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Umgang mit akzeptierender Sozialarbeit vor Ort

Einleitung

Interview mit Clemens, einem Antifaschisten aus Saarlouis.

Sozialarbeit mit rechen Kadern ? Der Kameradschaftsführer Peter St. (im Vordergrund) bei einem Neonazi-Aufmarsch.

AIB: Seit wann gibt es in Saarlouis akzeptierende Sozialarbeit mit Neonazis?

Clemens: Die Arbeit begann 1992 in Form eines Streetwork-Projektes.

AIB: Heißt das, daß SozialarbeiterInnen beschlossen haben, sich mit den Neonazis zu beschäftigen, weil die örtliche Neonaziszene gerade »besonders auffällig« war? Oder haben zuerst Neonazis was gefordert?

Clemens: Das ist uns nicht ganz klar. Allem Anschein nach gab es wohl eine Gruppe neonazistischer Skinheads, die einen Raum wollten und von städtischer Seite Interesse, ein Projekt zu schaffen. 1991 gab es einen Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim, bei dem ein Flüchtling getötet und zwei verletzt wurden, und das war damals nicht der einzige rassistische Anschlag in der Region. Mit dem Projekt konnten Kommunalpolitikerinnen sagen, daß »was getan wird«.

AIB: Und wie hat sich daraufhin die Neonazi-Szene entwickelt?

Clemens: Das ist schwierig zu beantworten, da es erst seit 1996 organisierte Antifas in Saarlouis gibt. Unser Wissen über die Zeit davor ist ziemlich bruchstückhaft. Fakt ist, daß es sich bei dem Klientel der SozialarbeiterInnen um Neonazi-Skinheads handelt, die zum Teil der FAP angehörten. Das Sozialarbeit-Projekt bot immer mal wieder Aktionen wie Fußballspielen oder Fahrten für die Neonazi-Skinheads an und stellte damit einen Rahmen, in dem sie sich treffen konnten. Insgesamt ist festzuhalten, daß die neonazistische Skinheadszene seit Beginn des Sozialarbeit-Projekts auf mindestens das Dreifache angewachsen ist und sich festigen konnte. Übergriffe von Seiten der Neonazis hat es weiterhin gegeben.

AIB: Wie treten denn die Neonazis zur Zeit in der Öffentlichkeit auf? Ist da ein Unterschied im Vergleich zu der Zeit zu bemerken, als es das Projekt noch nicht gab?

Clemens: Seit etwa 1996 ist eine verstärkte Politisierung und Anbindung an die NPD/JN festzustellen. Außerdem existiert mittlerweile mit der "Kameradschaft Saarlautern" (Saarlouis hieß im NS Saarlautern) eine unabhängige Kameradschaft, wie sie im Konzept der NPD/JN propagiert wird. Seit April beflaggen sie ihren lokalen Treffpunkt, den Ludwigspark in Saarlouis, mit Reichsfahnen, dann haben sie im Mai einen Pavillon, der dort steht, schwarz-weiß-rot angestrichen. Mitglieder dieser Kameradschaft nehmen z.B auch an sämtlichen bundesweiten Aufmärschen teil. 1998 waren das bisher die Aufmärsche in Dresden, der NPD Bundeswahlkongreß in Passau, der Aufmarsch in Lübeck und die Kundgebung am 1. Mai in Leipzig.

AIB: Wie würdet denn Ihr die Neonazis charakterisieren, um die sich im Rahmen des Projekts gekümmert wird?

Clemens: Das SozialarbeiterInnen-Projekt ist so angelegt, daß »niemand ausgegrenzt wird«. Das heißt, daß sogar ein besonderes Interesse besteht, Kader, wie z.B. den Kameradschaftsführer Peter St. zu integrieren. Der übernahm z. B. teilweise die Funktion des Fußballtrainers für seine Kameraden. Laut Aussage des Sozialarbeiters uns gegenüber sind dann »auch welche dabei, die das Wort Politik noch nicht einmal buchstabieren können«, aber eben auch Neonazis wie Peter St., die das Projekt für sich nutzen bzw. bestimmen, wie weit die Einflußnahme der SozialarbeiterInnen auf die Neonazi-Skinheads gehen darf.

AIB: Wie kam der Kontakt zwischen den SozialpädagogInnen und Euch AntifaschistInnen zustande?

