Skip to main content

Welcome to Neonazi-Terrortown: Schwedt

Autonome Antifa Schwedt (aas) (Gastbeitrag)
Einleitung

Die Stadt an der Oder liegt etwa eine Autostunde nordöstlich von Berlin. Schwedt gleicht Lichtenhagen und Hoyerswerda: 50.000 Menschen leben in Neubausilos eingepfercht, die Jugend marschiert weitestgehend rechts. Die NF (Nationalistische Front) und ihre Nachfolgeorganisationen SrA (Sozialrevolutionäre Arbeiterfront) und FMJ (Förderwerk Mitteldeutsche Jugend) haben die 150-200 harten Neonaziskinheads ebenso im Griff, wie die „Kinderglatzen“, die rechten Stinos und rechten Popper an den Schulen.

Bild: Screenshot YouTube

Szene einer TV-Reportage zu Schwedt.

Schon kurz nach der Wende versuchten extrem rechte Parteien in Schwedt Fuß zu fassen. Es gibt „Die Republikaner“ (REPs) und die „Deutsche Volksunion“ (DVU). Besonders die »alten« Glatzen, die schon während der »Wende« wenig Haare besaßen, orientieren sich an der DVU. Die NPD-Kader kamen dank antifaschistischer Selbsthilfe nicht weiter als bis zum Bahnhof, von dort aus mußten sie wieder flüchten. Die eher zersplitterte Neonazi-Szene von 1989/90 konnte sich bis heute unter der Führung der NF/SrA fest zusammenschließen. 1991/92 engagierten sich die NF'ler zunehmend, und konnten besonders die berüchtigten Neonazi-Schläger an sich binden, das Fußvolk kam schnell hinzu.

Es gibt keinen Jugendclub mehr, abgesehen vom „Karthaus“, wo die Rechten nicht hausen. Und den letzten alternativen Club machen die Neonazis regelmäßig platt, so daß sich kaum noch Gäste in den Karlhaus wagen1 . Ebenso ein linker Treff in Criewen (5 km von Schwedt), der in einem halben Jahr insgesamt acht mal überfallen wurde. Er ist heute eine Ruine.

Die NJS (Nationalistische Jugend Schwedt) als NF-Jugend bekam von der Stadt einen Raum, in dem auch Kaderschulungen und Absprachen mit Berliner Neonzi-Kadern stattfinden. Der Neonazifunktionär Andreas Pohl hat(te) z.B. enge Kontakte nach Schwedt, wie der lokale Neonazi Steffan Cs. berichtete. Schwedt ist Schaltzentrale, ständig sind Neonazis aus Emden, Bad Schauburg, Hamburg und Berlin in der Stadt. So traf sich Kai Nando Böcker (der Mörder des Angolaners Amadeu Antonio in Eberswalde) mehrmals in einer Wohnung mit Schwedter NF-Kadern. Am Briesensee nahe Schwedt finden (wie z.B. am 1. Mai 1993) Wehrsportcamps der Rechten statt, die Praxis holen sich die Kameraden dann bei Aktionen in Schwedt und ganz Brandenburg:

1991 wurde ein Obdachloser von Neonazi-Skinheads zusammengeschlagen und zu Tode getreten2 . 1992 wurde die 13-jährige Melanie von Neonazis in einem Neubau gefangengehalten, geprügelt, gequält, sexuell mißbraucht3 . Sie starb.

Linke sind ständig Ziel neonazistischer Überfälle. Anfang 1993 wurden ein paar Antifas von einer Horde gut bewaffneter Neonazis angegriffen. Ein Linker wurde niedergeprügelt, regungslos am Boden liegend weiter getreten und geschlagen. Er lag fast zwei Wochen im Koma, mußte insgesamt 14 Wochen im Krankenhaus verbringen. Eine Linke wurde am hellerlichten Tag von Rechten zusammengeschlagen, ein Antifa mit Brandflaschen („Mollis“) beworfen. Selbst eine Party in einer Privatwohnung wurde schon von Neonazis angegriffen. Die Büros des linksorientierten Stadtjugendringes CITI e.V. wurden mehrfach demoliert, der Clubraum mit Brandflaschen niedergebrannt. Eberswalde, Bad Freienwalde, Angermünde und Prenzlau sind beliebtes Ausflugsziel für rechte Terrorbanden, um dort linke Treffs anzugreifen. Das „Antifa-Info-Cafe“ in Angermünde (20 km von Schwedt) wurde schon in der ersten Woche seiner Existenz von Schwedter Neonazis angegriffen.

