Straßen- oder Massenkampf?
»Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!«. Mit dieser Parole wird meistens die Politik der KPD gegen die SA beschrieben. Wenig bekannt ist jedoch, dass diese Politik stark umstritten war und der sogenannte »individuelle Terror« 1931 offiziell vom ZK untersagt wurde.
Seit dem sechsten Kongress der Komintern von 1928 sah sich die KPD in einer neuen Lage. Man werde in Kürze in eine »Dritte Periode« eintreten, in der eine neue Welle von Kriegen und Klassenkämpfen zu erwarten sei. In dieser Phase entstehe einerseits die Gefahr einer faschistischen Diktatur, auf der anderen Seite aber die Chance einer Radikalisierung der Unterdrückten und die Revolution. Paradoxerweise glaubten die Kommunisten, das Anwachsen der Stärke des Faschismus sei ein positives Zeichen für die eigene Bewegung. Es wurde als das letztes Aufbäumen der im Endstadium begriffenen kapitalistischen Gesellschaft interpretiert. Die Anhänger befanden sich daher in einer permanenten Revolutionserwartung die ihr Handeln bestimmte, und in der für Realpolitik kein Platz mehr war. Als die SA begann, gezielt in bisher traditionell »roten« Arbeiterviertel Propaganda zu betreiben und »Sturmlokale« zu eröffnen kam es regelmäßig zu Zusammenstößen mit Toten und Verwundeten. Ziel der SA war es, die traditionelle Hegemonie der Arbeiterbewegung in den Viertel zu brechen.
Am 6.Mai 1929 wurde der Rotfront Kämpferbund (RFB) verboten, während die rechten Wehrverbände wie Stahlhelm und SA weiterhin erlaubt blieben. Dies schien die Analyse der KPD zu bestätigen, dass der Kapitalismus seine schärfsten Waffen gegen die revolutionären Arbeiter ins Feld führen musste, um seine Herrschaft zu erhalten. In den folgenden drei Jahren versuchte die KPD Nachfolgeorganisationen zu gründen, deren Hauptmotiv der »Kampf gegen den Faschismus« sein sollte. Daneben bildeten sich zahlreiche kleinere Gruppen, die nur lose mit der KPD in Kontakt standen. Auf lokaler Ebene entstanden so selbstständige »Rote Überfallkommandos«, deren Zweck der Straßenkampf mit den politischen Gegnern war. Deren Mitglieder konnten mit einer disziplinierten Parteiarbeit wenig, mit tollkühnen Aktionen dafür um so mehr anfangen.
Die neuen Gruppengründungen, die durch ihre große Anzahl, ihre personellen Überschneidungen und einer oft geringen Lebensdauer gekennzeichnet waren, ergaben ein fast unkontrollierbares Geflecht, sowohl für die Polizei, als auch für die KPD. Heinz Neumann, Mitglied des ZK und Chefredakteur der »Roten Fahne« gab die Parole »Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!« aus. Die Analyse der Situation war zwar bedrohlich, bot aber einfache Lösungen: »[...] Die Mordbanditen handeln im direkten Auftrag der Bourgeoisie […]. Der Kampfeswille der Arbeiter soll gebrochen, die Arbeiter sollen niedergeschlagen werden. [...] Die Führer der sozialdemokratischen Partei [...] ebnen bewusst dem Faschismus den Weg. [...] Die Arbeiter müssen sich selber schützen! [...] Verteidigt euch und eure Quartier, weicht keinen Schritt vor dem faschistischen Terror zurück!«1
Der Kampf gegen die Nazis wurde für viele Kommunisten wichtigster Teil ihrer Arbeit. Die KPD-Führung sah zwar die Notwendigkeit der physischen Konfrontation, befürchtete aber ein Abdriften in »Rivalitätsknüppeleien« zwischen Wehrgruppen. Über den antifaschistischen Kampf sollte nicht der Klassenkampf vergessen werden. Der Kampf gegen die Nazis sollte auf einer breiten Massenbasis geführt, auf Naziübergriffe mit Proteststreiks und Demonstrationen, auf Sturmlokale mit Mieterstreiks geantwortet werden. »In ein Lokal gehen und einen Faschisten niederknallen, das kann jeder, der Mut und einen Revolver hat. Weit schwieriger ist es natürlich, in die Massen zu gehen, mit den Massen zu kämpfen und an der Spitze der Massen die Volksrevolution zu entfachen. Und das ist unsere Aufgabe.«2
Trotz des Wunsches, die Nazis durch den Massenkampf zu besiegen, nahmen die Auseinandersetzungen auf der Straße zu. Gegen das immer stärkere Auftreten der SA und die ersten Toten wurde mit gezielten Feuerüberfällen auf Sturmlokale und Angriffen gegen Nationalsozialisten reagiert.
