Schwedt: Braune Hochburg an der Oder - Antifa Widerstand geht weiter
AntifaschistInnen aus BrandenburgDie Öffentlichkeitsarbeit antifaschistischer Initiativen aus Schwedt und Berlin brachte der Stadt an der Oder nunmehr den braunen Ruf ein, den sie verdient. Umfangreiche Beachtung fand ein Artikel der „Berliner Zeitung“, der die Praxis der Schwedter Behörden und BeamtInnen bei der Duldung der Aktivitäten der Nachfolge-Organisationen der neonazistischen "Nationalistischen Front" (NF) dokumentierte. Verfahren, in denen Schwedter Neonazis von JournalistInnen wegen Erpressung und Körperverletzung angezeigt wurden, wurden nicht zur Anklage gebracht - die Anzeigen von verprügelten AntifaschistInnen schon gar nicht.
Carsten war eines der Opfer rechter Schläger. Ihn erkannten die Neonazis als einen der Teilnehmer auf der antifaschistischen Demonstration im Juni 1993. Er wurde von rund 20 Neonazis überfallen und musste zwei Tage auf der Intensivstation und eine Woche auf der Unfallstation im Krankenhaus verbringen. Die Polizei versuchte Carstens Mutter abzuwimmeln und sie davon zu überzeugen keine Anzeige zu stellen. Erst wurde ihr gesagt, sie könne ohne ihren Mann gar keine Anzeige stellen, dann wollte der Beamte zur "Abschreckung" eine Fotomappe präsentieren, die Bilder von Opfern zeigte, die es gewagt hätten Neonazis anzuzeigen. Dieser Fall ist Monate später noch nicht bei der Staatsanwaltschaft angekommen.
Dieter Jankow als Polizei-Chef aus Schwedt ist anscheinend eher um ein "gutes Verhältnis" zur rechten Szene bemüht: »Einmal im Monat treffe ich mich mit Vertretern der rechten Szene«, wurde berichtet. Was die Polizei mehr oder weniger "duldet", das dürfte dem lokalen Jugendamt vermutlich auch eher recht sein. Nach diesem Motto verfährt wohl der Leiter des Schwedter Jugendamtes Burkhard Fleischmann. Er legt großen Wert auf den Dialog mit der Neonazi-Gruppe "Nationalen Jugend Schwedt" (NJS), die u.a. aus dem Kreis von Andreas Pohl (NF) aufgebaut worden ist, heißt es aus Schwedt. Fleischmann besorgte der NJS demnach Klubräume, veranlasste, daß antifaschistische Jugendliche aus den Clubs "rausgeschmissen" werden und ludt die "Nationale Jugend" zu den »runden Tischen« ein (vgl. taz vom 9.11.1993). Er besuchte auch die Eltern eines Schwedter Antifaschisten und redete auf sie ein, auf ihren Sohn einzuwirken. Er solle sich doch ruhig verhalten und seine »Provokationen« unterlassen; Fleischmann soll es auch gewesen sein, der bekannte Schwedter Neonazis als eine Art „Saalschutztruppe“ geduldet haben soll, berichteten Schwedter AntifaschistInnen. Diese "rechten Ordner" griffen demnach einen Lehrer an, der sich zuvor öffentlich gegen Neonazis ausgesprochen hatte und "warfen ihn ihrem Jungvolk vor die Stiefel". Das Ergebnis für den Lehrer waren eine Gehirnerschütterung, Nasenbeinbruch, Krankenhausaufenthalt und eine mit auf den Weg gegebene Drohung: »Halt dich aus der Antila raus.»
Einer der lokale Neonazi-Anführer, Mirko H., soll unter der Angreifern erkannt worden sein. Daraufhin soll er wohl von der städtischen Sozialarbeiterin Birgit K. zum Gespräch bei einem Essen eingeladen worden sein. Die Wege erscheinen hier kurz: Ihr Sohn bewegt sich angeblich in der rechten Szene und ihr Mann sei beim Bundesgrenzschutz tätig.
Um den schlechten Ruf der Stadt loszuwerden wurden einige Aktivitäten entwickelt. Für den 9. November rief der SPD-Oberbürgermeister Peter Scheuer zur Demonstration gegen Gewalt auf. Auch Scheuer pflegte zuvor das Gespräch mit den Neonazis. Es kamen immerhin 500 Leute und auch dieses Mal standen die Neonazis am Straßenrand, um die TeilnehmerInnen zu beobachten. Sprüche wie „Scheuer - gestern Freund, heute Feind“, wurden an die Wände gesprüht. Zwei Tage später verteilten 100 AntifaschistInnen aus Brandenburg und Berlin Flugblätter an Schwedter Schulen. Es wurde dazu aufgerufen, sich mit der Schwedter Antifa in Verbindung zu setzen. Viele erlebten zum ersten Mal das Klima in Schwedt hautnah. Selbst 12-jährige reckten, aus sicherer Entfernung, den Arm zum »Hitlergruss«. Auch antifaschistische Jugendliche trauten sich an einigen Schulen nicht, Flugblätter zu nehmen, da sie von den Rechten beobachtet wurden. Nach dem Kennenlernen einiger Schulrektoren und Lehrer braucht man sich auch nicht zu wundern, wie die SchülerInnen drauf sind. Einige SchülerInnen und LehrerInnen jedoch freuten sich über den Besuch und suchten das Gespräch. An einer Schule wurden die AntifaschistInnen mit offenen Armen empfangen, da gerade ein Projekttag über das Thema stattfand. Organisierte Rechte älteren Jahrgangs ließen sich so gut wie gar nicht sehen und die Polizei zog es vor, die Flugblattaktion aus sicherer Entfernung zu beobachten. Es kam doch noch zu einer Festnahme, als zwei Neonazis bei der Polizei angaben angegriffen worden zu sein.