»Nichts ist unmöglich, wenn Männer wollen.«
Markus StiegerRechtsextreme haben ein Geschlecht. So simpel diese Aussage auch klingen mag – so unbeachtet ist sie in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Wenn die Kategorie Geschlecht überhaupt thematisiert wird, dann nur, wenn es um Funktionen und Karrieren von Frauen und Mädchen innerhalb extrem rechter Strukturen geht. Die Kategorie Männlichkeit bleibt außen vor und männliches Handeln geschlechtlich unmarkiert. Dies bildet eine große Leerstelle, stellt Männlichkeit doch einen zentralen Bestandteil extrem rechter Programmatik, Agitation und Mobilisierung dar.
Obwohl der Männerüberhang im bundesdeutschen Rechtsextremismus evident ist, Kameradschaften als Männerbünde par excellence gelten und statistisch gesehen jährlich mehr als 90 Prozent extrem rechter Gewalttaten von Männern begangen werden, gibt es bisher kaum Versuche den Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Männlichkeit zu ergründen. Nur vereinzelt wurde in den letzten fünfzehn Jahren der Versuch unternommen, die Frage zu klären, weshalb insbesondere junge Männer in hohem Maße anfällig für extrem rechtes Gedankengut sind und dies gewalttätig ausleben. Der Soziologe Dietmar Loch etwa sieht eine Krise des »industrial man« in der postindustriellen Gesellschaft, dem »der rechtsradikale Diskurs (...) männliche Bezugspunkte, Vaterfiguren und Autorität« offeriert. So »wird die Rechtsradikalismusforschung zum Bestandteil einer modernen Männerforschung« konstatiert er, doch dieses Phänomen sei bisher »wenig erforscht«.
Der Professor für soziale Arbeit Kurt Möller problematisierte hohe Gewalttätigkeit als Kompensation »althergebrachter Männlichkeitsmuster« gegenüber geschlechtsspezifischen Individualisierungsverlusten. »Das prämoderne Männlichkeitsbild rechter Ideologie mit seiner Lobpreisung von Werten wie (Körper-)Kraft, Schmerzresistenz, rücksichtsloser Opferbereitschaft für eine als richtig erachtete Idee und Soldatentum bietet entsprechende Vorbilder zuhauf.« Weiterhin fokussiert er strukturelle Zusammenhänge, da »Kernelemente von Rechtsextremismus, Ungleichheitsideologien bzw. -mentalitäten und personale Gewaltakzeptanz, in bestimmter Weise auch die gesellschaftlich dominierende Form des Geschlechterverhältnisses durchziehen«.
Dementsprechend irreführend ist es, eine isolierte Form extrem rechter Männlichkeit herauszuarbeiten. Vielmehr müssen die Wechselwirkungen zweier Gewaltverhältnisse analysiert werden, um Männlichkeit in einem bestimmten Umfeld – hier dem Rechtsextremismus – zu verstehen. Denn Zugang zu materiellen Ressourcen und physischer Gewalt, Dominanz über Frauen, das Innehaben einer strukturellen Machtposition sind Elemente, die allen Männlichkeiten inhärent sind, sie konstituieren.
Das Thema Männlichkeit scheint in extrem rechten Kreisen selbst (und nicht nur dort) tabuisiert zu sein. Sprechen über die eigene Männlichkeit wirkt merkwürdig. Es kratzt am unausgesprochenen Normalzustand, an der unantastbaren Arbeitsgrundlage. Und dennoch enthalten Aufrufe, Zeitungen, Homepages, Interviews und Songtexte einschlägiger Bands so einiges an Vorstellungen, was die eigene Männlichkeit betrifft. Vielmehr noch: die Bedrohung der eigenen Männlichkeit. Im Folgenden seien Themen aufgeführt, anhand derer Männlichkeit konstruiert wird.
