnerung an die Schreckensherrschaft und Faszination für die Raumfahrt.«
Da den lokalen Institutionen nicht mehr als Kulturfeste gegen Rechts oder ein Hannes-Wader-Konzert einfielen, waren es nur der Zwist innerhalb der Neonazi-Szene und die Beschlagnahmung eines Teils der Technik der Pommerschen Aktionsfront, die die Verknüpfung der propagandistischen Verbreitung der Leugnung der Verbrechen der Wehrmacht mit Aktionen gegen die Ausstellung in einem größeren Umfang verhindert haben.
Der hier zu lesende Text ist die vollständige Version des im Heft nur auszugsweise veröffentlichten Artikels.