Da es in Schwedt nur eine kleine Hand voll Linker gibt, gehen die Neonazis auch verstärkt auf Jagd nach „Rappern“ und „Ravern“, finden gerade in kleinen Rapper-Kids immer wieder wehrlose Opfer. Ende 1992 wurde der Rapper-Club »Külz« von Neonazis besetzt, und ist inzwischen einer der wichtigsten rechten Treffs. Die „Rapper“ wurden rausgeprügelt. Vom Külz aus startete z.B. der letzte Angriff auf den Karthaus-Club, der laut Vor-Ort-Berichten von Schwedter Neonazi-Skinheads und Holsteiner REPs zusammen ausgeführt worden sein soll. Die führenden lokalen NF-Anhänger hatten alles organisiert, und beobachteten die Aktion aus sicherer Entfernung. Der Polizeiruf war 1/2 Stunde nicht besetzt.

Die Neonazis geben Flugblätter und Zeitschriften (»Angriff«, »Flach«, »Zitti«) in großer Auflage heraus. Plakate, Aufkleber und Sprühereinen der NF/SrA sind überall zu sehen. Die NF schaffte es sogar, mit ihrer »Fräch« -Zeitschrift als Veranstalter zu einer Gymnasiumsparty aufzurufen (Ende 1992), ohne das Schulleitung oder Stadtregierung reagierten. Einer der gefürchtesten Neonazi-Schläger Schwedts Marcel K., braucht nicht mehr erwähnt zu werden. Er hatte schon eine gewisse Karriere (Einbrüche in Imbißbuden, Jugendwerkhof in der DDR, Führer einer Schlägertruppe in Schwedt) hinter sich, als er Ende Mai im betrunkenen Zustand auf einem Moped mit einem anderen Kahlkopf - dieser im PKW - ein tödliches Rennen fuhr.

Als Führer der NF/SrA treten in Schwedt Christian K., Stefan W. und Sven H. auf4 . Als Schläger agieren Mirko H. (seine Eltern besitzen ein Kneipe), Frank J., Holger K., Thomas K. (mit René M. jagte er „Rapper“), Sven L., Marko Sb. und Lars Sch..

Die Antifa in Schwedt wurde Anfang 1992 als „Alternatives Antifaschistisches Stadtjugendprojekt“ (aas) gegründet. Schon nach einigen Monaten wurde klar, mit schönen Flugblättern und kleinen Diskussionszirkeln kann man gegen prügelnde Neonazi-Banden und gute Neonazi-Organisierung nicht ankommen. Inzwischen nennt sich das „aas“ deshalb „Autonome Antifa Schwedt“, und hat eine konsequentere Form antifaschistischer Politik gefunden. Deshalb haben wir auch zusammen mit anderen Antifa-Gruppen aus Berlin und Brandenburg, zusammen mit der Schwedter PDS für den 12. Juni 1993 eine größere Antifa-Demonstration »Gegen faschistischen Terror und Neonazi- Propaganda! Gegen den braunen Gürtel um Berlin!« organisiert. Trotz strömenden Regens und recht kurzfristiger Mobilisierung kamen über 400 Leute zusammen, die lautstark und wehrhaft die Demonstration durch die grauen Ghetto-Siedlungen der Stadt durchführten. Die Polizei hatte es im Vorfeld nicht geschafft, die Demonstration zu verbieten oder zu einer Kundgebung einzuengen. Mit energischen Worten machten wir die Schwedter Bevölkerung - meist ziemlich verdutzt aus den Fenstern guckend - auf die Situation in der Stadt aufmerksam, manch Jugendlicher schloß sich spontan an. Hinter den Häusern und auf den Dächern sammelten sich die Neonazis, warfen mit Steinen über die Köpfe der regungslosen Polizei hinweg auf die Demonstranten, schossen z.T. mit Pyros oder skandierten den Neonazi-Gruß. Da die Polizei nicht reagierte, als wir z.B. von Unbekannten gefilmt und fotografiert wurden, mußten wir uns um uns selber kümmern. Während der Zug geschlossen blieb, sorgte der Schutz am Rande der Demonstration dafür, daß ein Neonazi-Trabbi zerlegt und manche rechte Glatze flitzen mußte. Polizei und Stadtregierung ließen verlauten, daß durch den besonnen Einsatz der Polizei das Ziel der Demonstration, Schwedt »platt zu machen«, nicht erreicht wurde. Man wäre entschlossen gegen die „linksextremistischen Gewalt-Touristen aus Kreuzberg“ vorgegangen. Die Diffamierung Schwedts als braunen Stadt wäre Lüge, und schrecke Investoren ab. Der Panikmache würde man entschlossen entgegentreten, indem man gewalttätigen Extremismus, besonders den linken, hart angehen würde.

