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1988: Extreme Rechte in Europa

Bild: wikimedia.org; ItalianPeople.info

Der verstorbene frühere MSI-Führer Giorgio Almirante.

DDR

Im Antifaschistischen Infoblatt Nr. 3 berichteten wir über Neonazis in Berlin (DDR) und über deren Umtriebe und Kontakte nach Westberlin. Seit etwa einem halben Jahr berichtet die DDR-Presse regelmäßig über Festnahmen und Prozesse. Anfang Juli 1988 standen fünf Jugendliche vor dem Stadtbezirksgericht Prenzlauer Berg. Sie wurden zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und sechseinhalb Jahren verurteilt. Die Neonazis hatten von Januar 1988 bis März 1988 vier mal einen jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee verwüstet und dabei faschistische Parolen gegröhlt. Am 8. März 1988 berichtete die Ostberliner "Berliner Zeitung": "Durch die zuständigen Organe der DDR wurden am 5. März 1988 sechs Personen wegen Schändung von Grabmalen auf dem Friedhof der Jüdischen Gemeinde in Berlin-Prenzlauer Berg verhaftet. Der Initiator dieser Zerstörung von jüdischen Grabstätten ist ein Frank Lehmann aus der Zionskirchstraße. Nach dem bisherigen Stand des Ermittlungsverfahrens traten die Täter mit antisemitischen Parolen auf. Als Motiv gab einer der Verhafteten an, zu dieser abscheulichen Tat sei er durch Filme des BRD-Fernsehen angeregt worden."

Offiziell wurden Frank Lehmann und die anderen jugendlichen Täter aus Prenzlauer Berg wegen Friedhofsschändung, „Rowdytum“ und „Herabwürdigung“ angeklagt. Diejenigen, die sich vor Gericht als Neonazis bekannten wurden mit höheren Strafen bedacht. Einige hatten bei der Polizei angegeben, sie hätten bei den Taten antisemitische Parolen und »Deutschland erwache!« gerufen. Bei mehreren Tätern fanden sich Liedtexte von westdeutschen rechten Skinhead-Bands.

Auch in Dresden, Halle, Cottbus, Weißenfels und am Kreisgericht Oranienburg (der ehemaligen Nazi-KZ-Stadt) kam es mittlerweile zu Prozessen gegen Neonazis. Die Existenz neonazistischer Gruppen in der DDR ist für die öffentliche Auseinandersetzung dort immer noch kein Thema. Hauptsächlich rechte "Skinheads", die sich an "durch westliche Medien vermittelten faschistischen und neonazistischen Leitbildern" (ADN- Zitat) orientieren, treten in solchen Gruppen auf. Einige tausend mehr oder weniger gut organisierte (Neonazi)Skinheads gibt es in der DDR. Sie hetzen wie (die meisten) hier gegen AusländerInnen und „Langhaarige “ und greifen sie tätlich an.

Italien

Am 22. Mai 1988 starb Giorgio Almirante, der Gründer und Anführer des neofaschistischen „Movimento Sociale Italiano“ (MSI). Mit großem internationalen Aufgebot wurde Almirante unter die Erde gebracht. Die 1946 gegründete MSI ist eine der ältesten faschistischen Parteien Europas und Almirante war bis letztes Jahr ihr Führer. Die Gesandschaft, die auf dem Pressefoto feierlich mit erhobenem rechten Arm und „Sieg Heil“ begrüßt wird, ist die Delegation von Le Pens „Front National“ (FN).

Schweiz

Deutsche und Schweizer Neonazis der „Wiking-Jugend“ (WJ) campierten im Juli 1988 auf dem Schweizer Nationalheiligtum der sogenannten Rütliwiese bei Seelisberg. Sie hatten den Platz im letzten Herbst gemietet und sich u.a. beim Gemeindepräsident Hans Aschwanden als Pfadfinder ausgegeben. Die Rütliwiese ist eine beliebte politische Projektionsfläche der extremen Rechten und Anziehungspunkt sowohl für Nationalkonservative als auch für Neonazis. Obwohl die Neonazi-Jugend die WJ-typischen Odalsrunen und weitere NS-Symbolik durch die Gegend trugen, soll niemandem aufgefallen sein, wer sich da am Rütli rumtrieb. Erst nach Recherchen der Züricher „WochenZeitung“ kam Licht in das braune Lager. Es waren Mitglieder der Wiking-Jugend, die dort jeden Morgen beim Appell das Deutschlandlied sangen.

