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(Neo-)Nazi-Kongreß in Chile

Nachrichtenpool Lateinamerika
Einleitung

»Wir huldigen dem Germanengott Odin, wir sind die Weißen des Südens. Lasst uns aus Chile das mythische Land machen, von dem wir träumen.«

Die rechte Skinhead-Gruppe Al Sur del Mundo (Im Süden der Welt) macht keinen Hehl aus ihrer Ideologie: »Ehre, Treue und Rassenstolz sind die Grundlage unseres nationalsozialistischen Denkens.« Das Pamphlet endet mit der Ankündigung, im Süden Lateinamerikas eine »Nationalsozialistische Internationale« zu gründen. Was wie eine Provokation fantasierender Neonazi klingt, nimmt in Chile konkrete Formen an: Mehrere Neonazigruppen und einige rechte Intellektuelle planen am 20. April 2000 in der Kordillere unweit der Hauptstadt Santiago einen »Internationalen Nationalsozialistischen Kongress« abzuhalten (Vgl. AIB Nr. 48).

Zuerst schlugen jüdische Organisationen Alarm, nun fürchtet auch die chilenische Regierung um das Image des Landes. Hinzu kommt die Angst vor einer unheilvollen Allianz, die Recherchen zufolge hinter dem geplanten Treffen steht: Drahtzieher sollen neben Neonazis und rechten Skinheads auch deutsche Altnazis und deren Angehörige sein, die nach 1945 in den deutschen Kolonien Südamerikas Zuflucht fanden und im Schutz der dortigen Diktaturen ihre nationalsozialistische Ideologie pflegten.

Bild: Screenshot von YouTube.com

Der Buchautor Miguel Serrano ist Führer des esoterischen Flügels der chilenischen Neonazis.

Lokale Neonazis und deutsche Altnazis ziehen die Fäden

Mittlerweile intensiviert Chiles extreme Rechte ihre Aktivitäten rund um den geplanten Kongress: Im Juli diesen Jahres ließ der bekannte Neonaziführer Alexis Lopez bei der Wahlbehörde eine neue Partei namens Nueva Sociedad (Neue Gesellschaft), kurz NS, eintragen. Begleitet von Pfiffen und Buhrufen bahnte sich Alexis Lopez den Weg durch die knapp Hundert Demonstranten vor der Wahlbehörde in Santiago de Chile. Junge Männer in schwarz mit kahlgeschorenem Kopf begleiteten ihn. »Ihr seid gegen die Meinungsfreiheit, ihr wisst gar nicht, was wir wollen« antwortete Lopez den Protestierenden.

Die fragwürdigen Parteigründer haben nun sieben Monate Zeit, 25.000 Unterschriften zu sammeln, um ihr Ziel zu erreichen: Als legale politische Partei geniessen Initiatoren wie Teilnehmer des Neonazi Kongresses laut Verfassung besonderen Schutz. Damit ist die Regierung von Christdemokrat Eduardo Frei in der Zwickmühle: Ein von NS organisierter Kongress kann nicht verboten werden. Dennoch erklärt die Regierung, sie wolle alle juristischen Mittel ausschöpfen, um das Neoazitreffen zu verhindern. Alle Parteien in Chile verwehren sich der Nenoazi-Präsenz in ihrem Land und fordern wie die israelische Botschaft, die Neoazipartei nicht zuzulassen. Inzwischen sprach sich auch das Parlament mit nur drei Gegenstimmen für eine Verhinderung des Kongresses aus, woraufhin Präsident Eduardo Frei eigens für diesen Fall eine Kommission berief.

Die Zielstrebigkeit der chilenischen Neonazis überrascht. Aktivitäten und Übergriffe von Neonazis sind in der Region bislang eine Randerscheinung. Zwar werden in Argentinien und Chile immer wieder jüdische Friedhöfe geschändet, im Süden Brasiliens machen hellhäutige Neonazi-Skinheads Jagd auf Homosexuelle und schwarze Einwandererinnen aus dem Norden. In Uruguay machte im Januar eine Gruppe Nationales Kommando 1889 (Hitlers Geburtsjahr) mit drei Bombenattentaten Schlagzeilen. Lediglich das Internet, seit geraumer Zeit bevorzugter Kommunikationsmittel der Neonazis, konnte die Zunahme rechter Aktivitäten in der Region bisher eindeutig festgestellt werden. Immer mehr Web-Seiten mit antisemitischen und NS-verherrlichenden Inhalten, die Südamerika als neuem Eldorado für Nationalsozialisten preisen, machen den Behörden Sorge. »Die Zahl solcher Gruppen wächst, und ihre Aktivitäten werden seit einigen Jahren professioneller«, warnt das Simon Wiesenthal Zentrum in Buenos Aires. Experten gehen von 2.000 aktiven Neonazis und noch mal so vielen Sympathisanten allein in Chile aus.