Dies war zu erwarten, einige Verantwortliche für Jugendpolitik in der regierenden SPD, hatte einst schon verkündet: So wie die Linken aussehen, könnten die Eltern nur „Asoziale“ sein, und dann könne sie die Rechten verstehen, wenn die die Linken zusammenprügeln. Problematisch war auch das Presseverhalten. Die bei allen wichtigen Medien angekündigte Pressekonferenz blieb leer, es wurde meist nur der Polizeibericht abgedruckt Die MOZ (Regionalzeitung in Schwedt) hatte gerade noch die Stellungnahme der Stadt veröffentlicht (Verständnis für den Frust rechter Kids, Kampf gegen linken Extremismus), da gab es Drohungen an die Redakteure des Lokalblattes. Die Neonazis würden die Privatwohnungen der Redakteure angreifen, wenn nur noch ein Kommentar gegen Rechts gedruckt würde. Seitdem herrscht das Schweigen im Blätterwald5 .

Nach der Demonstration wollten die Neonazis klar machen, wessen Territorium Schwedt ist. Innerhalb von zwei Wochen wurden zehn „Rapper“ zusammengeschlagen, drei davon mußten stationär ins Krankenhaus, zwei davon sogar auf Intensivstation. Drohungen blieben nicht ohne Folgen. Die Neonazis arbeiten nach und nach ihre »Schwarze Liste« ab. Ganz oben: Leute der Antifa. Dem bisherigen Sprecher der aas wurde angekündigt, daß man seine Wohnung platt machen würde, und er nur noch als Leiche aus der Wohnung kommen würde. Seine Schwester, ihr Mann und die beiden Kinder (1 und 4 Jahre alt) wurden ebenso bedroht. Der Sprecher ist zunächst untergetaucht und kann momentan nicht mehr in Schwedt bleiben.

Keine Hilfe für die Bedrohten ist in Schwedt scheinbar von der "Schutzpolizei" unter ihrem Chef Dieter Jankow und seinem Stellvertreter, dem Einsatzleiter Stefan Klemm zu erwarten. Die Reaktion von Klemm, war zu erwarten: Die Leute von der Antifa seinen selbst an der Situation schuld, speziell deren Sprecher würde zur Gewalt aufrufen, man könne linksextremistische Gewalt nicht dulden. Dem besonnenen Verhalten der Polizei unter Führung von Klemm (er lobt sich offenbar gerne selbst) sei es zu verdanken, daß das Ziel der Antifa nicht erreicht wurde, mit der Demo die Stadt »platt« zu machen. Die Antifas in Schwedt werden seit der Demonstration von Teilen der Polizei, der Stadtregierung und des Jugendamtes kriminalisiert6 . Es gab Hausbesuche eines Jugendamtleiters, um den Eltern bei der „Erziehung zu helfen“, die Polizeibehörden würden gar an einer Akte »Linksextremismus in Schwedt - Antifa«7 arbeiten. Es gab sogar Kommentare von öffentlicher Seite, man warte darauf, daß führende Antifaschisten von Rechten umgenietet würden, damit es wieder Ruhe in der Stadt gebe.

Die Antifa selber hat sich für die nächste Zeit vollständig aus der öffentlichen Arbeit zurückgezogen, ihr bleibt im Moment keine andere Wahl. Jede offensive Aktion, ob von Schwedter Linken oder von außerhalb, ist Anlaß für die Neonazis, noch härter vorzugehen. Der Antifa bleibt vorerst nur das Abtauchen, die Emigration. Im Moment ist nicht abzusehen, ob das das Ende der Antifa in Schwedt ist (ein Großteil der Leute will sowieso nach Berlin o.ä. zur Lehre oder zum Studium gehen), oder, ob sich ein neuer Weg, antifaschistische Politik zu machen, später eröffnen wird. Im Moment sieht es so aus, als ob Schwedt gefallen ist. Wer aber dennoch mit den Schwedter Antifas in Kontakt treten will, erreicht die „aas“ über die Adresse des Antifaschistischen Infoblattes.