Clemens: Ein Sozialarbeiter sprach uns nach einer Kundgebung am 19. September 1996 an läßlich des fünften Todestages von Samuel Yeboah an. Er ging gezielt auf die Person, die den Redebeitrag gehalten hatte zu und hinterließ seine Telefonnummer. Er tauchte dann auch zu den Öffnungszeiten des Infoladens auf. Seiner Ansicht nach stünde die Situation in der Stadt kurz vor einer Eskalation der Gewalt und darüber wollte er mit uns reden. Unser Interesse wäre es gewesen, an Informationen zu kommen; aus diesem Grund haben wir selbst noch ein weiteres Treffen mit ihm initiiert. Da hat sich dann herausgestellt, daß er uns im Sinne der Deeskalation zur Einstellung unserer Öffentlichkeitsarbeit bewegen wollte, woraufhin wir den Kontakt abgebrochen haben.

AIB: Wie haben die SozialarbeiterInnen Euch gegenüber ihre Arbeit dargestellt? Und wie ist ihr Umgang mit Kritik, die es ja sicherlich gegeben hat?

Clemens: Eine Diskussion über ihre Arbeit war von ihrer Seite ausdrücklich nicht gewollt. Die Darstellung ihrer Arbeit war immer sehr ungenau, erwähnt wurden nur einige wenige Programmpunkte wie Fußballtraining oder Ausflüge, wohl deshalb, weil er uns keine Angriffspunkte liefern wollte. Uns ist zum Beispiel bekannt, daß es auf diesen Ausflügen immer wieder zu rassistischen und neonazistischen Übergriffen kam. Kritik wurde erst überhaupt nicht angehört, denn schließlich sei nicht das Sozialarbeiterprojekt Thema unseres Treffens, sondern die Situation vor Ort. Und da wurde dann sogar ganz schnell der Spieß herumgedreht, indem uns die Verantwortung für die Situation in die Schuhe geschoben wurde.

AIB: Wie schätzen die SozialarbeiterInnen selbst ihre Arbeit ein?

Clemens: Der Sozialarbeiter, mit dem wir uns unterhalten haben denkt, daß zum Teil Erfolge erzielt werden. So wird der Wegzug und das Aussteigen von Neonazis als ihr Erfolg bewertet. Auf der anderen Seite mußte er jedoch einräumen, daß sie die Neonazis überhaupt nicht im Griff haben. Anfang 1997 war in seinem Beisein nur ein Thema für die Neonazis relevant: »Wie bekommen wir die Autonomen aus der Stadt ?« Er macht ihnen wohl schon klar, daß er zur Anzeige verpflichtet ist, wenn in seinem Beisein Straftaten geplant werden. Allerdings ist es auch so, daß er, nach eigener Darstellung, den Raum verläßt, wenn ihn die Neonazis dazu auffordern.

AIB: Was für einen Anspruch hat er Eurer Ansicht nach an seine Arbeit?

Clemens: Er betrachtet das Sozialarbeit-Projekt als Beitrag gegen »Rechtsextremismus«.

AIB: Ist im Verhalten von Polizei und Justiz gegenüber den Neonazis eine Veränderung im Vergleich zu früher zu bemerken?

Clemens: Die Frage können wir so nicht beantworten, da uns Informationen dazu fehlen, wie die Situation früher war. Allerdings ist bekannt, daß sich einige Polizisten mit den Neonazis duzen. Ein Polizist hat im Zusammenhang mit den Fotografier-Aktionen der Neonazis um den linken Infoladen herum wohl auch mal fallengelassen, daß er es okay findet, wenn Neonazis Dateien von Antifas erstellen. Bei ihren Aktionen gab es Absprachen mit der Polizei, was uns dann vorgehalten wurde, weil wir ja nicht gesprächsbereit seien. Über einen bestimmten Zeitraum gab es wohl auch kontinuierliche Treffen und Gespräche zwischen Neonazi-Skinheads und Polizisten. Ein erklärtes Ziel der akzeptierenden Sozialarbeit ist ja auch, eine Vermittlerrolle zu übernehmen und sich für die »Schützlinge« einzusetzen, und das haben auch die Saarlouiser SozialarbeiterInnen praktiziert.

Der alternative "3.Welt-Laden" hier, dessen Scheiben immer wieder eingeworfen wurden, wurde so z. B. umgestimmt und sah von einer Anzeige gegen die Neonazis ab. Von Seiten der SozialarbeiterInnen werden Aktionen mit ganz klar politischem Charakter verharmlost, wenn nicht sogar unterstützt, z.B. der Aufmarsch »Gegen Gewalt, für mehr Akzeptanz jugendlicher Subkulturen« vom 23. März 1996 in Saarlouis hatte im Vorfeld klar sozialarbeiterische Züge. Das Motto wollte sich im Nachhinein der Anmelder selbst ausgedacht haben. Die SozialarbeiterInnen waren bei diesem Aufmarsch vor Ort und sahen zu, wie die drei Strophen der Nationalhymne gesungen wurden. Später im Gespräch mit uns meinte der eine: »Besser sie marschieren, als daß sie Häuser anzünden«.

AIB: Und wie verhalten sich die Stadtobersten?

