Bewährungsstrafe für »Einblick"-Macher
Zur Jahreswende 1993/94 erscheint die Neonazi-Publikation "Der Einblick - Die nationalistische Widerstandszeitschrift gegen zunehmenden Rotfront- und Anarchoterror", in der die Namen von 151 (antifaschistischen) Personen veröffentlicht worden waren. Den genannten Personen wurden „unruhige Nächte“ angedroht. Gedruckt wurde die Broschüre im oberfränkischen Rodach beim "ODAL-Druck und Verlag" von Eberhard Hefendehl. Das Jugendschöffengericht Groß-Gerau (Hessen) verurteilte die beiden Hauptverantwortlichen für die "Einblick"-Herausgabe, Norman Kempken und Stephane C. wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten, Beleidigung und Nötigung zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren ohne Bewährung bzw. von einem Jahr mit Bewährung.
Am 5. November 1996 ging der Prozeß gegen Norman Kempken vor dem Darmstädter Landgericht in die zweite und vorläufig letzte Runde. Norman Kempken hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt.
In der neuerlichen Verhandlung, für die nur drei Stunden anberaumt wurden, ging es lediglich darum, das Strafmaß zu überdenken, wobei schon im Vorfeld absehbar war, daß das Gericht auf jeden Fall die Strafe zur Bewährung aussetzen würde. Norman Kempken wurde vom Frankfurter Rechtsanwalt Hans-Otto Sieg vertreten, der sich unlängst als Verteidiger von Gerhard Lauck von der NSDAP/AO in Hamburg und im Koblenzer DA-Nachfolgeprozeß einen einschlägigen Ruf in der Neonazi-Szene verschaffte.
Der Einblick-Macher erhielt ein Urteil von eineinhalb Jahren auf Bewährung und 150 Arbeitsstunden. Interessant erscheinen einige Details aus der Urteilsbegründung. So wurde Norman Kempken zugute gehalten, daß die Straftat nun mehr drei Jahre zurückläge und daß er sich mittlerweile von der Rhein-Main-Neonaziszene gelöst habe. Dies allerdings ist kein allzu großes Kunststück, da Norman Kempken bereits im Frühjahr 1994 nach Nürnberg verzog, dort verschiedene Aktivitäten entwickelte und gar wegen Verbreitung neonazistischer Propaganda zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Zur Zeit gibt Norman Kempken Oberhausen (bei Ingolstadt) als Wohnort an.
Auch wurde bemängelt, daß erstinstanzlich der zweite Hauptangeklagte Stephane C. mit einem Jahr auf Bewährung und einer Geldstrafe wesentlich milder davongekommen sei als Norman Kempken. Dabei ging das Darmstädter Landgericht kaum darauf ein, daß Stephane C. umfangreiche belastende Aussagen gemacht und von dem „Einblick“ Abstand genommen hatte, während Kempken die Zusammenarbeit mit dem Gericht in beiden Instanzen kategorisch ablehnte. Desweiteren erschienen dem Gericht die Artikel von Norman Kempken, die u.a. die »endgültige Ausschaltung« der politischen Gegner forderten, als ein »nachvollziehbarer Entschluß«, da Kempken selbst »ins Visier der politischen Gegenseite« geraten sei. Ein Angriff auf seine damalige Rüsselsheimer Wohnung im September 1993, bei dem Sachschaden entstand, habe ihn »emotional« aufgebracht und zu den Gewaltaufrufen veranlaßt. Dabei wurde ignoriert, daß Kempkens Engagement für den »Einblick« erwiesenermaßen mehr als ein halbes Jahr vor dem besagten Angriff begann.
Eine pikante Notiz am Rande: Obwohl ein Verfahren gegen mehrere AntifaschistInnen wegen des Angriffes auf Kempkens Wohnhaus frühzeitig eingestellt wurde, ließ es sich der Richter nicht nehmen, nochmals detailliert auf diesen einzugehen und die Namen der damaligen Verdächtigen vorzulesen.
Wollte Rechtsanwalt Hans-Otto Sieg noch während des Prozesses aus dem „Antifaschistischen Infoblatt“ (AIB) zitieren, um auf eine angebliche Bedrohungssituation seines Mandanten »von links« hinzuweisen, so konnte er darauf schließlich verzichten. Auch ohne sein weiteres Zutun wurde in diesem Prozeß ein Täter zunehmend in eine Opferrolle gebracht. Außer den üblichen dpa-Meldungen wurde in der Öffentlichkeit fast nichts mehr über den Prozeß und über die Urteilsbegründung bekannt.