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Über Fans, Hooligans und Neonazis

Einleitung

Fans, Hooligans und Neonazis - Das sind durchaus verschiedene Gruppen, sie alle über einen Kamm zu scheren und als Neonazis abzustempeln wäre grundfalsch. Im folgenden Artikel wollen wir ein paar Hintergrundinformationen liefern, um eine sachliche Auseinandersetzung zu beginnen. Wir haben dabei kein Interesse an der Haltung "linker Spießer", die Gewalt perse als das Böse verdammen oder die das Übel im Wesen des Fußballs entdeckt haben und sich moralisch abgrenzen. Diese unpolitische Haltung überläßt den Neonazis das Feld in den Stadien. Dazu als erstes eine Begriffsklärung, was mit Fans und Hooligans gemeint ist, danach ein geschichtlicher Abriß über den Einfluß der Neonazis in den Stadien, welcher im „Fanbuch“ des Strohhalm- Verlag (Selbstverlag der Fußball- und Eishockeyfans) aus Frankfurt beschrieben wird. In über 300 Beiträgen wird dort das Leben in der Fanszene geschildert.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0414-009 / Wolfried Pätzold / CC-BY-SA 3.0

Fans

Seit über 20 Jahren verstehen sich die meist jugendlichen Zuschauer auf den billigen Plätzen in den Stehkurven als die „echten“ Fans der Vereine. Sie kom men zu jedem Heimspiel und fahren so oft wie möglich zu den Auswärtsspielen ihrer Mannschaft. Die Unterstüt zung des Vereins ist oberstes Gebot. Das beginnt mit der gemeinschaftlichen lautstarken Anfeuerung der Spieler und kann bei Schlägereien mit Fans der gegnerischen Mann schaften enden. Hier gilt der Satz „Fußball ist unser Leben“. Fans zeigen sich nach außen hin durch Tragen von Schals, Trikots oder Kutten. Die Fankurve umfaßt zwischen 300 Leuten, bei kleineren Vereinen in der Provinz, bis zu 5.000 Fans, bei den erfolgreichen oder traditionsbewußten Vereinen in den Großstädten. Etwa die Hälfte der Fans ist in Fanclubs organisiert, die in der Kurve die Hierarchie unter sich ausmachen.

Hooligans

Der Begriff Hooligan geht seit etwa drei Jahren (Brüssel Heysel-Stadion)1 durch die Szene und die Medien. Er wurde aus England, dem Mutterland von Fußball und Randale, übernommen. Die Hooligans verstehen sich als die Elite in der Schlägerszene, für sie ist das Fußballspiel nur Mittel zum Zweck, die Verbundenheit mit dem Verein ist weitgehend aufgehoben. Als Reaktion auf die Polizeiüberwachung in den Stadien, aber auch als Abgrenzung gegen die „Assis“ in der Kurve, treten sie zivil in nobler Freizeitkleidung (Boss, Lacoste, usw.) auf und sind aus der Kurve in andere Stadionbereiche umgezogen. In den einzelnen Städten gehören 20 bis 50 Leute zum festen Kern der Hooligan-Szene. Die Gruppen sind nach Streetgang-Muster aufgebaut und treffen sich nahezu täglich in ihren Kneipen, Discos, Fußgängerzonen, etc., wobei sie ständig ihr Revier gegen andere Gruppen verteidigen. Bei Spielen, wo es sehr wahrscheinlich ist, das es Randale gibt, kann der Hooligan-Mob auf 200-300 Leute wachsen. Viele Hooligans besuchen an einem Wochenende mehrere Spiele, wozu es lockere Zusammenhänge unter den Hools verschiedener Lager gibt - Zweckbündnisse zum gemeinsamen Rumprügeln. Oft verabreden sich auch rivalisierende Hooligan-Gruppen zu Schlägereien.

Neonazis

Jude! Jude!“, „Allofs nach Ausschwitz!2 , „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“, „SS, SA, Borussia“: Beispiele finden sich genug. Beispiele für ausländerfeindliches, deutschnationales und neonazistisches Auftreten der bundesrepublikanischen Fanszene. Und die Provokation klappt: Die Öffentlichkeit reagiert gereizt, die Fans tauchen vermehrt als Buhmänner der Nation in den Medien auf. Erst Ende der 1970er Jahre ging es dann in der heute bekannten Form los mit „Fascho-Provo“ in den deutschen Stadien. Berlin, München, Hamburg, Dortmund, Frankfurt, die neue Welle griff rasch über, erfaßte zuerst die Großstädte. Dort war einerseits die Szene groß und unüberschaubar, dort lagen an dererseits für die Jugendlichen die sozialen Probleme und Problemchen dichter.

