Neonazismus in Ostberlin
Durch den Überfall von etwa 40 rechten Skinheads auf die Ostberliner Zionskirche und ein Konzert von „Die Firma“ und „Element of Crime“ am 17. Oktober 1987 ist zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden, daß es in der Haupttstadt der DDR Neonazis gibt. Berichten aus Ostberlin zufolge waren sie von einer Feier des rechten Hooligan-Anführers (BFC Dynamo) Jens-Uwe Vogt in der Kneipe „Sputnik“ an der Greifswalder Straße gekommen. Einige der jugendlichen Neonazis, die am Überfall auf die Zionskirche beteiligt gewesen sind, waren am Nachmittag beim Fussball (1. FC Union gegen 1. FC Lokomotive Leipzig).
Am Vorabend hatte es bereits eine Auseinandersetzung mit den Rechten vor dem „Haus der Jungen Talente“ in der Klosterstraße gegeben. Das Antifaschistische Infoblatt (AIB) ist im Zusammenhang mit Neonazi-Aktionen in Ostberlin auch auf „alte Bekannte“ aus Westberlin gestoßen. Einige der Angreifer kamen laut Berichten Ostberliner BeobachterInnen auch aus Westberlin.
Die Ostberliner Zeitschrift „Umweltblätter“ berichtete zum Überfall auf die Zionskirche: Die Situation war grotesk. Die 300 bis 400 am Ende des Konzerts noch gebliebenen Zuschauer ließen sich von 30 Glatzköpfen terrorisieren. Erst als eine kleine Anzahl von Entschlossenen massiv gegen die Skins vorging, verließen diese fluchtartig die Kirche. Um sich ihre Niederlage zu entschädigen „mischten“ die Skins auf dem Rückweg den Schwulenstrich an der Schönhauser Allee „auf“.
Bereits länger bekannt ist,daß sich Westberliner Neonazis häufiger in Ostberlin aufhalten. So war bereits 1985 Andreas Pohl, Führer der Westberliner „Nationalistischen Front“ (NF), aus der nunmehr geschlossenen Ostberliner Szenekneipe "Franken" geflogen. Die Kneipe hatte sich zum beliebten Treff von Punks und Künstlern entwickelte. Außer Andreas Pohl sind auch die NF-Aktivisten Christian F. und Bernd A. öfters in Ost-Berlin gesehen worden. Neben den NF'ler treiben sich auch Mitglieder der Westberliner „Wiking-Jugend“ dort herum.
Selbst nach offiziellen Angaben gibt es Hunderte rechte Skinheads in der DDR. Sie verfügen auch in Ostberlin über eigene Treffpunkte – etwa ein Restaurant am Frankfurter Tor oder die Gaststätte FAS in Lichtenberg. Nach dem Überfall auf die Kirche haben die rechten Skinheads ziemlich Auftrieb bekommen und weitere Gewalttaten initiiert. Überfallen wurden u.a. ein sogenannter „Schwulenstrich“, PatientInnen der kirchlichen Psychiatrie in Herzberge und eine Feier von Punks in einem besetzten Hinterhaus. Die Räumung des Hinterhauses übernahm in der Folge die Polizei – sie räumten die Punks aus dem Haus und vermauerten die Türen.
Ähnliche engagierte ging die Ostpolizei bei der Schließung des "Franken" vor. Offenbar kommen die Aktionen neonazistischer Skinheads einigen Leuten gelegen um gegen die unabhängige alternative Szene der DDR vorgehen zu können. Anderseits scheint der Staat aber auch das politisch Problem des „Rechtsradikalismus“ erkannt zu haben – wenn auch aufgrund von öffentlichen Druck in der DDR. Dies drückt sich darin aus, daß bei Auseinandersetzungen mit Neonazi-Skinheads polizeiliche Sondereinheiten ausrücken - normale Polizisten würden sich oftmals nicht trauen einzugreifen. Weiter ist es erkennbar, daß mittlerweile gegen Neonazi-Skinheads hohe Haftstrafen verhängt wurden.1 Die Strafen reichen von 15 Monaten bis vier Jahre - alle ohne Bewährung. Weil die Angreifer bei ihren Überfällen offen neonazistische, rassistische Parolen riefen, hat sich der DDR-Staat nun mit der Existenz neonazistischer Gruppen auseinanderzusetzen, die es laut Verfassung der DDR nicht geben kann. Dort steht, daß in der DDR der Faschismus ausgerottet sei.
- 1Einige der am Überfall beteiligten Neonazis kamen medienwirksam vor Gericht: Ende 1987 wurden Ronny Busse, Torsten B., Sven Evert und Frank Brzezynski u.a. wegen „Rowdytums“ und „öffentlicher Herabwürdigung“ zu teils hohen Haftstrafen verurteilt. Nicht angeklagt - aber kurzzeitig festgenommen worden - war Jens-Uwe Vogt ein Hooliganführer des BFC.