Die »fluktuierende Massengesellschaft« Kastration im Namen des Liberalismus
Dem Begriff der Volksgemeinschaft ist eine dichotome Geschlechterordnung immanent, die einer klassisch bürgerlichen Sphärentrennung folgt: Er ist arbeitender Familienernährer in der Öffentlichkeit. Sie leistet Reproduktionsarbeit zum Erhalt des Volkes. Ausgehend vom »natürlich biologische(n) Geschlecht« bildet die Legitimierung der traditionellen Geschlechterhierarchie den Fixpunkt neonazistischer Geschlechterpolitik. Denn mit gängigen Männlich- und Weiblichkeitsbildern stehen nicht nur traditionelle Geschlechterrollen zur Disposition, sondern drohe die »Zerstörung der Grundlagen menschlichen Lebens«.
Hauptfeind ist »die fluktuierende Massengesellschaft«. Deren »hin- und herflutende Menschenmenge ohne Konsistenz, Stabilität und Dauerhaftigkeit« sei »gekennzeichnet von der Unsicherheit und dem ständigen Wechsel aller Lebensverhältnisse. Mobilität zerstört alle gewachsenen Familien-, Sippen- und Volksgemeinschaften.« »Atomisierte Einzelne, die nicht mehr Glieder eines organischen Ganzen« seien, stellten nur noch »Teile einer diffusen Menge dar.« »Schrankenlose Pluralisierung und Selbstverwirklichung« seien schuld an der traurigen Erscheinung »identitätskastrierter Gegenwartskrüppel«. Dem wirke nur die »gesunde Nation« entgegen. Denn nur die »wurzelhafte, homogene und bodenständige Volksgemeinschaft« mache aus »kommerzialisierten und zur Ware verkommenen Herdenmenschen wieder Menschen, die (…) Herren über ihr eigenes völkisches Schicksal sein wollen«. Der Kampf gilt der »entwurzelten Nation«, man fühlt sich kastriert, seiner männlichen Selbstbehauptung entsagt. Aus dieser Perspektive ist auch das Phantasma des ausländischen Arbeiters, der dem Deutschen den Arbeitsplatz wegnimmt, ein männliches, stellen doch »Arbeit, Familie, Vaterland« die drei zentralen Säulen im Männerleben dar. »Arbeit zuerst für Deutsche« adressiert entsagte Identifikation über die als männlich definierte, harte Handarbeit und zielt auf die »blanke Existenzangst zahlreicher berufstätiger Familienväter«.
Die Schuldigen sind indes schnell ausgemacht: »Raubtierkapitalismus« in (Un-)Person »menschheitsfremde(r) Finanzjongleure«, Feminismus und Homosexualität als Ausdruck eines verkommenen, »konsumistischen Egoismus« sowie Masseneinwanderung »hyperpotenter« und billigarbeitender Ausländer. All diese »Bedrohungsszenarien« sind hochgradig gegendert.
Frauen hinter’n Herd
Feminismus, weibliche Emanzipation und Gleichstellungsprogramme wie Gender Mainstreaming werden als wahrloses Herumdoktern an natürlicher Lebensgrundlage verteufelt.
Udo Pastörs, Fraktionsvorsitzender der NPD im Landtag MV schimpfte im Januar 2007: »Verbiegen wir Männer und Frauen – sie nennen es Emanzipation – töten wir aber in den Frauen ein Stück ihrer Weiblichkeit und blockieren bei den Männern die Entfaltung ihrer Männlichkeit.« Im Juli 2007 beantragten NPD-Abgeordnete in mehreren Bezirksverordnetenversammlungen Berlins die Streichung aller Gender-Mainstreaming-Programme, um die Gelder zur (völkischen) Familienförderung zu nutzen. Im Antrag heißt es: »Die Verfechter dieses Begriffes (Gender Mainstreaming, Anm. M.S.) behaupten biologische Rollenverteilung wäre willkürlich, zufällig und jederzeit änderbar. Ausgehend von der irrigen Vorstellung Menschen wären beliebig programmierbar, werden Menschen entwurzelt, sozial desorientiert und ihrer persönlichen Identität beraubt.«
Wer hat Angst vor’m schwarzen Mann?
