Skip to main content

Normalitäten durchbrechen! Die Arbeit der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP)

autor_innenkollektiv de[X]oppression (Die Autor_innen sind bei KOP aktiv)
Einleitung

Seit 2002 befasst sich KOP berlinweit mit dem Thema rassistisch motivierter Polizeigewalt. Die Arbeit der Kampagne wird hier vorgestellt.

Bahnhof Berlin Alexanderplatz im Februar 2006: zwei Polizeibeamt_innen kommen auf einen jungen Mann zu, um eine Personenkontrolle durchzuführen. Der Umstand, dass er seine Papiere nicht bei sich hat, veranlasst die Beamt_innen ihm Hand- und Fußfesseln anzulegen. Derart gefesselt beleidigen die Polizist_innen ihn rassistisch und schlagen so massiv auf ihn ein, dass er ohnmächtig wird und ein Krankenwagen gerufen werden muss. Der junge Mann hat einen Laptop bei sich, den die Polizist_innen ohne Rechtfertigung durchsuchen. Zu privaten Fotos machen sie anzügliche Kommentare. Der Betroffene stellt gegen die beteiligten Beamt_innen Strafanzeige. Die Ermittlungen werden wegen fehlender Beweise eingestellt. Nicht eingestellt wird die Gegenanzeige der Polizeibeamt_innen gegen den jungen Mann wegen Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Er wird zu einer Geldstrafe verurteilt.

Dieser rassistische Polizeiübergriff wurde von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) in ihrer Chronik dokumentiert. Als rassistische Motivation wird hier die Hautfarbe und unterstellte Herkunft benannt. KOP wurde 2002 durch die Beratungsstelle für Opfer rassistischer, rechter und antisemitischer Gewalt ReachOut, das Antidiskriminierungsbüro (ADB e.V.), den Ermittlungsausschuss (EA) und das Netzwerk Selbsthilfe e.V. gegründet. Durch die Arbeit der Kampagne soll der Ohnmachtssituation eines Angriffs praktische Solidarität mit den Betroffenen entgegen gesetzt werden. Um diese zu erreichen, stellen sich die Aktivist_innen parteiisch an die Seite der Angegriffenen und unterstützen sie bei den möglichen weiteren Schritten, die die jeweiligen Betroffenen gehen wollen. Darüber hinaus will KOP Öffentlichkeit und Bewusstsein schaffen für ein Problem, das kaum in Politik, Medien und Alltag der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen wird. Um Mechanismen nach dem Motto »Kann ich’s nicht sehen, ist’s auch nicht passiert!« anzugreifen, dokumentiert KOP alle ihnen in Berlin bekannt gewordenen Fälle von rassistischer Polizeigewalt. Diese Chronik umfasst mittlerweile 70 Berichte. Nach Angaben von KOP kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sie nur von einem kleinen Teil der Betroffenen erfahren, weil viele der Angegriffenen mit nur wenig Beschwerdemacht ausgestattet sind.1

Aus den dokumentierten Berichten lassen sich bei genauerer Untersuchung einige Muster ableiten. Es zeigt sich, dass Angriffe schwerpunktmäßig an Bahnhöfen und in den Bezirken Neukölln und Kreuzberg erfolgen. Außerdem sind die Betroffen zu einem Großteil (80%) Männer2 , während die Altersspanne mit 14 bis 70 Jahren sehr weit auseinandergeht. Zwar fragt KOP die Betroffenen nicht nach dem Aufenthaltsstatus, jedoch ergibt sich nach Datenlage der Betroffenen, die diese angeben, dass alle Aufenthaltsstatus vertreten sind. Unabhängig von dem Status einer Duldung, eines laufenden Asylverfahrens, vorübergehender bis dauerhafter Aufenthaltserlaubnis oder der deutschen Staatsangehörigkeit, werden Menschen Opfer rassistischer Polizeigewalt.

