Farbbeutel gegen den "Henker von Milano"
Zum 54. Jahrestag des Massakers auf dem Piazzale Loreto, dem 9. August 1998, hielten deutsche AntifaschistInnen aus verschiedenen Städten eine Kundgebung vor dem Haus des früheren SS-Hauptsturmführers Theodor Saevecke in Bad Rothenfelde ab. Sein Haus wurde mit Parolen und Farbbeuteln »verziert« und Scheiben eingeworfen. Gleichzeitig verteilten die AntifaschistInnen Flugblätter, sangen Partisanenlieder und es wurde ein Redebeitrag für die Nachbarn des »ehrbaren Mörders« gehalten.
In dieser Rede grüßten die AntifaschistInnen die Kundgebung auf dem Piazzale Loreto in Milano, die Überlebenden und Angehörigen, die jüdischen Gemeinden, den Verband der Deportierten ANED, den Partisanenverband ANPI und die antifaschistische Öffentlichkeit Italiens.
Den "Henker von Milano« zur Verantwortung ziehen
In einer Erklärung schrieben die AntifaschistInnen nach der Kundgebung: »Die Linke in Deutschland hat es versäumt, die Nazimörder aus den Ämtern, Polizeirevieren und Machtstellungen zu vertreiben. Eine Zeit der selbstorganisierten Bestrafung durch die Widerstandsbewegung wie in Frankreich, Holland, Italien, Luxemburg und Belgien hat es nicht gegeben. Die ehemaligen Widerstandskämpfer und Überlebenden des Holocaust mußten, gerade noch aus den Zuchthäusern und Vernichtungslagern entkommen, mit ansehen, wie die Mörder und Naziverbrecher wieder schnell an den Schalthebeln der Macht in allen gesellschaftlichen Bereichen saßen. Wir deutsche AntifaschistInnen haben viel zu spät aus der Nachwirkung des Nazismus und seinem Weiterleben in der Gesellschaft der BRD politische und praktische Schlüsse gezogen. So waren es vor allem jüdische AntifaschistInnen, die in eigener Regie versuchten, die Naziverbrecher zur Verantwortung zu ziehen.«
Der »Henker von Milano« - eine deutsche Karriere
Die braune Karriere von Theodor "Theo" Saevecke begann 1927, als er mit 16 Jahren in die rechte "Schilljugend" des "Freikorps" eintrat. Später folgte sein Eintritt in die SA, und mit 18 Jahren war er bereits Mitglied der NSDAP. Er wurde Polizeibeamter in Berlin und in Posen Leiter des dortigen Mordkommissariats. 1942 reiste er als Verbindungsmann der SS nach Libyen zur italienischen Kolonialpolizei. Im selben Jahr wurde er Vizechef eines SS-Einsatzkommandos in Tunesien. 1944 lobte man ihn, »mit großem Erfolg die Judenfrage im tunesischen Raum bearbeitet zu haben«. Der in Mailand stationierte SS-Standartenführer Walter Rauff, der »Erfinder des Gaswagens« holte ihn in dieser Zeit zum "Sicherheitsdienst" (SD). In Mailand war er dann von 1943 bis 1945 Chef des SD-Außenkommandos und leitete die Razzien, Verhaftungen und Folterungen italienischer JüdInnen und Widerstandskämpferinnen.
So wurden z.B. dem jüdischen Flüchtling Erich Wachtor auf Anordnung von Saevecke 26 Zähne ausgerissen, da er versteckte JüdInnen nicht verraten wollte. Er beteiligte sich auch daran, von den jüdischen Gemeinden 50 Millionen Francs und 43 Kilogramm Gold zu erpressen. Gleichzeitig wurden die Deportationen von 1.200 JüdInnen und fast tausend WiderstandskämpferInnen in die deutschen Vernichtungslager in Saeveckes Dienststelle in Mailand organisiert.
Am 10. August 1944 ließ er in einer Vergeltungsaktion 15 politische Gefangene auf der Piazzale von Loreto erschießen und die Leichen zur Abschreckung tagelang in der Sonne liegen. Es war deswegen kein Zufall, daß die Partisanen die Leiche des italienischen Faschistenführers Mussolini zu diesem Platz nach Mailand brachten.
Vom CIA zum BKA
1945 wurde Saevecke zwar von den amerikanischen Truppen vorläufig verhaftet, aber schon kurze Zeit später in die Dienste des amerikanischen Geheimdienstes CIA aufgenommen. Für Theodor Saevecke den CIA war er dann von 1949 bis 1951 in Berlin tätig. Von hier aus stieg er rasch in die Sicherungsgruppe Bonn und in das Bundeskriminalamt (BKA) auf. Sein sog. Spezialgebiet war die Bekämpfung des »Hoch- und Landesverrates« in der BRD. Auf diesem Posten konnte er nun wieder hochoffiziell Kommunistinnen verfolgen. 1962 leitete er auf Befehl von Franz Josef Strauß zusammen mit Friedrich Buback die verdeckten Aktionen gegen das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Der Angriff auf die Pressefreiheit und die illegalen Verhaftungen von SpiegelredakteurInnen in Spanien unter dem Vorwand des Landesverrates führten damals zu weltweiten Protesten. Aber auch nach der öffentlichen Enthüllung von Saeveckes Vorgeschichte kam es zu keinerlei Anklagen gegen Saevecke in Deutschland. 1971 konnte er in aller Ruhe in den Ruhestand treten.
Nun versucht ein Militärtribunal in Turin ein letztes Mal, den »Henker von Milano« zur Verantwortung zu ziehen. Angehörige der Opfer und der Partisanenverband treten als Nebenkläger auf. Saevecke fühlt sich sicher, er weiß, daß ein Deutscher nicht ausgeliefert werden darf. Gegenüber der Presse höhnt er, ein Deutscher würde niemals freiwillig vor das Gericht in Turin gehen. Rückendeckung bekam er nach der Antifa-Aktion nun auch von führenden lokalen Politikern.Der Hasberger CDU-Landtagsabgeordnete Georg Schirmbeck zeigte sich empört darüber, daß »Gleiches mit Gleichem« (!) vergolten werde: »Wir leben schließlich in einer zivilisierten Gesellschaft im christlichen Abendland. Blutrache gibt es bei uns Gott sei Dank nicht«. Der Bad Iburger SPD-Kreistagsabgeordnete Nazih Musharbash erklärte, Urteile über Saevecke, seien »allein Sache der Justiz«. Musharbash: »Ich bin über diese Tat erschüttert. Es geht nicht, daß einfach zur Selbstjustiz gegriffen wird.«
»In dem Augenblick, in dem wir Auschwitz vergessen, ist es wieder da.« (Primo Levi)
Die AntifaschistInnen beendeten ihre Erklärung mit der Aufforderung an alle AntifaschistInnen, die Zeit zu nutzen, Überlebende persönlich kennenzulernen und deren Angehörige zu unterstützen: »Die Erfahrungen der Überlebenden des Holocaust und der Widerstandskämpferinnen werden uns in den kommenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sehr fehlen. Ihre Erzählungen und Erinnerungen bleiben aber für alle Zeit eine wichtige Waffe im Kampf gegen Faschismus und Rassismus und gegen Menschenverachtung überall auf der Welt«.