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Polizeiruf »88 Null«. Sondereinheiten im Einsatz gegen Rechts

Einleitung

Sie sind fester Bestandteil des staatlichen Handlungsarsenals gegen Rechts: Die von Medien und Politikern gleichermaßen hochgelobten Polizeisondereinheiten. Wie wenig Medienhype und Realität übereinstimmen, soll hier anhand der Berliner Einheit »Politisch Motivierte Straßengewalt« (PMS) und der »Mobilen Einsatztrupps gegen Ausländerfeindlichkeit und Gewalt« (MEGA) in Brandenburg analysiert werden.

Berliner Polizeibeamte im Einsatz bei einer Neonazi-Demonstration.

Eberswalde, 27. März 2001: Während rund 300 Neonazis durch die Kleinstadt marschieren, protestieren knapp 100 jugendliche Antifas am Straßenrand. Eine bekannte Situation entsteht: Eine Kette von Bereitschaftspolizisten stellt sich vor die linken Jugendlichen, die ohnmächtig Parolenrufen, als die Neonazis vorbeimarschieren. Eine Situation, die viele AIB-LeserInnen kennen. Doch dann ändert sich das Szenario schlagartig. Mit den Neonazis erreicht auch die Berliner Polizeieinheit »Politisch Motivierte Straßengewalt« (PMS), die die Berliner Kameradschafts-Aktivisten begleitet, die Straßenecke, an der die Antifas ihre Kundgebung abhalten.

Einige Beamte der PMS drängen sich an den Bereitschaftspolizisten vorbei und beginnen, auf die linken Jugendlichen einzuschlagen. So massiv, dass es dem Einsatzleiter der Potsdamer Bereitschaftspolizei schließlich reicht. Er fordert die »Berliner Kollegen« auf, zu den Neonazis zurückzukehren und die linken Jugendlichen in Ruhe zu lassen. Augenzeugen berichten, dass Beamte der PMS in den Seitenstraßen weitere linke Jugendliche geschlagen hätten. Nach dem Ende des Aufmarsches entschuldigt sich der Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei bei dem Anmelder der Antifakundgebung für das Vorgehen der PMS.

Schläge gegen Links, Streicheleinheiten nach Rechts

Die Vorfälle von Eberswalde sind keineswegs Ausrutscher der von den Medien als Eliteeinheit gegen Rechts gefeierten PMS. Am  l. Mai 2000 wird in Berlin-Kreuzberg am Rande der l. Mai-Randale ein als Antifaaktivist polizeibekannter 31jähriger von Zivilbeamten der PMS festgenommen. Der Verhaftete wird in einem Polizeifahrzeug an einen verlassenen Ort gefahren und von mehreren - teilweise vermummten - Polizisten beschimpft und so schwer zusammengeschlagen, dass er das Bewusstsein verliert. Sein Gesicht ist tagelang mit Blutergüssen übersät. Ein Ermittlungsverfahren gegen »unbekannt« wegen Körperverletzung im Amt verläuft ergebnislos.1

Als am 5. Juni 1999 in Hainburg ein Neonazi-Aufmarsch gegen die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« verboten wurde, gelang es den Freien Kameradschaften trotzdem, in Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern zu marschieren. Zunächst hatten SEK-Einheiten die Busse der aus ganz Deutschland angereisten Neonazis bis zum Ortsrand von Ludwigslust begleitet. Dort blieb es vier Beamten eines Zivilfahrzeuges der PMS überlassen, sich an die Spitze der Neonazidemonstration zu setzen und den Verkehr zu regeln. Die PMS-Beamten hatten an diesem Tag die Berliner Kameradschaften begleitet. Sie sahen zu, wie 500 militante Neonazis trotz Demonstrationsverbots in ganz Norddeutschland in Ludwigslust zwei Stunden lang brüllend durch die Straßen ziehen konnten.2

Diese Beispiele sind keineswegs Ausnahmen, sondern lediglich einige Höhepunkte aus der Bilanz der PMS. Die sogenannte Sonderermittlungsgruppe wurde 1992 eingerichtet und 1994 dem Landeskrimmalamt (LKA) angegliedert. Heute sind dieser Einheit rund 60 Beamte zugeteilt: Sie besteht aus der LKA Einheit 514 mit 35 Sachbearbeitern der Kriminalpolizei in vier Kommissariaten, vier Sachbearbeitern der Kriminalpolizei und einem Sachbearbeiter der Schutzpolizei im Bereich der Info-Aufbereitung und Auswertung. Hinzukommen 25 Mitarbeiter des LKA 6317 PMS im Bereich der sogenannten Operativen Gruppe.3

