Mackerverhalten - die Diskussion hat erst angefangen
Autorinnengruppe »Paulinas Rache« (Gastbeitrag)Im AIB Nr. 40 haben wir den Beitrag »Mini & Daisy über Micky & Donald - Macker in der Antifa« von jüngeren Frauen aus Antifa-Zusammenhängen dokumentiert. Unsere Hoffnung war es, damit eine dringend notwendige Diskussion über Sexismus und patriarchale Strukturen innerhalb der Antifa-Szene anzustoßen. Schriftliche Reaktionen auf den Artikel gab es zunächst nicht; in Gesprächen haben wir aber viel positive Resonanz auf den Artikel bekommen. Jetzt erreichte uns der Beitrag eines Antifa-Zusammenhangs, der die Demonstration in Freiberg im November letzten Jahres zum Anlaß genommen hat, sich noch einmal genauer mit Macker-Verhalten auf Demos auseinanderzusetzen. Die Autorinnen verknüpfen ihre konkreten Erlebnisse in Freiberg mit einem theoretischen Teil über Dominanzkultur und einigen Anmerkungen zum Umgang mit Mackerverhalten im Rückblick auf die letzten zehn Jahre Antifa-Bewegung. Wir haben uns dafür entschieden, den Artikel in zwei Folgen zu dokumentieren, d.h. den ersten Teil zur Demo in Freiberg und zum Rückblick in dieser Ausgabe zu bringen; den zweiten, »theoretischen« Teil könnt Ihr dann in der AIB-Ausgabe Nr. 43 lesen.
Nachbemerkungen zur Antifa-Demonstration in Freiberg
Konkreter Anlaß für unseren Artikel waren Erlebnisse auf der antirassistischen und antifaschistischen Demonstration »Sagt nicht, Ihr hättet nichts gewußt!« am 1. November im sächsischen Freiberg. In der Darstellung der Demonstration beschränken wir1 uns auf die konkrete Kritik am Verhalten der Demonstrations-TeilnehmerInnen. Es ist nicht unser Ziel, einen umfassenden Demonstrationsbericht zu verfassen.
Bereits auf dem Weg vom Bahnhof zum Ort der Auftaktkundgebung fielen uns einige Männer mit Bierflaschen auf. Unser anfängliches Entzücken über kraftvoll gerufene Parolen zu Beginn der Demo schlug relativ schnell in Genervt-Sein um. Mit steigendem Alkoholkonsum waren die Parolen oft nur noch als Gegröhle wahrnehmbar. Penetrant wurde jeder Halt des Demozuges von vielen Männern zum Pissen genutzt; der Höhepunkt des Grauens war das Hervorpissen eines Mannes unter dem Leittransparent. Insgesamt war die Veranstaltung sehr männerdominiert. Das äußerte sich auch darin, daß Ordner- und Schutzfunktionen nahezu ausschließlich von Männern übernommen wurden. Ähnlich sah es bei den Redebeiträgen aus, wobei es uns kaum noch überraschte, als ein Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit »Akzeptierender Jugendarbeit« mit Rechten von einer Frau gehalten wurde. Uns stellte sich hier die Frage, ob diese Themenaufteilung - Frauen sind für das Soziale zuständig und Männer übernehmen die Analyse von Nazistrukturen und Politik - nicht einfach nur die altbekannten Muster wiedergibt.
Während des oben genannten Redebeitrags der Frau kam es zu dem Vorfall, den wir nicht nur persönlich als übel empfanden, sondern der anscheinend auch den Bewußtseinsstand von Teilen der unabhängigen Antifa-Bewegung ausdrückt. Eine Genossin aus unserer Gruppe sprach einen Mann auf den Button an seiner Jacke an - eine nackte Frau, offensichtlich aus einem Pin-Up-Katalog2 . Die Genossin sagte dem Mann, daß sie seinen Button sexistisch und ätzend fände. Der Typ reagierte verbal aggressiv und zeigte keine Diskussionsbereitschaft. Die Frau stellte sich dann wieder zu uns, der Mann folgte ihr, baute sich vor uns auf und ließ zusammen mit seiner Bierfahne eine Tirade los. Er »argumentierte«, daß er Antifaschist und von einem bedrohten Freiberger Jugendzentrum sei, und daher ließe er sich nicht als Sexist bezeichnen. Auf unsere Kritik an seinem Button ging er überhaupt nicht ein. Stattdessen baute sich ein Mob von jungen Männer in Punkeroutfit um uns herum auf. Sie stellten sich hinter ihren »Kumpel« und fingen an, uns zu beschimpfen, ohne daß sie überhaupt wußten, worum es bei der Auseinandersetzung ging. Sprüche wie »Wessis verpißt Euch« und ähnliches fielen. Die Stimmung war aggressiv und nach unserer Einschätzung anhand der Sprüche, die fielen, kurz vor einer Schlägerei. Anscheinend hatten wir den Fehler begangen, den Freiberger Platzhirschen in seiner »antifaschistischen Ehre« zu kränken. Der Rest der Umstehenden, darunter mehrere Männer und Frauen aus uns bekannten Berliner Antira-Zusammenhängen, die schon länger politisch aktiv sind und unserer Einschätzung nach die einen oder anderen Texte zum Patriarchat gelesen oder Diskussionen über Mackerverhalten geführt haben, vergaß anscheinend die Parole »Schaut nicht weg, greift ein« und glänzte durch Nichtverhalten. Die Situation verlor an Brisanz, nachdem sich ein einzelner Berliner Genosse einmischte und ebenfalls auf den Buttonträger einredete. Da mit dem Ende des Redebeitrages die Demo dann auch weiterging, zerstreuten sich die Umstehenden und wir wurden in Ruhe gelassen.