Das ZK spricht
In einer Resolution des ZK vom 10.November 1931 wurde daraufhin dem »Individuellen Terror« eine Absage erteilt: »Ohne auch nur einen Augenblick lang auf die Anwendung aller zweckmäßigen Kampfmittel zu verzichten, [...] erklärt das Zentralkomitee jede Verfechtung [...] der terroristischen Ideologie und Praxis für vollkommen unzulässig. Wer sich von Verzweiflungsstimmungen mitreißen lässt, wer sich von den Feinden des Proletariats sein Verhalten diktieren lässt [...], wer die Parteidisziplin bricht, ist des Namens eines Kommunisten unwürdig.«3
Der »individuelle Terror« könne der Bewegung nur Schaden, indem er schärfste Repressionsmaßnahmen der staatlichen Ordnungsmacht provoziere und keinen unmittelbaren Wandel der derzeitigen Zustände bringe. Der ZK- Beschluss rief allerdings entschiedenen Protest hervor. Ein Protestschreiben einer KJVD-Gruppe4 aus dem Norden Berlins kann hier stellvertretend für die Meinung vieler an der Basis stehen: »Wir pfeifen was darauf, wenn wir von SA-Leuten ermordet werden und am Tage unserer Beisetzung ein kleiner Teil der Proleten einen halbstündigen Proteststreik durchführt, worüber sich die SA amüsiert, dass sie so billig dabei wegkommt.« An der Basis der Partei lehnten es viele ab, sich den Anordnungen des ZK zu fügen, bei den Sitzungen einiger Roter Zellen kam es zu stürmischen Debatten und Handgreiflichkeiten. Führer des illegalen RFB verkündeten, der Beschluss sei vielleicht für die Partei bindend, nicht aber für ihre Nebenorganisationen. Die Auseinandersetzungen gingen weiter und erlebten im Sommer 1932, nach der Aufhebung des SA-Verbots, ihren Höhepunkt.
Fazit
Die Diskussion um die Anwendung von antifaschistischer Gewalt am Ende der Weimarer Republik macht auf zwei Dinge aufmerksam. Zum einen zeigt sie, dass die KPD kein monolithischer Block war, der im Kadavergehorsam die Befehle der Parteispitze umsetzte. Stattdessen blieb die Basis ein selbständiger aktiver Faktor, die sich nicht darum scherte, was »oben« besprochen wurde. Es zeigt aber auch, in welch schwieriger Lage sich AntifaschistInnen befanden. Versuchten sie die SA direkt zu stoppen, gerieten sie in den Focus der staatlichen Repression und der Racheaktionen der SA. Verhielten sie sich aber passiv, konnte die SA widerstandslos öffentliche Räume besetzen um von da aus noch stärker gegen die Arbeiterbewegung vorgehen. Auch die völlig falsche Analyse der KPD, die alleine gegen NSDAP und SPD »Sowjetdeutschland« erzwingen wollte, machte die militärische Konfrontation mit der SA zu einem aussichtslosen Unterfangen.