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Die Diskussion hat erst angefangen - Fortsetzung

Autorinnengruppe »Paulinas Rache« (Gastbeitrag)
Einleitung

Nachdem wir im AIB Nr. 42 einiges zu Mackerverhalten auf Antifa-Demos und dem Verhältnis der antifaschistischen Bewegung zu Sexismus angerissen haben, wollen wir im zweiten Teil etwas theoretischer darstellen, warum wir die Auseinandersetzung mit Sexismus (aber auch mit Rassismus) für eine notwendige Grundlage antifaschistischer Arbeit halten.

Bild:  Tofu Animalpunk
(Bild: Tofu Animalpunk; CC BY-NC-ND 2.0 Deed)

Einen guten Teil dessen, was in der BRD unter dem Namen Antifa-Politik läuft, würden wir eher als Anti-Nazi-Politik bezeichnen. Zentrale Punkte dieser Arbeit sind das Aufdecken von Neonazi-Strukturen, Organisation von Demonstrationen, direkte Aktionen gegen Neonazis, Flugblätter erstellen. Einige Gruppen oder Zeitschriften beschäftigen sich noch mit Themen wie Antimilitarismus, deutschem Großmachtstreben, staatlichem Rassismus und ähnlichem. Diese Aufzählung ist selbstverständlich nicht vollständig. Es geht uns nicht darum diese Arbeit geringzuschätzen. Sie ist bitter notwendig und ohne sie wäre der Bewegungsspielraum der Neonazis noch weitaus größer. Dennoch empfinden wir die Politik der antifaschistischen Bewegung an zentralen Punkten als zu kurz gegriffen.

Eine Analyse, inwieweit eine patriarchale Gesellschaft ein wichtiger Bestandteil vom Entstehen des Faschismus und faschistischen Gruppen ist, wird fast nirgends betrieben. Auch die Thematisierung der eigenen Verstrickung von Antifas in die Macht- und Herschaftsverhältnisse Sexismus und Rassismus fehlen außerhalb von Frauen-Antifa Gruppen (Fantifa) völlig. Unser Anliegen ist es, diese Diskussionen auch in Antifagruppen voranzubringen.

Wir sind uns bewußt, daß unser Text in Teilen eher abstrakt ist, aber wir wollen am Ende unseres Artikels auch einige konkrete Fragestellungen anführen, welche das Verhältnis von Männern und Frauen in Antifa-Gruppen betreffen.

Der Begriff der Dominanzkultur hat eine zentrale Stellung in unserer Sichtweise auf die mitteleuropäische und nordamerikanische Gesellschaft. Er wurde von der feministischen Sozialwissenschaftlerin Birgit Rommelspacher geprägt. Dominanzkultur bedeutet, daß es innerhalb einer Gesellschaft, die sich insgesamt als höherwertig gegenüber anderen begreift, eine immer wiederkehrende Struktur gibt: Diese ist gekennzeichnet durch ein Wechselspiel von Dominanz (Vorherrschaft) und Unterwerfung und hat drei Merkmale:

1. Die von uns erlebten Unterschiede zwischen den Geschlechtern, sind nicht naturgegeben, sondern wir erlernen sie von Kindheit an. Zusätzlich wird diese erlernte Verschiedenheit in eine Rangordnung einsortiert, was zur Bildung von Geschlechterhierarchien führt.

2. Rassismus und Sexismus sind keine Probleme von »Zukurzgekommenen« (zum Beispiel von arbeitslosen Jugendlichen), sondern die Angst, seine/ihre eigenen Privilegien bedroht zu sehen, beziehungsweise sie zu verlieren. Dies äußert sich unter anderem im Denken, als Deutsche(r) mehr Anspruch auf Wohlstand zu haben als hier lebende Migrantinnen.

Eine Form, in der sich Sexismus in Antifa-Gruppen äußern kann, ist, daß Männern nach außen orientierte Aufgaben nicht an Frauen abgeben wollen, da sie das als Schwäche und Machtverlust
empfinden würden.

Das 3. Merkmal ist, sich selbst als Norm zu setzen, als das einzig Wahre, Richtige, Gesunde etc. Alles Fremde und Andere wird von sich selbst ferngehalten. Dies findet beispielsweise seinen Ausdruck im Umgang mit Menschen, die nicht der Gruppennorm im Verhalten oder in der Kleidung entsprechen.