Etwa seit 1982 kann man von einem regelmäßigen neonazistischem Auftreten deutscher Fans reden, begleitet von einer ebenso regelmäßigen Berichterstattung, oft sehr empört, pauschal , an der Oberfläche kratzend. Die ersten Reporter besorgen sich ihre Sensationsberichte (dort genannt „Kromschröder Journalismus“3 ), die Fans fühlen sich „abgestempelt“. “Aber damit ließ und läßt sich leben?! Wenn wir uns Montags in der Zeitung wiederfinden, können wir uns auf jeden Fall stolz auf die Schulter klopfen. Egal was da nun steht...

Bundesweiter Trend

Die Übergriffe auf AusländerInnen werden massiver, die Provokation mit Nazi-Symbolik wächst sprunghaft. So gar in Homburg, Wattenscheid oder Paderborn spricht sich unter den Fans die neue Mode rum. Spätestens seit dem Überfall von etwa 250 Fans am 1. Mai 1982 vor dem DFB-Pokalendspiel in Frankfurt (FC Nürnberg - FC Bayern) auf die dortige DGB Kundgebung, ist die Öffentlichkeit gefordert, steht unter Druck, aber kann nur hilflos reagieren und halbherzig. Weiterhin können Bayern Fans TürkInnen verprügeln, HSV Fans schlägern sich mit der Hafenstraßen-Szene - „Löwen“ und „Savage Army“ sind in Hamburg besonders auffällig - , die „Roten Wölfe“ machen ihrem Namen auch keine Ehre; sie ziehen allenfalls gegen AusländerInnen und Linke zu Felde, taufen sich in „Freundeskreis" Hannover“ um4 . Die Dortmunder „Borussenfront“ formiert sich in ihrem Kampf, das Viertel rund um den Borsigplatz ausländerfrei zu prügeln. Die Frankfurter „Adlerfront“ wird als Anführer der Mai-Krawalle ermittelt. „Phönix“ in Karlsruhe, die Schalker „Gelsenszene“, Randaleszenen in Bremen, Köln, Nürnberg, Stuttgart, Essen usw. beugen sich alle dem Zwang, den neuen Kurs mitzusteuern.5 . Es ist heute recht schwierig, genau darüber zu befinden, wann und wo erstmals Mitglieder neonazistischer Vereinigungen versucht haben, konkreten Einfluß und Anführerschaft zu erlangen.

Den ersten klaren Nachweis liefert 1983 die ANS (Aktionsfront Nationaler Sozialisten) in ihrem Rundbrief  „Die Innere Front“ (Nummer 5). Neonazi Führer Michael Kühnen formuliert darin das ganz klar abgesteckte Ziel, unter Fans und den Skinheads neue „Mitkämpfer" zu gewinnen. Zum Teil waren schon längere Zeit Neonazis in den Kurven dabei, neue wurden nun eingeschleust. Wer sich prügeln kann und konnte, steht in der Fan-Hierachie schnell oben auf, gibt den Ton an, reißt andere mit sich. 

Besonders für den 26. Oktober 1983 wurde im rechten Lager mobilisiert: Länderspiel gegen die Türkei in Berlin. Nur ein überdimensionales Sicherheitssystem verhinderte die geplanten Übergriffe. Berlin-Kreuzberg brannte nicht.6 Die Neonazis schafften es sogar teilweise, deutsche Fans unter einen Hut zu kriegen, die sich eigentlich traditionell bekämpften. So auch für die EM - Endrunde in Frankreich. Ein beängstigend großer rechter Mob prügelte sich durch das Nachbarland. Erst das Ausscheiden der deutschen Mannschaft sorgte wieder für Ruhe.

Nach der EM wurde es etwas ruhiger. Viele Skinheads zogen sich nach und nach aus den Stadien zurück, oder sie verließen die ihnen zu lauen und überwachten Fanblöcke. Die stärker werdende Trennung zwischen Fans und Skinheads zog den Neonazis ein wenig den Boden unter den Füßen weg, denn sie waren personell nicht stark genug. Nach und nach griff auch die staatliche Verfolgung etwas beherzter ein. Die ersten Fans wurden wegen neonazistischem Auftreten verurteilt. Das brachte wohl einige zum Nachdenken. Auch da, wo die Neonazis auf den ersten Blick Erfolge verbuchen konnten, machte man sich ein paar Gedanken. Vermehrt bekamen die Aktivisten der FAP auch mal was von Fans oder Skinheads Ärger, die keine Lust mehr hatten, für ein paar Kisten Bier den "Saalschutz" zu spielen. Im Stadion ließ man sich ja mal zu der einen oder anderen Gewaltat mitreißen, aber Flugblätter verteilen, regelmäßig Parteitreffen besuchen, das war nicht die Welt der Fußballfans, die sich austoben wollten. Nur ganz wenige, darunter als Paradebeispiel die „Borussenfront“, ließen sich willenlos in die Reihen der Neonazis aufnehmen.