Die offizielle Zielsetzung lautet u.a: »Erkannte Straftäter aus (...) der Anonymität zu reißen, um diese Personen und ihre Sympathisanten oder Mitläufer von der zukünftigen Begehung von Straftaten abzuhalten.« Dazu werden »ständig und anlassunabhängig offene und verdeckte Aufklärungsmaßnahmen in der rechten Szene betrieben, allgemeine Kontaktgespräche mit Personen, die dem äußeren Erscheinungsbild nach der rechten Szene zuzuordnen sind, geführt und anlassabhängig konkrete Gefährdeansprachen mit potentiellen Störern/Straftätern geführt.«4

Nach außen hin erklärt das LKA, Schwerpunkt von LKA 514 und LKA 6317 PMS sei »die Bekämpfung des Rechtsterrorismus/-extremismus und fremdenfemdlicher Gewaltdelikte«. Neben Strafverfolgungsmaßnahmen gehe es dabei um Informationsgewinnung über »Aufbau und Struktur rechtsextremistischer Organisationen«, über Führungskader und Mitglieder und deren Treffpunkte. Außerdem würden die Beamten Kontakte zu benachbarten Dienststellen, Jugendleitern, Bezirksämtern etc. pflegen.

Tatsächlich wirkt sich das eher schlicht gestrickte Konzept in der Praxis fatal aus: Die PMS hat augenscheinlich die Totalitarismustheorie verinnerlicht und geht immer wieder massiv gegen AntifaschistInnen vor: Zum Beispiel am 17. März diesen Jahres in Berlin-Lichtenberg, als AntifaschistInnen eine SS -Gedenkfeier der Jungen Nationaldemokraten (JN) störten und u.a. Beamte der PMS daraufhin in der Umgebung des Veranstaltungsortes willkürlich 38 Menschen festnahmen, die ihrem Feindbild von »autonomen Gewalttätern« entsprachen und/oder in entsprechenden Lichtbildkarteien gespeichert sind.5 Wie unhaltbar die Festnahmen waren, zeigte sich bei den Vorführungen bei den Haftrichtern, die alle Festgenommenen freiließen.6

Objekte des PMS- Interesses sind insbesondere Frauen und Männer, die von Staats- und Verfassungsschutz willkürlich der »Antifaschistischen Aktion Berlin« (AAB) und ihrem Umfeld zugeordnet werden. Sie werden von PMS-Beamten auf bestimmten Demonstrationen mit dem Ziel der Verunsicherung namentlich angesprochen und mit haarsträubenden Ermittlungsverfahren - oft wegen sogenannter unpolitischer Delikte – überzogen. Im Bereich Rechtsextremismus, um den sich die PMS laut Aufgabenbeschreibung eigentlich kümmern soll, fällt die Bilanz kläglich aus. Das Konzept der »Kontaktaufnahme« mit den zu beobachtenden Neonazis und ihrem jugendlichen Umfeld hat zu einer gefährlichen Nähe zwischen PMS und ihren »Objekten« sowie zu einer männerbündlerischen Kumpanei geführt.

»Man kennt sich« und läßt sich weitestgehend in Ruhe. Unter Neonazis gilt es als Zeichen der eigenen Bedeutung, von der PMS angesprochen und beobachtet zu werden. Dass sich in den Anti-Antifa-Listen der Neonazis auch einzelne PMS-Beamte wiederfinden, beweist keineswegs die immer wieder betonte Gefährdung der PMSler – die u.a. dazu führt, dass PMS- Beamte bei Prozessen gegen linke Jugendliche vor Gericht als Zeugen Sonderkonditionen einfordern. Bislang sind die Opfer von Angriffen durch die Anti-Antifa immer nur linke Jugendliche gewesen. Auch die Erfolgsmeldungen von einigen wenigen aufgelösten Neonazikonzerten und Versammlungen, mit denen die PMS gerne ihre eigene Bedeutung unterstreicht, sind bloße Augenwischerei.