Sowohl Männer als auch Frauen haben in ihrer vielfältigen Identität unterschiedliche Rollen innerhalb dieser Struktur inne. Frauen gehören zur diskriminierten Gruppe, als Weiße gehören sie zur dominanten und so weiter.

Spannend am theoretischen Ansatz von Birgit Rommelspacher ist für uns zum einen die Erkenntnis, daß wir als Antifas (Linke oder Autonome) nicht einfach auf der Seite der Guten stehen, nur weil wir gegen Nazis sind. Die Theorie von Birgit Rommelspacher gründet sich auf den Modernisierungsprozessen von Herrschaft vor allem in den letzten Jahrzehnten. Ältere Konzepte linker Theorie, vor allem solche, die sich auf den Klassenkampfgedanken beziehen, bemühen sich stets klar zwischen Herrschenden und Unterdrückten zu unterscheiden. Diese klare Unterscheidung ist heute in den meisten Bereichen nicht mehr haltbar, wenn sie es je war. Macht hat sich in der Moderne immer weiter differenziert und in die Gesellschaft hineinverlagert.

Die Dominanzkultur wird nicht nur durch die Mehrdimensionalität von Macht gekennzeichnet, sondern auch durch die Allgegenwärtigkeit von Machtverhältnissen. Mit Mehrdimensionalität ist hier die Verwobenheit der einzelnen Machtverhältnisse untereinander gemeint, sowie der Fakt, daß es nicht nur eine Machtebene gibt. Hinzu kommt die relative Unsichtbarkeit dieser Mächte, sie sind in keine Rechtsverhältnisse gegossen und werden von keiner repressiven Instanz vertreten. Im Gegensatz zu einer Vorstellung von Macht als Repression beinhaltet der Begriff »Dominanz«, daß Macht sich auf weitgehende Zustimmung stützt. Sie vermittelt sich über soziale Strukturen und verinnerlichte Normen.

Damit verschiebt sich die Bedeutung von Macht und Unterordnung. Je nachdem, mit welcher Person, mit welcher sozialen Gruppe die Einzelnen in Beziehung stehen, können sie Unterdrückerin und BeherrschteR sein. Macht und Unterordnung sind keine sich gegenseitig ausschließenden Positionen, sie können sich in einer Person vereinigen.

Das bisher Geschriebene soll natürlich nicht dazu führen, daß mensch denkt die Welt wäre so kompliziert, daß er oder sie ohnehin nur alles falsch machen könnte. Es geht uns darum aufzuzeigen, daß ein einfaches Strickmuster - hier böse Nazis, dort gute Antifas - so nicht existiert. »Es ist naiv zu meinen, die Normierung des Menschen, die ihm zur zweiten Natur geworden ist, könne per Beschluß,  könne in einem revolutionären Akt aufgehoben werden (...) Sie kann auf absehbare Zeit nur unermüdlich in stetigen und beharrlichen Kämpfen thematisiert und damit infrage gestellt werden (...) Sie ist kein sich äußerer Feind, den der Revolutionär, als ein ihm Fremdes bekämpft, sie nistet in seiner eigenen Seele, sie ist verwoben mit dem Material, aus dem er als gesellschaftlicher Mensch oder gemacht ist.« Soweit Ingrid Strobl in ihrem Text »Die Angst vor den Frösten der Freiheit«.

Wir finden es als Antifaschistinnen wichtig, die eigene Verwobenheit in Machtverhältnisse zu erkennen. Der Fehler ist nicht, Mann oder weiß zu sein, sondern permanent die Augen davor zuzukneifen, was damit automatisch verbunden ist. Um eine Diskussion in (gemischtgeschlechtlichen) Antifa-Zusammenhängen anzuregen, ist es notwendig, die Strukturen der eigenen Gruppe aufzudecken, zu hinterfragen und zu verändern. Mögliche Fragestellungen sind dabei:

Wer übernimmt welche Aufgaben und warum? Wer kümmert Gruppe nach außen? Wie sieht das Redeverhalten in der Gruppe aus?

Wir fänden es schön, wenn anhand dieser ähnlicher Fragen die Rollenverteilung in einer Gruppe festgestellt und hinterfragt wird, warum diese Verteilung so ist.

Weiteres Material zum Thema:
- »Dominanzkultur« von Birgit Rommelspacher, erschienen im Orlanda Frauenverlag
- »Antirassistische Identitäten in Bewegung« von Sabine Hess und Andreas Linder; Verlag edition diskord
- »Geschichte, Rassismus und das Boot« von der autonomen l.u.p.u.s. Gruppe; Verlag Edition ID-Archiv