»Antifaschismus läßt sich nicht verbieten!« - Interview mit der Antifa Saalfeld/Rudolstadt
AIB: Beschreibt doch mal, wann und wie sich bei Euch in Saalfeld antifaschistischer Widerstand entwickelt hat?
Ulli: Es gab in Saalfeld bereits vor 1989 eine lose Punkszene. Mit dem vermehrten öffentlichen Auftreten der Nazis nach 1989, wurde diese zum Angriffsziel. Aus dieser Szene entwickelte sich deshalb auch der erste Widerstand.
Donald: Die Nazis hatten gute Kontakte nach Westdeutschland, vor allem nach Kronach und Hof. Die Nazis waren dort in der "Deutsche Alternative" (DA) organisiert und sorgten in unserer Region für eine gute Vernetzung. Am 21. April 1990 nahmen einige Nazis aus Saalfeld an der Veranstaltung »Wahrheit macht frei« im Münchener Löwenbräukeller teil. Sie haben sich nicht nur überregional betätigt, sondern auch ihre Übergriffe gegen uns vehement weitergeführt.
Hans: Natürlich haben wir uns auch gewehrt und daraufhin gab es von Sozialarbeitern initiierte Gespräche mit den Nazis. Dabei wurde eine Art "Nichtangriffspakt" geschlossen, nach dem Motto »Wir tun Euch nichts, wenn Ihr uns auch nichts tut.« Wir waren damals ziemlich naiv und haben uns darauf eingelassen. Nachdem die Angriffe gegen uns weitergingen, der "Nichtangriffspakt" quasi aufgekündigt wurde, hat sich ein regelrechter Kleinkrieg entwickelt. Folge daraus war, daß wir uns überlegt haben, wie wir uns systematisch wehren können, also eine Art Gruppenbildung. Es gab zwar keine fest organisierte Gruppe, die politische Arbeit geleistet hätte, aber immerhin einen losen Zusammenschluß, der versucht hat, eine effektive Gegenwehr zu entwickeln.
AIB: Und was hat sich daraus entwickelt?
Ulli: Naja, erstmal nichts weiter. Die Situation veränderte sich bei uns in den folgenden Jahren nicht groß. Die Aktionen der Nazis waren da oftmals schon spektakulärer.
AIB: Wie meinst Du das?
Ulli: Na z.B. der Rudolf-Heß-Gedenkmarsch 1992 in Rudolstadt. Wir haben erst in letzter Minute erfahren, daß 2.000 Nazis in unmittelbarer Nachbarschaft von Saalfeld aufmarschieren. Die meisten von uns waren zu diesem Zeitpunkt nicht zu erreichen, und so konnten wir nur mit einigen wenigen Antifas nach Rudolstadt fahren. Wir haben versucht, wenigstens einige Fotos zu machen, doch das stellte sich als total gefährlich heraus. Immer wieder wurden wir angegriffen und deshalb sind wir wieder zurückgefahren, um unseren Treffpunkt gegen mögliche Angriffe zu verteidigen. Wir konnten ja nicht ausschließen, daß einige Nazis vielleicht noch einen kleinen Abstecher nach Saalfeld machen.
AIB: Wie waren denn die Reaktionen der regionalen Presse und der Stadtverwaltung auf den Aufmarsch?
Hans: Die Reaktionen waren ziemlich gering. Die Presse hat natürlich berichtet, aber eine öffentliche Erklärung der Stadt oder gar einen Skandal gab es nicht. Nach dem Aufmarsch wurde gleich wieder zum Alltag übergegangen. Bei einer Tagung der Nazi-Vereine "Deutsche Kulturgemeinschaft" (DKG) und "Freundeskreis Ulrich von Hutten" war das schon anders. Als die nach ihrem Treffen einen Stadtrundgang machen wollten, waren wir zur Stelle um sie zu stören. Es entwickelte sich nach einiger Zeit eine Auseinandersetzung, da sie uns mit Steinen angriffen. Als die Bullen auftauchten, wurden wir alle verhaftet. Später kam es dann zu einem Prozeß gegen drei Antifas, der mit einem Freispruch endete.