Seit 1987 tritt Roger Wüthrich als ein Anführer der Wiking Jugend Schweiz (WJS) auf.1 Auch beim 29. Schweizerischen Zweitagemarsch im Mai 1988 - eine der grössten Wander- und Marschveranstaltungen - konnte die Wiking Jugend Schweiz offenbar ungestört teilnehmen. Folgt man den Presseberichten, der Fachliteratur2 und den Publikationen der Schweizer Neonazis ist Ende 1986 die Gründung der WJS durch Roger Wüthrich und Andreas Lorenz in Angriff genommen worden, nachdem Wüthrich und Lorenz aus einem Wintercamp der Wiking-Jugend Deutschland zurückgekehrt waren. Sie hätten dort die Erlaubnis erhalten, eine Schweizer Niederlassung der Organisation zu gründen. Die WJS wurde dann offiziell im April 1987 ins Leben gerufen und publizierte die Zeitung „Nordwind“ speziell für die Schweizer Neonazi-Jugend. Das veranstaltete Sommercamp bewarb man dort mit Volkstanz, Sport und „Märsche in knöcheltiefem Schlamm“, solche Märsche seien ein notwendiges Lagerererlebnis, denn „in allen maskulinen Kulturkreisen, zu denen wir gehören, sind Disziplin und Moral der Grundpfeiler unserer Lebensauffassung."3

Am 21. Juni räumte die Polizei die „Alte Stadtgärtnerei“ in Basel. Das seit zwei Jahren als alternatives Kulturzentrum genutzte Gelände soll in eine Parkanlage umgewandelt werden. Am Abend sammelten sich 2500 Menschen zu einer Protestdemonstration. Während und nach der Demonstration kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch in diese Auseinandersetzungen involviert waren neonazistische Schlägerbanden (scheinbar auch Hooligans vom FC Basel) . AugenzeugInnen berichteten wie etwa 30 bis 40 bürgerwehrmäßig organisierte Schläger versprengte DemonstrantInnen mit Brandflaschen angriffen und mit Eisenstangen und Holzküppeln attackierten. Zeitweise wurden Demonstrantinnen zeitgleich von Neonazis als auch durch Polizisten attackiert.

CSSR

Das Stadtgericht in Prag hat im Juli 1988 eine Gruppe von jugendlichen Neonazis zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Die drei 19-Jährigen hatten 30 sowjetische Ehrengräber in Prag mit Hakenkreuzen beschmiert und an zahlreiche Hauswände faschistische Parolen gesprüht. Außerdem hatten sie mehrmals versucht Züge zum Entgleisen zu bringen.

  • 1Nachtrag: Er gehört mittlerweile zur selbsternannten Denkfabrik „Avalon“, einem Ableger des deutschen „Thule-Seminars“
  • 2z.B. Rechte Seilschaften (Rotpunktverlag).
  • 3Nachtrag: Da - wie beklagt wurde - zu wenig Schweizer Jugendliche bereit waren ihre Jeans und Coladosen für Volkstanzunterricht und Märsche einzutauschen, wurde im Februar 1991 auf dem vierten Kongress der WJS in Worblaufen die Auflösung beschlossen. Nur einen Monat zuvor war der Schweizer Neonazifunktionär einer „Nationalrevolutionare Partei der Schweiz“ (NPS) Robert Burkhard wegen eines Handgranatenangriffs auf einen Journalisten festgenommen worden. Die Polizei fand WJS-Material in dessen Wohnung. Der Kanton Aargau der WJS brach zu dem offen mit der Führung des WJS und nahm eine „nationalrevolutionäre Richtung“. Nach der Auflösung der WJS beschlossen Wüthrich und Andreas Gossweiler den Aufbau der sog. Avalon Gemeinschaft.