Frauen sind jedoch nicht nur stumme Helferinnen, sondern werden als potentielles Einfallstor für »Rassenvermischung« beschützt und verteufelt. Drohgestalt ist der sexuell umtriebige und hyperpotente Nichtdeutsche, mit dem der Deutsche in Konkurrenz steht. »Triffst Du mal ‘nen Türken mit einer deutschen Frau / dann ist das Rassenschande, / und Du weißt das ganz genau. / Drum wartest Du auf ihn / an irgendeiner Ecke, / schneid ihm seinen Schwanz ab, / auf das er dran verrecke.«
Gerade die Figur des aggressiven »schwarzen Mannes«, die Ethnisierung sexueller Gewalt, ist ein gängiges Thema: »Jetzt predigen sie schon die Mischung der Rassen / Nigger ficken weiße Frauen, das könnte euch so passen.«
Sexualität wird zum entscheidenden Punkt im »Kampf der Völker«. Dieser wird oft in Vergewaltigungsmetaphern beschrieben, so z.B. in der Rede von der »Vergewaltigung des deutschen Volkes«, in dessen Territorium eine ungezügelte Immigration penetriere: »(…)unbegrenzte Einwanderungsfluten ausländischer Lohndrücker zerstören die Nation als sozialen Schutzraum des Volkes.« heisst es auf einer neonazistischen Internetseite. Hierbei bezieht sich die Anprangerung einzig auf die völkische Nichtzugehörigkeit des migrantischen Mannes zum weiss-deutschen Kollektiv, denn sexuelle Gewalt nach aussen gilt als Waffe: »Tötet ihre Kinder, schändet ihre Frauen. / Vernichtet ihre Rasse / und so werdet ihr sie grauen.«
Kampf um Volksgemeinschaft – Erotik mit dem Vaterland
In Anbetracht dieser »offenen Fronten«, befinden sich extrem rechte Männer andauernd im Kampf, im Krieg. Denn Krieg ist dort, wo Männer unter sich sind, gleiches sich um Ehre misst. Dort, wo der totale Zusammenhalt im Ruf des Vaterlandes erträumt wird, pure Männlichkeit sich hinsehnt. Dementsprechend großen Raum findet der Bezug auf den historischen Nationalsozialismus in Person des angeblich sauberen, ehrhaften, treuen deutschen Soldaten. Da die historische Situation den offenen Kampf derzeit nicht zulässt, wird jeder Flyer-verteilende Schüler zum stählernen Systemfeind und Widerstandskämpfer empor erhoben. Den Rest erledigt ein Verbalradikalismus à la »Wir aber kennen den Terror des Systems und wir kennen dessen Angst vor der Explosionskraft unseres Kampfes.«
Mann imaginiert sich als SA des 21. Jahrhunderts.
In der Auflösungserklärung des Märkischen Heimatschutz (MHS) 2006 heisst es: »Angetreten, Kameraden! Fünf Jahre des Kampfes liegen hinter uns. Wir haben uns durchgepaukt gegen alle Widerstände.(...) Wenn wir zusammenstehen, dann sind wir unbesiegbar. Tapfer und treu haben wir alle unsere Pflicht getan. (…) Die Not des Vaterlandes hat uns gerufen, und wir haben uns diesem Ruf nicht entzogen.« Dieses Vaterland erscheint im Rechtsrock häufig als zu liebende Person und wird erotisch besetzt: »Ich erinnere mich an die schöne Zeit, als alles noch in Ordnung war / Unvergessen bleibt der Anblick, wenn ich Deine Schönheit sah (...) Doch eines Tages war’s passiert und Du kehrtest mir den Rücken / Ich hab’ Dir so viel gegeben, wollte immer nur zu Dir stehen / Ich kann es nicht begreifen, warum wolltest Du von mir gehen? / Vaterland, oh Vaterland, warum lässt Du mich allein?« Was als recht kitschig heterosexuelles Liebeslied beginnt, endet als Liebesbekundung an Deutschland, welches es ebenso zu schützen gilt, wie Frau und Familie.