Hartmut Sympathisant der „Adlerfront“ schilderte 1985 den Autoren von „Die Fans aus der Kurve“7 : "Ich meine, solange war ich ja auch nicht dabei8 , das waren zwei Monate. Die ersten zwei Mal hat es mir noch Spaß gemacht, weil ich was Neues entdeckt hatte, und das fand ich ganz gut. Das Wessel-Lied z.B.: „Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen“, da hab ich beim ersten oder beim zweiten Mal noch mitgesungen, aber nach einer gewissen Zeit hab ich mir selber Gedanken darüber gemacht. Da kam dann sowas wie Uniform und niedere Menschen und andere Rassen sind Bastarde und die ganzen harten Sprüche. Das ist in meinen Augen heute Scheiße, so was, daß die Deutschen das absolute wären. Vor allen Dingen war ich total irritiert, als ich erkannt habe, daß die alle irgendwie gestört waren. Die hatten total die Komplexe oder waren matt im Hirn. Ich habe mich ja auch mit den einzelnen unterhalten, und da gab es mal gerade einen oder zwei, von denen ich sagen würde, die gehen durch, mit denen möchte ich auch meine Freizeit verbringen. Die waren so versteift, so haßerfüllt und voller Komplexe, total unzufrieden. Ich glaube schon: Versager, Typen, die so nicht ankommen."

Rote Karte dem braunen Mob

Es ist noch schwer einzuschätzen wie weit der Einfluß der Neonazis in den Stadien wirklich reicht. Auch wenn die organisatorische Einbindung der Fans in die Parteien nur selten über längeren Zeitraum funktioniert hat, ist der Einfluß der Neonazis in den Stadien keineswegs verschwunden. Das was so als Publikum in die Stadien geht ist ungefähr so wie der Bevölkerungsdurchschnitt zusammengesetzt, mit einer weitverbreiteten ausländerfeindlichen / rassistischen und nationalistischen Einstellung.

Die Fans sind dabei auffälliger und lauter als der Bevölkerungsdurchschnitt. Darüber wo die ganze Wut und Gewaltbereitschaft vieler herkommt, braucht man sich nicht wundern: Arbeitslosigkeit, entfremdete, sinnentleerte Arbeitsverhältnisse, Konkurrenz erlernt als oberstes Prinzip von der Grundschule bis zum Beruf, elende Wohnbedingungen - dann ist es besser wenigstens am Wochenende „die Sau rauszulassen“, als alles still und ruhig zu ertragen. An diese allgemeine Unzufriedenheit versuchen Neonazis anzuknüpfen und den oft jugendlichen Fans eine “Lösung“  ihrer Probleme anzubieten. Da fallen dann Parolen wie „Ausländer raus“ und „Arbeitsplätze nur für Deutsche“ auf fruchtbaren Boden.

Die wenigsten erkennen, daß die von den Neonazis angebotenen Lösungen für sie keine sind: Auch ohne ausländische ArbeiterInnen wird es Arbeitslosigkeit und Spekulation mit Wohnraum geben. Die  Fans und die Skinheads würden von den Neonazis schnell diszipliniert oder beseitigt werden, denn der Nationalsozialismus verlangt "Kadavergehorsam".

Die antifaschistische Bewegung macht es den Neonazis bis jetzt sehr einfach, weil sie mit den Fans in den Stadien wenig zu tun hat. So können die Neonazis ungestört Rekrutierungsversuche unternehmen. Wir wollen hier im Antifaschistischen Infoblatt Informationen sammeln und weitergeben: Um einen Überblick zu bekommen, wo welche Neonazis rekrutieren, damit Gegenöffentlichkeit hergestellt werden kann. Und um praktische Erfahrungen auszutauschen, wie der Einfluß der Neonazis zurückgedrängt werden kann. Schickt uns Artikel oder Informationen an unsere Adresse Stichwort: Fußball

  • 1Die Katastrophe von Heysel war eine Massenpanik im Rahmen des Endspiels des Fußball-Europapokals der Landesmeister 1984/85.
  • 2Klaus Allofs und sein Bruder Thomas Allofs spielten für Fortuna Düsseldorf.
  • 3In der Zeitschrift "Stern" erschienen die Gerhard Kromschröder Reportagen als „Undercover-Recherchen“
  • 4In Hannover trugen die "Roten Wölfe" die Nazisymbolik ins Stadion, beim Hamburger SV waren dafür die Fanclubs "Löwen" und "Savage Army" im Verbund mit Kühnens ANS zuständig.
  • 5In Westberlin war es zu der beschriebenen Zeit 1982-1985 „Zyklon B“ bei Hertha BSC. Anmerkung  Antifaschistisches Infoblatt
  • 6Im Kreuzberger Kiez hatten sich circa 1000 AntifaschistInnen zur Abwehr organisiert. Anmerkung Antifaschistisches Infoblatt
  • 7Vgl. Dieter Bott/Gerold Hartmann: "Die Fans aus der Kurve." Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt, 1986
  • 8Bei der ANS, Anmerkung Antifaschistisches Infoblatt