Hilfe und Unterstützung

Den Betroffenen, Angehörigen, Freund_innen und/oder Zeug_innen rassistischer Polizeigewalt kann durch ein breites Netzwerk der Kampagne kostenlose Beratung und psychologische Unterstützung angeboten werden. Wie in oben beschriebenem Fall sehen sich auch andere Betroffene rassistischer Polizeigewalt mit Anzeigen wegen Beleidigung und/oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte konfrontiert. Auf diesem Weg versuchen die Beamt_innen ihre gewalttätigen Einsätze zu rechtfertigen und somit nachträglich zu legitimieren. Motiviert durch die oftmals fehlende Unterstützung der Angegriffenen hat KOP einen Rechtshilfefond gegründet, der es den Betroffenen ermöglicht, sich auf juristischem Weg zu wehren, auch und vor allem dann, wenn gegen sie Verfahren geführt werden. Dem geht die Überlegung voraus, dass eine fehlende juristische Auseinandersetzung nicht nur den Rechtsbruch zementiert, sondern auch der Bildung einer starken Lobby für die Betroffenen rassistischer Polizeigewalt entgegen steht. Schließlich führt der (Irr-)glaube an die Systematik der Nicht-Verurteilung zu der allgemein weit verbreiteten These der Mitschuld oder gar der Alleinschuld der Betroffenen an dem ihnen entstandenen Unrecht. Durch die Unterstützungsarbeit sollen die Formen der systematischen Verschleierung der rassistisch-motivierten Gewalt seitens des Polizei- und Justizapparats durch Anzeigen gegen die Betroffenen, Einstellungen von Ermittlungsverfahren gegen Polizist_innen und Nicht-Verurteilung der Täter_innen aufgedeckt werden.  Damit die Betroffenen vor Gericht nicht alleine denen gegenüber stehen müssen, die sie angegriffen haben, organisiert KOP die Begleitung und Beobachtung von Prozessen.

KOP möchte das Thema rassistische Polizeigewalt auf die Agenda setzten. Um das zu erreichen, organisiert die Kampagne öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen und beteiligt sich an Bündnisarbeit.

KOP kämpft somit an der Seite der Betroffenen auf der juristischen, politischen und medialen Ebene für das Sichtbarmachen des scheinbar Unsichtbaren: dem strukturellen Rassismus innerhalb der Polizei. Verfügt der Apparat doch aufgrund seiner Rolle als Exekutive über einen beinahe unbegrenzten Zugriff zur Macht, was massive Folgen für Betroffene hat. Menschen, die durch rassistische Stereotype im polizeilichen Interesse stehen, erleben die immer gleichen Szenarien: unbegründete Passkontrollen, Aggressionen der Beamt_innen, rassistische Beschimpfungen und Beleidigungen, gewaltsame Festnahmen und Misshandlungen sowie anschließende Anzeigen wegen Beleidigung und/ oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Für die Betroffenen ist die rassistische Behandlung oft schon zu trauriger Gewohnheit geworden, denn rassistische Polizeigewalt ist kein bedauerlicher Einzelfall.

Diese Legende der bedauerlichen Einzelfälle wird insbesondere von politisch Verantwortlichen ständig reproduziert, indem einzelne Ausnahmepolizist_innen für einen Fehltritt verantwortlich gemacht werden. Der strukturell rassistische Aspekt polizeilichen Handelns wird vehement abgestritten. Dabei ist das Auftreten der Täter_innen in Uniform nicht (allein) die Folge von individuellem Rassismus, sondern es erfolgt (auch) auf der Grundlage von Gesetzen und Verordnungen, die aus rassistischem Wissen und Handeln resultieren und dieses macht- und wirkungsvoll verfestigen. Verdachtsunabhängige Kontrollen, Schleierfahndung, Anti-Terrorgesetzgebung und Residenzpflicht sind nur einige Beispiele, die die strukturellen Voraussetzungen für rassistische Polizeigewalt zeigen. Den zur Normalität gewordenen und auch in politisch-linken Kreisen häufig vernachlässigten Zustand des Rassismus in der Polizei will KOP durchbrechen.

www.kop-berlin.de
info [at] kop-berlin.de (info[at]kop-berlin[dot]de)

Spenden:
Netzwerk Selbsthilfe e.V.
Stichwort ‘Rechtshilfefonds’
Bank für Sozialwirtschaft
BLZ 100 205 00
Konto 302 9

 

  • 1Zu Beschwerdemacht vgl. Herrnkind, Martin (2003): Möglichkeiten und Grenzen polizeilicher Binnenkontrolle. Eine Perspektive der Bürgerrechtsbewegung. In: Herrnkind, Martin / Scheerer, Sebastian (Hrsg.): Die Polizei als Organisation mit Gewaltlizenz: Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle. Hamburger Studien zur Kriminologie und Kriminalpolitik, Band 31; S. 149f.
  • 2Hierbei handelt es sich um biologisch definierte Männer.