Prozesse gegen AntifaschistInnen in Westberlin
Am 14. Juli 1987 veranstalteten die ultra-rechte Partei „Die Republikaner“ (REPs) vor dem Berliner Reichstag ihre Auftaktveranstaltung für den Wahlkampf zu den Abgeordnetenhauswahlen Anfang 1989 in Westberlin unter dem Motto: „Trotz allem - Deutschland“. Die Versammlung wurde begleitet von einer massiven Gegenkundgebung von Antifaschisten und Antifaschistinnen, die die weitere Durchführung der Propagandaveranstaltung verhinderten. Im Rahmen dieser Verhinderung kam es zu Auseinandersetzungen, in deren Verlauf vier AntifaschistInnen festgenommen wurden.
Der erste Prozeß wegen Landfriedensbruch endete in erster Instanz mit Freispruch. Zu dem zweiten Prozeß kommt es, weil ein Neonazi aus den Kreisen der Neonazi-Partei „Nationalistische Front“ (NF) - dort für Fotos von „Linken“ zuständig - und ein mit ihm scheinbar in gewisser Weise gemeinsam agierender Zivilpolizist die drei AntifaschistInnen beschuldigen, eine gefährliche Körperverletzung und Widerstand begangen zu haben.
Der Prozeß gegen die drei Antifaschisten wegen des Republikaner-Auftritts vor dem Reichstag war durch aufwendige Sicherheitsvorkehrungen seitens der Westberliner Polizei bestimmt. Vor dem Gerichtsgebäude waren zwei vollbesetzte vergitterte Polizei-Mannschaftswagen („Wannen“) aufgefahren. Die Zuschauer mußten den Eingang zum Hochsicherheitsbereich benutzen, sich abtasten lassen und ihre Sachen - wie Feuerzeuge und anderes - abgeben. Bei einem Journalisten des "Sender Freies Berlin" (SFB) wurde versucht, seine journalistischen Unterlagen zu beschlagnahmen. Eine weitere Form der "Schikane" war, daß ein Sicherheitssaal mit einem Fassungsvermögen von nur 25 Personen ausgesucht worden war. Der größte Teil der circa 80 AntifaschistInnen durfte am Prozeß nicht teilnehmen. Die Verhandlung begann mit dem Verlesen einer Erklärung der Angeklagten, die wir im Anschluß auszugsweise abdrucken. Danach wurde der Hauptbelastungszeuge und Neonazi Christian F. von der „Nationalistischen Front“ zur Vernehmung aufgerufen. Er war nicht anwesend und konnte auch zu Hause von den Polizei-Beamten nicht aufgefunden werden. Deswegen ist der Prozeß für neu angesetzt worden.
Dokumentation der Prozeßerklärung
„Wir stehen hier vor Gericht, weil wir gegen die Kundgebung der „Republikaner“ am 14. Juli 1987 vor dem Reichstagsgebäude protestiert haben (…) Wie allgemein bekannt sein dürfte, ist diese unter dem Motto „Trotz allem - Deutschland“ groß angekündigte Veranstaltung mit ihrem Bundesvorsitzenden und SS-Mann Schönhuber für die „Republikaner “ ziemlich in die Hose gegangen. Dank des entschlossenen und starken antifaschistischen Handelns mußten die „Republikaner“ ihre Provokation einstellen und die Veranstaltung nach 20 Minuten abbrechen. Dies war ein erster Erfolg der antifaschistischen Bewegung in Westberlin im Kampf gegen die „Republikaner“ und hat uns Mut gemacht, weiter gegen diese neofaschistische Organisation zu kämpfen, ihre Kandidatur sowie ihre öffentliche Propaganda zu verhindern (…) Die „Republikaner“ setzen sich für eine „Volksgemeinschaft der Leistungswilligen“ ein, das heisst alle hier lebenden Menschen haben sich den Interessen der herrschenden Klasse unterzuordnen (…) Die „Republikaner“ sind Rassisten (…) Die „Republikaner “ sind Frauenfeinde (…) Die „Republikaner“ sind gewalttätige Antikommunisten. Die „Republikaner“ sind ein erneuter Versuch, eine rechte Sammlungsbewegung zum Erfolg zu führen. Sie versuchen, politische Kräfte vom rechten Rand der bürgerlichen Parteien bis hin zu militanten Neonazis zusammenzufassen. Auf der Kundgebung (…) war so ein stadtbekannter Neonazi- Aktivist, Führungskader der neonazistischen „Deutschen Jugendinitivative“, wie Mario D (...). Mit ihm zusammen anwesend war so jemand wie Wolfgang Wilkening, Mitglied der neofaschistischen „Bürgerinitivative Demokratie und Identität“ und Schreiberling in dem üblen neofaschistischen Hetzblatt „Sieg“ aus Österreich. Sie standen auf der Kundgebung gemeinsam mit JU- Mitgliedern wie damals noch Carsten Pagel, Frischrepublikanern wie Andreas D(...), Mitgliedern der „Nationalistischen Front“ wie Christian F(...) und Zivilpolizisten mit erstaunlicher Sympathie für Neonazis wie Frank B (...) Sie (die REPs) propagieren „Ausländer raus“, „Linke gleich Chaos und Anarchie“ und „Wir brauchen wieder einen starken Staat“. Sie versuchen, die Menschen von den eigentlichen Ursachen ihrer Unzufriedenheit abzulenken und diese Unzufriedenheit gegen angeblich Schuldige zu richten. Für die herrschende Klasse verringert sich dadurch die Gefahr, daß die Menschen die kapitalistische Gesellschaftsordnung als eigentliche Ursache erkennen und in Frage stellen. Statt eine gerechtere Gesellschaftsordnung anzustreben und sich dafür einzusetzen, sollen die Menschen sich untereinander bekämpfen (…) wenn wir unseren Kampf für eine bessere und gerechtere Gesellschaft ernst meinen, dann müssen wir besonders die Entwicklung des Neofaschismus bekämpfen, da dieser ein wichtiges Hindernis in unserem Kampf darstellt. Dabei dürfen wir die Hintergründe des sich verstärkenden Neofaschismus nicht verschweigen, denn „Wer vom Faschismus spricht, sollte vom Kapitalismus nicht schweigen“1 . Dadurch gelingt es uns, die Entwicklung eines antikapitalistischen Bewußtseins zu fördern und uns dem Ziel einer neue Gesellschaft Schritt für Schritt zu nähern. Dafür kämpfen wir und dafür stehen wir hier vor Gericht."
- 1Die Angeklagten zitieren den deutschen Sozialphilosophen und Kopf der "Frankfurter Schule" Max Horkheimer. In seiner Kritik der bürgerlichen Gesellschaft formuliert er am "Vorabend des Zweiten Weltkriegs" pointiert: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“