Donald: Unsere erste organisierte Aktion war dann im Sommer 1993. Die Stadt wollte den Platz der "Opfer des Faschismus" umbenennen. Wir protestierten zusammen mit den Grünen und der PDS dagegen, letztendlich wurde der Platz wieder zurückbenannt. Das war ein ziemlicher Erfolg für uns. Deshalb wurde staatlicherseits in diesem Zusammenhang noch mal Stärke gezeigt. Bei einer Kranzniederlegung für die Opfer des Faschismus, gegen die die Nazis Aktionen angedroht hatten, wurden 50 Leute vom bayrischen USK abgegriffen.
AIB: Wie sieht denn das Kräfteverhältnis zwischen Euch und den Neonazis aus?
Ulli: Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Der Verfassungsschutz spricht von 60 Autonomen und 120 Nazis in Saalfeld und Rudolstadt. Diese Zahlen sind natürlich mit größter Vorsicht zu genießen, sie zeigen aber die Relation. Es ist für die Faschos natürlich leichter, politisch zu arbeiten, wenn sie in der Region eine so gute Basis haben. Was ihnen im Gegensatz zu uns fehlt, ist ein unabhängiger Treffpunkt. Sie treffen sich zwar in etlichen öffentlichen Jugendclubs, in die sich andere Jugendliche mittlerweile kaum noch reintrauen können, aber sie unterliegen dort immer der »Kontrolle« durch irgendwelche SozialarbeiterInnen. Sie können sich dort sicher nicht ganz so entfalten, wie sie gern wollten. Aus diesem Grund haben sie sich auch immer darum bemüht, eigene Räumlichkeiten zu bekommen. Bei den Verhandlungen war die Stadt ihnen gegenüber nicht negativ eingestellt. Im September 1996 haben 50 bis 60 Faschos dann ein altes Fabrikgebäude in Saalfeld besetzt und wollten das in Eigenregie zum "nationalen Jugendzentrum" ausbauen. Wir haben dann eine größere Flugblattaktion gemacht, um der Bevölkerung zu zeigen, daß es eben keine armen Jugendlichen sind, die nur einen Treffpunkt suchen, sondern organisierte Neonazis, die ein politisches Interesse verfolgen. Die Flugblätter sind auch ganz gut angekommen und haben sicherlich auch ihren Teil dazu beigetragen, daß das Gebäude geräumt wurde. Den Nazis wurde trotzdem als Ersatz ein alter Bus überlassen, den sie selbst ausbauen und renovieren konnten. Kaum waren sie damit fertig, haben sie selbst darin randaliert und alles zerstört.
AIB: Ihr habt ja jetzt von einigen Aktionen von Euch berichtet. Habt Ihr die immer noch als loser Zusammenhang organisiert, oder hat sich da eine Struktur herausgebildet?
Hans: Natürlich hatte sich da schon mehr entwickelt. Ausgangspunkt war ein Diskussionspapier, das einige Leute verfaßt haben, um wieder mehr Leute zu aktivieren. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich unsere Aktivitäten immer mehr allein auf Saalfeld fixiert, da in Rudolstadt kaum noch jemand von uns wohnte. Um dieses Papier gab es hitzige Diskussionen und viele vor allem ältere Leute von uns fühlten sich angegriffen.
Donald: Das Papier war ja auch sehr provozierend geschrieben. Es ging darum, daß viele Leute sich immer mehr ins Privatleben zurückzogen und sich gar nicht mehr um Politik kümmern wollten. Sie waren zwar noch für bestimmte Sachen mobilisierbar, das beschränkte sich aber allein auf militante Aktionen gegen Nazis. An diesem Papier spaltete sich eigentlich der bisherige Zusammenhang, aber die die übrigblieben, arbeiteten nun kontinuierlich und nicht mehr sporadisch.
AIB: Ihr habt im letzten Jahr zu einer bundesweiten Demo nach Saalfeld mobilisiert. Hättet Ihr damit gerechnet, daß diese Sache solche Wellen schlagen könnte?
Ulli: Auf keinen Fall. Nach der erfolgreichen Demonstration in Wurzen dachten wir uns, daß es ja eigentlich auch gut wäre, eine große Demonstration in Saalfeld zu machen. Die Situation hier ist zwar nicht die gleiche wie in Wurzen und dem Muldetalkreis, aber sie ist auch nicht gerade besser, und eine große kraftvolle Demonstration kann in einer relativ kleinen Stadt eine ganze Menge bewegen. Trotzdem wollten wir eigentlich erstmal regional mobilisieren und hatten dementsprechend erwartet, daß sich vielleicht 500 Menschen an der Demo beteiligen würden. Die ganze Sache hat sich aber wie in Wurzen zu einem totalen Selbstläufer entwickelt. Daß die Nazis eine Gegendemo anmeldeten und ihrerseits nach Saalfeld mobilisierten, hat unsere Mobilisierung natürlich unterstützt und die Situation in Saalfeld verdeutlicht.