Clemens: Zwischen Saarlouis Oberbürgermeister Hans-Joachim Fontaine (CDU) und Peter St. gab es 1997 ein Gespräch. Kurze Zeit später ließ Fontaine verlautbaren, daß die Neonazi-Skinheads Räume bekommen würden. Das Projekt wird aber nicht nur von der CDU, sondern von allen Stadtratsparteien getragen und für gut befunden. Seine Alibifunktion ist von Bedeutung, denn nach dem Brandanschlag 1991 soll das Image der Ausgeh- und Einkaufsstadt Saarlouis keinen Schaden nehmen. So wird auch konsequent geleugnet, daß Saarlouis im südwestdeutschen Raum eine neonazistische Hochburg ist.

AIB: Jetzt sag doch mal was zu linken Gruppen in Saarlouis und dazu, wie der lokalpolitische Umgang mit diesen Gruppen ist.

Clemens: Linke Gruppen gibt es hier im Prinzip kaum; im weiteren Sinne gehören wohl die Jusos im Unterbezirk Saarlouis dazu und der Ausländerbeirat. Dies waren auch die einzigen politischen Strukturen, die sich gegen den Neonaziaufmarsch vom 23 .März 1996 geäußert haben. Mit diesen beiden Gruppierungen haben wir punktuell zusammengearbeitet und positive Erfahrungen gemacht. Dann gab es ein knappes Jahr den "Infoladen Bambule". Der entstand aus der Antifa heraus, die sich nach dem Neonaziaufmarsch vom März 1996 gründete. Den Raum haben wir dann im Sommer 1996 bekommen, und der Infoladen eröffnete im Oktober 1996. Der Infoladen war eingebunden ins »Kommunikationszentrum Saarlouis« (KOMM), dessen Trägervereins-Vorstand derzeit stark von den Bündnis-Grünen dominiert wurde.

AIB: Was hat sich an der lokalpolitischen Situation oder am Umgang mit dem Infoladen oder anderen linken Projekten wann / wie verändert?

Clemens: Zunächst hatten wir als Infoladen keine Probleme wir waren einfach da. Politisch hat der KOMM-Vorstand aber nie für uns Stellung bezogen, sondern eher Angst gehabt, der Infoladen könnte dem Ruf des lokalpolitisch umstrittenen KOMMs schaden. Die ersten Reaktionen gab es anläßlich der antifaschistischen Aktionstage in Saarlouis im Oktober 1996. Hier liefen mehrere Veranstaltungen im Infoladen bzw. im KOMM. Eine Veranstaltung mit einem Referenten des DISS thematisierte die Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen und ging auch auf die Hintergründe dieser Projekte ein. Das war überhaupt kein direkter Angriff auf das örtliche Projekt, rief aber trotzdem heftige Reaktionen hervor. Seitdem gab es von Seiten der Polizei immer wieder die Gesprächsversuche mit uns. Seit dem Frühjahr 1997 hatten wir verstärkt Streß mit Peter St. und seinen Kameraden, die immer wieder vor dem KOMM auftauchten und uns abfotografierten. Daß uns das störte, stieß allseits auf völliges Unverständnis. Stattdessen wurde unser antifaschistischer Selbstschutz zum Anlaß für acht Ermittlungsverfahren gegen Antifas genommen, von denen nach unserem Wissen erst eines eingestellt ist. In der Folgezeit wurde uns von Seiten des KOMM-Vorstandes mit dem Rausschmiß gedroht, wenn wir uns nicht auf Verhandlungen mit der Polizei einlassen würden. Namentlich fielen uns dabei zwei grüne Lokalpolitiker, die um den Ruf der Grünen und des KOMM fürchteten, in den Rücken. Der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Landtag, Hubert Ullrich, erklärte den Gesprächsversuch mit uns für gescheitert. Wir rechneten von da an jeden Tag mit dem Rausschmiß. Für den 14. Juli war eine Veranstaltung über die NPD-Jugendorganisation gemeinsam mit der Autonomen Antifa Heidelberg im großen Saal des KOMM geplant. Als bei Plakatankündigungen der Inhalt der Veranstaltung bekannt wurde, wurde uns trotz vorheriger Zusage die Nutzung des großen Saals untersagt, woraufhin die Veranstaltung im viel zu kleinen Infoladen stattfinden mußte. Später wurde z.B. in der Kommunalpresse dann immer von einer verbotenen Veranstaltung gesprochen. Der Angriff von Neonazis auf Besucherinnen der Veranstaltung, die sich auf dem Nachhauseweg befanden, wurde, abgewehrt. Der Verein SBS e.V. reagierte mit der Kündigung der Räume im Juli 1997.

AIB: Vielen Dank für das Gespräch.