  • 1Selbst der Verfassungsschutzberichte Brandenburg von 1993 musste bilanzieren: „In Schwedt ereigneten sich 1993 zwölf solcher Übergriffe von Rechtsextremisten, die sich gegen die Treffpunkte "Cafe Lisa" und "Karthausclub", aber auch gegen einzelne Personen richteten. So wurde am 18.09.1993 am Rande einer Veranstaltung im "Cafe Lisa" eine Person durch zehn bis fünfzehn rechtsextremistisch orientierte Jugendliche zusammengeschlagen und dabei schwer verletzt. In Angermünde war vor allem das "Alternative Literaturcafe" (ALC), genannt "Rote Oase", Ziel von Überfällen. Einer der Angriffe ereignete sich am 2.10.1993, als ca. 20 bis 30 Jugendliche, darunter solche aus Schwedt, in das als Treffpunkt linksorientierter Personen bekannte Cafe einzudringen versuchten."
  • 2Nachtrag AIB: Auf einem „Spiel-und Tobeplatz“ in der Nähe der Gaststätte Bangladesh („Bangla“) wird am Abend des 16. September 1991 der Arbeitslose Wolfgang Auch (geb. 1963) von acht Jugendlichen zusammengeschlagen. Die rechte Gesinnung der meisten Täter ist offenkundig, der Tatort gilt als deren Treffpunkt. (Aus: Christoph Kopke / Gebhard Schultz: Überprüfung umstrittener Altfälle „Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt“)
  • 3Nachtrag AIB: Am 11. März 1992 wird die Schülerin Melanie Harke (geb. 1978) im Keller eines 10-stöckigen Neubauwohnhauses von vier Tätern ermordet. Mindestens zwei der vier Täter gehörten zumindest zeitweise der „Skinheadszene“ an. Der Angeklagte René St. sagte im Polizeiverhör: Es haben sich oft Glatzen bei mir aufgehalten. Zu Noreen Sch. heißt es: „In Schwedt sei sie Mitglied ‚bei den Glatzen‘ (Skins) gewesen, und zwar in einer Clique von 40 Mann".  Zu Maik Ch. steht im Urteilstext: „Im Jahre 1991 hielt er sich […] in Skinheadkreisen auf und beteiligte sich vielfach an Schlägereien". (Aus: Christoph Kopke / Gebhard Schultz: Überprüfung umstrittener Altfälle „Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt“)
  • 4Nachtrag AIB: Zitat aus der Reportage„Furcht vor Rache “ (28. Januar 1994) veröffentlicht in der ZEIT Nr. 05/1994: „Mehrere rechtsorientierte Jugendgruppen scharen sich denn auch um deren führende Köpfe, die (…) stadtbekannt sind. Sie heißen Sven Hansen, der vor dem Verbot der Nationalistischen Front seine Briefe gern mit "NF-Stützpunktleiter Schwedt" unterzeichnete, und Steffen Wünsch, ebenfalls ein früherer Kamerad der NF. Inzwischen ist Hansen in den Bundesvorstand der "Sozialrevolutionären Arbeiterfront" (SrA) aufgerückt (...)“.
  • 5Vgl.: taz vom 6.12.1993: Neonazis verbreiteten Listen mit Namen ihrer Feinde: Wer hat Angst vorm braunen Mann?
  • 6Vgl.: Neues Deutschland vom 10. Juli 1993 in "Hat Schwedt vor dem Rechtsradikalismus kapituliert?", Peter Engelbrecht: "Schuld an der rechtsextremen Gewalt sind nicht die Täter oder jene Bürger, die auf ihren Balkonen den rechten Arm zum Hitlergruß recken und faschistische Parolen schreien (so geschehen am 12. Juni bei der Anti-Gewalt-Demo), schuld ist die Autonome Antifa Schwedt, sagt das Jugendamt. Es behauptet nicht, die AAS würde körperliche Gewalt anwenden oder mit Mord drohen wie die Rechten. Man wirft der Antifa Schlimmeres vor: verbale Gewalt. Erst die verbale Gewalt veranlasse die Rechten zur Gewalt".
  • 7Vgl.: „Die Stadt gehört uns- Rechte Gewalt in Schwedt“ (Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg/TV-Fassung, Erstausstrahlung: ARD). Die städtische Sozialarbeiterin Birgit K. erklärt dort dem TV-Team: "Wir stellen uns ganz bewußt an die Seite derer, die im Volksmund die Bösen sind, weil, so böse sind sie nämlich gar nicht." Telefonisch bittet sie im Fernsehbeitrag Mirko H. darum doch klarzustellen "daß Du ja eigentlich ein ganz netter Junge bist und kein Schläger und kein rechtes Vieh (...) kein brauner Kampfhund, daß Du auch mehr kannst als bellen ... " Brandenburger AntifaschistInnen berichten in der Broschüre „HdK #1“ der Sohn des Schwedter BGS-Chef's K., gehöre der rechten Schlägerszene an, die Mutter sei Sozialarbeiterin. Der Hintergrundartikel "Rotlicht-Nazis aus der Provinz" von Annette Rogalla zitiert zum lokalen BGS-Kontakt: „Was kann schlimm daran sein, wenn Deutsche Deutschen helfen?“ (...) und berichtet: „Vor drei Monaten ließ das BGS-Kommando Berlin in eigener Sache ermitteln". In: taz (die tageszeitung) vom 13. Dezember 1993