Hans: Mittlerweile ist es ja so, daß fast jede Demo zur bundesweiten Demo erhoben wird, und viel darauf ankommt, wie dafür geworben wird. Der Inhalt der Demo droht dann oftmals zweitrangig zu werden. Bei uns lief die Mobilisierung aber fast wie von selbst. Wir hatten auch nicht viel Erfahrung, schließlich war das die erste richtige Demo, die wir organisiert haben.
AIB: Wie seid Ihr denn dann mit der ganzen Arbeit fertig geworden?
Ulli: Es ging so. Allein hätten wir das natürlich nicht geschafft. Angelo Lucifero, der Anmelder, hat sich ziemlich reingehängt, er war total aktiv und anderen Antifa-Gruppen unterstützt worden.
Donald: Am Tag der Demo wurde früh am Morgen unser Haus von den Bullen gestürmt. Zuerst versuchten sie, die Eingangstür aufzusprengen, da das aber nicht funktionierte, wurde sie mit einer Flex geöffnet. Da die vermummten und vereinzelt mit Pumpguns ausgerüsteten Bullen einige Zeit brauchten, um die Stockwerkbarrikade zu überwinden, konnten wir uns wenigstens noch schnell anziehen bzw. alle wecken. Als erstes mußten wir uns der Länge nach auf den Boden legen, während die Bullen mit den Pumpguns sich lautstark darüber ärgerten, daß keine Hunde da seien, und sie deshalb das Gewehr nicht benutzen könnten. Die wollten tatsächlich unsere Hunde töten. Wir wurden alle festgenommen während unsere Zimmer durchsucht wurden. Es wurden total unsinnige Sachen beschlagnahmt und später mußten drei Funktelefone und ein Teppichmesser als Beute herhalten. Einige Leute mußten bis zu 34 Stunden in Polizeigewahrsam verbringen, ehe sie wieder freigelassen wurden.
AIB: Wie hat denn die Öffentlichkeit in Saalfeld auf die Ereignisse reagiert?
Donald: Die Regionalpresse und die Stadtpolitik war total gegen uns. Ein Problem mit Nazis durfte es nicht geben, alles wurde totgeschwiegen. Selbst die Nazis, die in Heilsberg festgenommen wurden und die unsere Argumentation ja nur bestätigten, fanden nur ganz am Rande Erwähnung.1 Eigentlich waren alle nur voll des Lobes für den Polizeieinsatz. Die einzige eher positive Reaktion war, daß wir nicht mehr als Chaoten sondern als politische Kraft in der Stadt wahrgenommen wurden. Das ist ja auch nicht immer selbstverständlich.
Hans: Wir hoffen, die Reaktionen bei der nächsten Demo sind nicht mehr so negativ. Viele Leute konnten nicht verstehen, warum eine gewerkschaftlich angemeldete Bündnisdemonstration verboten wird. Aber allzuviel Sympathie können wir natürlich auch dieses Mal nicht erwarten.
Ulli: Damit die Demo ein Erfolg wird, ist es aber nötig, daß möglichst viele Menschen und Gruppen an der Demo teilnehmen und uns unterstützen. Die Demo, die vorraussichtlich im Frühjahr 1998 in Saalfeld stattfinden wird, thematisiert nicht nur die Faschostrukturen und die rechte Hegemonie in unserer Region, sondern natürlich auch das Verbot und die Repression vom vergangenen Jahr.
Wir müssen zeigen, daß wir uns von staatlichen Verboten nicht abschrecken lassen, denn Antifaschismus läßt sich nicht verbieten.
AIB: Viel Glück für Eure Demonstration und Danke für das Gespräch.
- 1Nachtrag AIB: Das Neonazi-Netzwerk des "Thüringer Heimatschutz" (THS) um die Neonazi-Kader Mario B. und Tino Brandt hatte 50 Neonazis zu ihrem Treffpunkt mobilisiert. Die Polizei stellte in dem von dem Neonazi Christian D. gemieteten Gasthaus u.a. Funk-Scanner, Funkgeräte, Feldtelefone, ein Nachtsichtgerät und zahlreiche Waffen sicher.