Die polizeilichen Maßnahmen könnten genauso gut oder schlecht von jeder x-beliebigen Polizeieinheit durchgeführt werden - zumal die PMS bei größeren Ereignissen ohnehin nicht alleine agiert. Wie wenig die Vorfeldaufklärung der PMS taugt, zeigen antisemitische Schändungen der letzten Jahre: Als am 3. Oktober 1999 der jüdische Friedhof in Weissensee und das Mahnmal für die deportierten Juden in Berlin-Moabit geschändet wurden, waren zumindest in Moabit Zivilpolizeistreifen unterwegs. Festgenommen wurden jedoch nicht die Neonazis, sondern AntifaschistInnen, die in der Nähe des Mahnmals gegen Republikaner-Wahlkampfplakate vorgegangen sein sollen.7 Festzuhalten bleibt, dass dort, wo die PMS vorzugsweise gegen Rechte auftritt - bei Neonazi-Aufmärschen - die Neonazis zumeist aus politischem Kalkül im legalen Rahmen agieren. Rassistische und rechtsextreme Angriffe findennach Feierabend des PMS- Begleitservices statt.

Dafür sprechen auch die Zahlen der offiziell registrierten rechtsextremen Delikte in Berlin, die im Jahr 2000 um 40 Prozent auf 333 Straftaten - darunter 39 Angriffe auf Personen - stiegen.8 Von Befürwortern der PMS wird gerne ins Feld geführt, dass diese Zahlen ohne die PMS noch wesentlich höher wären. Dazu lässt sich nur feststellen, dass sich unter den Augen der PMS und aufgrund ihres zweifelhaften Konzepts in Berlin eine der größten neonazistischen Szenen Deutschlands entwickeln konnte. Es gibt also keinen Grund, an der PMS festzuhalten. Aber viele Gründe, diese außerhalb der öffentlichen Kontrolle und mit einem verfestigten Korps- und Elitegeist agierende Einheit aufzulösen.

MEGA-mäßig erfolglos

Auch in Brandenburg ist das Konzept einer polizeilichen Sondereinheit gegen Rechts erfolglos: Hier wurden 1998 vom damaligen SPD-Innenminister Alwin Ziel die so genannten »Mobilen Einsatztrupps gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit«, (MEGA) installiert, nachdem Brandenburg 1997 im bundesweiten Vergleich einen Spitzenplatz bei rechtsextremistischen Straftaten belegt hatte. Die MEGA wurde zu einer Säule des »Handlungskonzeptes Tolerantes Brandenburg« ernannt; ihr Konzept der »Überwachung, Kontrolle, Verunsicherung und direkter Ansprache« rechter Straftäter und ihres Umfelds orientiert sich an dem der Berliner PMS.

Anfangs umfaßte die MEGA ca. 45 Beamte, die vom LKA den fünf Polizeipräsidien des Landes zugeordnet und durch Beamte der Staatsschutzes verstärkt wurden. Nach internen Querelen – MEGA-Beamte hatten sich über geringe Beförderungschancen, schlechte Technik und Sachausstattung sowie wenig konkrete Informationen vom Verfassungsschutz und zum Teil zwangsweise Versetzung zur MEGA beklagt - wurde die MEGA im Juni 2000 unter Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) noch einmal umstrukturiert. Heute sind den Polizeipräsidien unter der Woche acht und am Wochenende 17 MEGA-Beamte zugeteilt, die den örtlichen Staatsschutzkornmissariaten und nicht mehr dem LKA unterstehen. Im September 2000 kündigte Schönbohm an, die MEGA auf insgesamt 200 Beamte aufzustocken.