Zur Verteidigung dessen gegen imaginierte Bedrohungen, lohnt es sich, zumindest verbal, im Kampfe zu sterben: »Kämpfen und sterben, ja, was ist dabei / Wenn nur mein Vaterland, mein Deutschland frei.« Sehr anschaulich, von wem dieses Deutschland u.a. bedroht ist, stellte es der CDU-Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche 2006 dar, als er sagte, dass Patriotismus notwendig sei, »um endlich vom Schuldkult runterzukommen« – und damit »Deutschland nie wieder von Multikulti- Schwuchteln in Berlin regiert wird«. Gemeint war Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit.
Appell an (gekränkte) Männlichkeit
Bedroht von Feminismus, kastrierendem Kapitalismus sowie vom sexuell hyperpotenten und arbeitsfähigeren Nichtdeutschen, fühlen sich extrem rechte Männer anscheinend entwürdigt. Hieran richtet sich der politische und moralische Appell, endlich aufzustehen: »Wie oft haben sie dich geschlagen, deine Freundin angegafft / Wie oft hast du dich gefürchtet, haben sie es schon geschafft / Ist dein Mut denn schon gestorben, dann hast du längst verloren / Brecht euer Schweigen, lasst uns alle schreien / Wir werden kämpfen, und dann Sieger sein.« Extrem rechte Männer sind die Einzigen, die sich wehren, nicht aufgeben, sondern versuchen ihre männliche Selbstbehauptung wieder zu erlangen, die Krise mittels eigener Stärke zu überwinden : »Der Feind steht gegen uns, mächtiger denn je. Wollt ihr ihn bezwingen, dann müsst ihr mutig sein und das Letzte an die große Aufgabe setzen. Nichts ist unmöglich, wenn Männer wollen.« Die jüngliche Allmachtsphantasie ist klare politische Ansprache. Sie ist Tabubruch als Stärkebeweis in Zeiten feministischer »political correctness« und dient der Rekrutierung.
»Krasse Macker« mit Programm
Männlichkeit ist kein Nebenprodukt althergebrachter Propaganda, sondern spielt eine zentrale Rolle in der politischen Ansprache. Extrem rechte Männer fühlen sich in ihrer angestrebten Herrschaftsposition konstant in Abwehrkämpfe verwickelt. Xenophobie geht mit Angst vor unmännlichem bzw. entmännlichendem Machtverlust einher. Klaus Theweleits Analyse, daß eine agitatorische Stärke der historischen Nationalsozialisten darin lag, Menschen in ihren innersten Gefühlen, ihren Körpern anzusprechen, scheint auch auf die aktuelle Situation übertragbar. Der Appell an eine sich verstümmelt, gekränkt und unterdrückt sehende Männlichkeit, der erst wieder zu ihrem explosiven Potential verholfen werden muss, ist zentrales Moment einer breiten Männermobilisierung, die sich dies wiederum niemals eingestehen würde.
Seit Jahren ist bekannt, wo sich Neonazis in ihrer Freizeit tummeln und »normale Männer« rekrutieren: Fussballclub, Free-Fight-Gym, etc., dort wo nicht nur das körperliche Ideal noch vollends ausgelebt werden kann – Männer unter sich sind. Dementsprechend erstaunlich ist es, das linke Analysen extrem rechten Männergebahrens selten über die Bezeichnung »krasse Macker« hinauskommen. Vielmehr müssten sich weitere Analysen mit programmatischen Themen oder auch dem »doing gender in der extremen Rechten« beschäftigen. Denn die Frage wie geschlechtliche und ideologische Vorstellungen in der Alltagswelt real umgesetzt werden, ist weitreichend und weiterhin offen.
Das Zitat in der Überschrift stammt aus: Märkischer Heimatschutz, »Eine Ära geht zu Ende!«, 6. November 2006