Unsere Eindrücke in Freiberg führten dazu, daß wir uns noch einmal hingesetzt haben, um eine grundsätzliche Kritik zu formulieren.
Rückblick auf die Sexismus-Diskussionen der letzten zehn Jahre
Unserer Ansicht nach ist die Antifa-Bewegung in Sachen Mackerverhalten und Sexismus seit Jahren stehengeblieben. Diskussionen tauchen zwar immer wieder auf, verschwinden aber auch blitzartig
wieder. Eine Umsetzung der in den Diskussionen formulierten Ansprüche (und Beschlüsse) fehlt. Auseinandersetzungen mit patriarchalen Verhältnissen werden bei der Bekämpfung von Neonazistrukturen als lästiger »Störfaktor« angesehen. Es wird oft vergessen, daß es für die Bekämpfung des Neofaschismus nicht ausreicht, die Neo-Faschistinnen anzugreifen. Es geht vielmehr darum, die rassistischen und sexistischen Verhältnisse und darin auch uns selbst zu verändern. Eine Folge des verkürzten Verständnisses von Antifa-Politik ist, daß sich immer wieder vor allem Frauen aus diesem Bereich zurückziehen.
Schon Mitte der 1980er Jahre zerfielen bundesweit Antifa-Zusammenhänge an der Unfähigkeit von Männern, sich mit Vergewaltigungen und Sexismus auseinanderzusetzen. Auch die Bewegung, die sich gegen die rassistischen Pogrome Anfang der 1990er Jahre wandte, war gekennzeichnet durch sexistisches Männerverhalten auf Demonstrationen und häufig unreflektierte Mackermilitanz.
Heute scheinen die begonnenen Diskussionen wieder vergessen zu sein, wie sich anhand der Demonstration in Freiberg gezeigt hat - wobei der Ortsname Freiberg beliebig austauschbar ist. In antifaschistischen Publikationen, die die Geschichte der Antifa-Bewegung kritisch aufarbeiten wollen, fehlen die von uns genannten Aspekte völlig. So wird im AIB Nr. 40 anläßlich des zehnjährigen Bestehens des AIB versucht, die Geschichte, die Fehler und die mangelnde Bündnisfähigkeit von linksradikalen Antifa-Gruppen zu beschreiben. Zum Thema »Sexismus in Antifazusammenhängen« findet sich allerdings nicht ein Wort. Ähnlich sieht es in dem in diesem Jahr erschienenen Buch der Gruppe »Kunst und Kampf« aus Göttingen aus: Dort wird das Auseinanderfallen des Norddeutschen Antifaplenums - eines Versuchs, sich überregional zu organisieren - völlig verkürzt dargestellt. Ein wichtiger Grund für den Zerfall des Plenums lag nicht in der mangelnden Organisierungsbereitschaft oder in persönlichen Konflikten, sondern darin, daß sich nicht auf einen gemeinsamen Umgang mit Vergewaltigern geeinigt werden konnte.
(Der Gastbeitrag wird im AIB Nr. 43 fortgesetzt)
- 1"wir" bezeichnet hier die Gastautorinnen der Autorinnengruppe »Paulinas Rache«.
- 2Der Begriff »Pin-up« kommt aus dem Englischen und heißt wörtlich »zum Aufhängen«. Er wird für pornografische Frauenbilder verwendet, die vorzugsweise in Kalendern abgebildet werden, die sich dann in Knastschränken, Bundeswehr- und Sportvereinspinden, WG-Zimmern etc. wiederfinden ....(d. Red.)