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Codierte und getarnte Zeugen

Rechtsanwältin Silke Studzinsky
Einleitung

Zwei Berliner Angeklagten wird vorgeworfen, gemeinschaftlich bei Protesten gegen eine Neonazi-Demonstration in Dresden einen schweren Landfriedensbruch begangen zu haben. Sie werden nach ihrer Festnahme von zwei Berliner Polizeibeamten belastet, die als Zivilbeamte eingesetzt waren

Eigentlich also ein ganz normaler Sachverhalt in einem Strafprozess – sollte man meinen. Doch das Verfahren gestaltet sich eigentümlich. Die Polizeibeamten erscheinen bereits in ihrer ersten Vernehmung mit einer Codiernummer ausgestattet; ihre Namen werden nicht genannt. Die Verteidigung versucht wiederholt ihre Namen zu erfahren, um so die Glaubwürdigkeit der Zeugen überprüfen zu können. Einen Tag vor der Hauptverhandlung erließ die  Senatsverwaltung für Inneres schließlich eine Sperrerklärung analog zu § 96 StPO mit der Begründung, die Bekanntgabe der Namen würde dem Wohl des Landes Berlin Nachteile bereiten. Den Zeugen wurde zudem gestattet, während ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung ihr Äußeres zu verändern.

Die Sperrerklärung der Senatsverwaltung stützt sich im Wesentlichen auf zwei Argumentationslinien: Die Beamten (und ihre Familien) seien persönlich gefährdet, da im Falle der Offenlegung ihrer Namen zu befürchten sei, dass diese über das Internet verbreitet werden würden und sie Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt wären. Und zweitens: Die Beamten seien in speziellen Diensteinheiten eingesetzt, die für die operative Bekämpfung der linksextremistischen kriminellen Szene zuständig seien und ihr künftiger Einsatz in diesen Sondereinheiten würde vereitelt werden.

Das erste Argument nimmt Bezug auf § 68 Abs. 3 StPO, wonach Zeugen im Falle einer »Gefährdung für Leben, Leib oder Freiheit« gestattet werden kann, ihren Namen geheim zu halten. Die weitere Begründung der »Gefährdung der weiteren Verwendung« ist § 110 b Abs. 3 StPO zu entnehmen. Dies ist eine Sonderregelung für verdeckte Ermittler. Die hiesigen Zeugen sind aber ganz gewöhnliche Polizeibeamte, die unter anderem auch in Uniform auftreten. Sie sind gerade keine verdeckten Ermittler. Die Sperrerklärung enthält aber auch keine Prüfung der individuellen Gefährdung jedes einzelnen Zeugen.

Daraufhin begehrte die Verteidigung beim Verwaltungsgericht  im Wege der einstweiligen Anordnung die Feststellung, dass die Sperrerklärung rechtswidrig sei. Sie argumentierte, dass die Glaubwürdigkeit der Zeugen ohne Angabe ihres Namens  nicht überprüft werden könne, die Rechte der Verteidigung  dadurch erheblich beschränkt und der Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren verletzt sei. Angesichts der erheblichen Strafdrohung gegen einen der Angeklagten (er befand sich zu Beginn der Hauptverhandlung bereits über 10 Monate in Untersuchungshaft) sei die Beschränkung der Verteidigung von besonderem Gewicht. Das Verwaltungsgericht wies den Antrag zurück. Das Oberverwaltungsgericht bestätigte auf die Beschwerde hin die erstinstanzliche Entscheidung.

Zwar gab das Verwaltungsgericht zu, daß die erforderliche Interessenabwägung nur in einem einzigen Satz erfolgt und nicht die gesamten Anforderungen erfüllt seien, wie sie das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, erfüllt. Dennoch führe dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung, denn »die Beschränkung der Verteidigungsrechte ist vergleichsweise gering und hat hinter dem Interesse an der Geheimhaltung der Identität der Zeugen zurückzutreten.«

Das Verwaltungsgericht stellte darüber hinaus fest, das § 110 b Abs. 3 StPO über den Wortlaut hinaus nicht nur für verdeckte Ermittler, sondern auch für andere Auskunftspersonen gelte. Im Laufe der Hauptverhandlung stellt sich folgendes heraus: Die codierten Zeugen waren in der Vergangenheit keinerlei Bedrohungen oder Angriffen ausgesetzt. Dennoch traten sie erstmalig in diesem Verfahren mit Codiernummern auf, obwohl sie bereits seit vielen Jahren beim Staatsschutz eingesetzt sind. Sie fühlten  sich noch nicht einmal  subjektiv durch die Bekanntgabe ihrer Namen persönlich gefährdet. Die Codiernummern wurden durch den Dienstvorgesetzten vergeben, eine Überprüfung der Voraussetzung für die Geheimhaltung der Namen erfolgte nicht. Der Chef der Dienststelle erklärte, dass die ihm unterstellten Beamten und Beamtinnen grundsätzlich alle codiert auftreten.

In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 14. November 2005 gab der Berliner Innensenator Dr. Körting an, dass eine Codierung »immer nach gründlicher Prüfung des Einzelfalles« erfolge und »die Frage der Codierung nicht von bestimmten Tätergruppen abhängig ist, sondern sich nach der individuellen Gefährdung der Zeugen richtet.« Er konnte allerdings keine Auskunft darüber erteilen, wieviele und in welchen Fällen Codiernummern bisher vergeben worden sind und war folglich auch nicht in der Lage, die Vergabe von Codiernummern zu kontrollieren.

In Berlin ist es inzwischen zum Regelfall geworden, daß ganz gewöhnliche zivil und uniformiert auftretende PolizeibeamtInnen des Staatsschutzes unter Codiernummern auftreten. Diese Praxis unterliegt keiner tatsächlichen Kontrolle durch die dienstvorgesetzte Innenbehörde, ja die Senatsverwaltung wird offenbar nicht einmal über die Fälle informiert. Vielmehr vergibt jedeR EinsatzleiterIn der Polizei eigenmächtig Codiernummern, und wie man im vorliegenden beispielhaften Fall sieht, ohne eine individuelle Gefährdungsprüfung vorzunehmen. Auch objektive und/oder subjektive Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung der einzelnen PolizeibeamtInnen werden nicht geprüft. Die Ausnahme- und Sonderregelungen in der StPO für verdeckte Ermittler, die eigentlich restriktiv gehandhabt werden müssen, werden damit in unzulässigerweise auf alle Auskunftspersonen ausgeweitet.

Die vorliegend beschriebene Hauptverhandlung gestaltete sich dementsprechend kurios. Fragen an die Zeugen, die über ihre Angaben in ihren polizeilichen Vernehmungen  hinausgingen, wurden verweigert. Eine tatsächliche Aufklärung des Sachverhalts war ausgeschlossen. Damit wird ein wesentliches und grundlegendes Recht der Verteidigung in einem rechtsstaatlichen Verfahren, nämlich die Glaubwürdigkeit von Zeugen überprüfen zu können,  mit einem Handstreich weggewischt.

Die Ausnahme wird zur Regel. Dies ist umso problematischer, wenn es sich wie hier um BeamtInnen von Sondereinheiten wie dem Staatsschutz handelt, die durch ihre Spezialisierung regelmäßig ein besonderes Verfolgungsinteresse entwickeln. Eine solch einschneidende Praxis wird eigenmächtig und unkontrolliert von den jeweiligen Dienstvorgesetzten ausgeübt und entspricht nicht den Anforderungen der Senatsinnenverwaltung.