Auch die MEGA begleitet »ihre Schützlinge« bei besonderen Anlässen quer durch die Republik. Wie derartige Einsätze aussehen können, macht ein Vorfall vom 10. Juli 1999 deutlich. Nach einem Neonazi-Aufmarsch in Hamburg begleiteten u.a. MEGA-Beamte in Zivil zwei Kleinbusse mit Berliner und Brandenburger Neonazis der Kameradschafts Szene auf der Autobahn von Hamburg nach Berlin. Auf der Raststätte Stolpe griffen die 16 Neonazis dann einen Kleinbus polnischer und deutscher Punks unter den Augen von zwei MEGA-Beamten an, die sich versteckten. Der Angriff sei »so schnell und so brutal« gewesen, dass sie nicht eingreifen konnten, lautete die Rechtfertigung der im Einsatz immer bewaffneten Polizisten.9

In der Öffentlichkeit wird das Vorgehen der MEGA gegen Rechts gerne als Mischung aus fürsorglicher Sozialarbeit und hartem Durchgreifen dargestellt. Dabei werden vor allem präventiv rechte Treffpunkte kontrolliert und Ansammlungen von Rechten aufgelöst - nicht immer mit präventivem Erfolg, wie ein Vorfall aus Frankfurt/Oder vom 16. Januar 1999 zeigt. Nachdem dort eine Ansammlung von 80 Rechtsextremen von der MEGA einen Platzverweis erhalten hatte, verletzten einige aus der Gruppe wenig später am Bahnhof einen Flüchtling aus Marokko schwer.10 Zur Bilanz der MEGA schreibt die Prozessbeobachtungsgruppe Guben daher folgerichtig; »Festzuhalten ist, dass die intensiven Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erschweren.

Rassistisch und faschistisch motivierte Gewalttaten werden dadurch aber kaum verhindert, eine nachhaltige Verunsicherung der rechtsextremen Bewegung ist ebensowenig zu erkennen.«11 Polizeiliche Sondereinheiten wie die PMS und die MEGA dienen vor allem als staatliche Alibi-Objekte. Im besten Fall können sie vielleicht die Zahl rechter Propagandadelikte senken; im schlimmsten Fall tragen sie durch Kumpanei und mangelnde öffentliche Kontrolle zur Verfestigung rechter Strukturen bei. Zur Bekämpfung der Ursachen und Auswirkungen von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind sie ungeeignet.

Grußwort des »Republikanische Anwältinnen und Anwälteverein (RAV)«:

Der Republikanische Anwältinnen und Anwälteverein (RAV) begrüßt die Initiative des AIB, die Sonderpolizeieinheiten gegen Rechts, die Berliner Einheit »Politisch Motivierte Straßengewalt« (PMS) sowie die Brandenburgischen »Mobilen Einsatztrupps gegen Ausländerfeindlichkeit und Gewalt« (MEGA) zu beobachten. Deutlich wird, dass das Erfordernis, der Polizei auf die Finger zu schauen, eine europaweite Notwendigkeit hat. Genua und Göteborg sind zum Inbegriff unkontrollierter Polizeigewalt geworden und machen diese Form der Beobachtung zu einer dringenden Bürgerpflicht. Der Bericht des AIB macht deutlich, dass polizeiliche Aufgabenbereiche auch unter neuem Denkmantel des »Kampfes gegen Rechts« die Alten geblieben sind. Dies sollte insbesondere den DemokratInnen zu denken geben, die den Einsatz der staatlichen Gewalt gegen Rechts in der Vergangenheit viel zu unkritisch begrüßt haben.

  • 1Vgl. junge Welt 6.5.1999, Neues Deutschland 6.5.1999, Süddeutsche Zeitung 6.5.1999, Stellungnahme vom Rechtsanwalt des Betroffenen gegenüber dem AIB.
  • 2Vgl. AIB Nr. 48, S. 31 f.
  • 3s. Landespolizeischule Mediendienst »Schriften zur Fortbildung" - SzF 35 Rechtsextremismus, Berlin, Oktober 2000.
  • 4Ebenda
  • 5Bericht des LKA Berlin vom 17.3.2001.
  • 6Tagesspiegel vom 21./22.März 2001, Berichte von Betroffenen
  • 7vgl. AIB Nr. 50/2000, S. 1
  • 8Tagesspiegel 29.5.2001
  • 9vgl. AIB Nr. 52/2001 S. 13f., Frankfurter Rundschau vom 18.10.2000, taz 25. 5.2001
  • 10Chronik 1999, Opferperspektive Brandenburg
  • 11»Nur ein Toter mehr«, Hamburg/Münster, März 2001, rat/UNRAST-VerIag, »Das Weiße – Polizei, Rassismus und Rechtsextremismus«, S.35ff.