Wie überall scheuen die Nazis auch in Chile das Licht der Öffentlichkeit, nur wenig ist über ihre Verbindungen zueinander bekannt. Doch zu einem Stelldichein kommen viele alljährlich zusammen: Die braune Szene feiert am 20. April Hitlers Geburtstag. Mit dabei ist u.a. Alexis Lopez, Herausgeber der Zeitschrift Pendragon, sowie Vertreter der rechten Skinhead-Gruppen AI Sur del Mundo und Corporation Ecologia Nueva Era, denen die Durchführung des Treffens im kommenden Jahr obliegt; Erwin Robertson, Direktor der Zeitschrift Ciudad de los Césares (Stadt der Kaiser), die ähnlich wie die Junge Freiheit das Image eines Intellektuellen-Organs anstrebt. Gerne kommt auch Miguel Serrano, Führer des esoterischen Flügels der Neonazis. In seinen Büchern, die in viele Sprachen übersetzt wurden, leugnet er nicht nur den Holocaust; Serrano entwickelt ein wirres Konstrukt von Symbolen und Mythen, die von der Wiedergeburt Hitlers bis zur Vision eines »neuen, reinrassigen Chiles« reichen. Serrano hielt nicht nur vor zehn Jahren die Hauptrede bei einer Neo- und Altnazifeier zu Hitlers 100stem Geburtstag in Chile. 1984 kondolierte er am Grab des nach Chile geflüchteten Kriegsverbrechers Walter Rauff, der in Nazi-Deutschland für den Tod von 97.000 Menschen in den sogenannten Tötungswagen verantwortlich zeichnete. Unbehelligt konnte Rauff in Chile leben, die Pinochet-Diktatur schützte ihn vor seinen Verfolgern. Auch die Deutschensiedlung Colonia Dignidad in Südchile, in der der Geheimdienst DINA ein Folterlager unterhielt, ist ein Beispiel für die verhängnisvollen Verstrickungen von Altnazis und bestimmten südamerikanischen Eliten.

Eine andere Spur zu den Hintermännern des internationalen Nazikongresses führt in den Süden Chiles und in die Vergangenheit. Die kleine Stadt Osorno, 700 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago, ist nach Ansicht des chilenischen Geheimdienstes der Knotenpunkt, von dem aus Neonazischriften vertrieben und internationale Kontakte gehalten werden. Hier, so lassen die spärlichen Indizien vermuten, finden sich Organisatoren und Finanziers des Neonazitreffens, unter ihnen alte Herren, die schon in Nazideutschland Karriere gemacht haben. Osorno liegt in einer idyllischen Landschaft, umgeben von tiefen Wäldern, Seen und Vulkanen. Wenn die schneebedeckten Kegel hinter den Wolken verschwinden, fühlt man sich hier wie im Schwarzwald. Wohl deswegen siedelten im vergangenen Jahrhundert viele Deutsche in dieser Gegend, die sie sich nur mit den wenigen Mapuche-Indigenas teilen mussten. Noch heute prägen ihre Nachfahren Kultur und Alltag in Städten wie Puerto Montt oder Valdivia. Allerorten gibt es »Kuchen« (Mehrzahl: Kuchenes) zu kaufen, viele Menschen sprechen bis heute die deutsche Sprache. Nach 1945 kamen andere Deutsche in diese Gegend, Kriegsverbrecher, denen es gelang, der alliierten Justiz zu entwischen. An die 50.000 NS-Täter, so die Schätzungen, kamen über die sogenannte Rattenlinie von Deutschland über Österreich, Italien und den Vatikan bis zum Hafen Genua, wo sie sich Richtung Latein- und Südamerika einschifften. Nazigrößen wie Adolf Eichmann, Joseph Mengele, Walter Rauff und Klaus Barbie konnten sich so, oft mit Hilfe des Roten Kreuzes und sympathisierender katholischer Bischöfe, einer Strafverfolgung entziehen. Unterschlupf fanden sie in Brasilien, Paraguay oder Bolivien, die meisten jedoch gingen nach Chile und Argentinien. Besonders beliebt war das argentinische Bariloche, eine Andenstadt, die für ihre Skigebiete und Schokoladenproduktion bekannt ist. Wie viele Nazis hier noch versteckt sind, wissen nicht einmal die israelischen Nazijäger, die 1960 Adolf Eichmann in Buenos Aires aufspürten und in Jerusalem vor Gericht brachten. Zuletzt wurde Mitte Juli dieses Jahres bekannt, dass der SS-Offizier Herbert Habel hier seit vielen Jahren unbehelligt lebt. Auch Juan Maier, Schriftsteller und Eigentümer des gleichnamigen Verlages, lebte in Bariloche. Sein wirklicher Name ist Reinhold Kopps. Bis 1945 war er bei der deutschen Abwehr, dem NS-Geheimdienst, tätig. Später arbeitete er für die »Rattenlinie«, bevor er selbst nach Argentinien floh, das damals vom Hitler-Bewunderer Juan Peron regiert wurde. Das Wiesenthal-Zenturm verdächtigt Kopps, bei Erschießungen in Albanien beteiligt gewesen zu sein.

Kopps ist bis heute ein Naziaktivist. Seine Schriften richten sich gegen Freimaurer und Juden, unumwunden bekennt er sich zum Nationalsozialismus. Anfang der 90er Jahre berichteten deutsche Zeitungen über seine guten Kontakte zu hiesigen Neonazis. Eng verbunden ist Kopps auch mit dem Godenau Verlag, der seine Bücher in Deutschland vertreibt. Der in Hessen lebende Roy Armstrong-Godenau, der mit dem 1982 wegen terroristischer Aktivitäten verurteilten Manfred Roder zu den Führungsfunktionären der deutschen Neonaziszene zählt, dient Kopps zudem als Verbindungsmann für seine dubiosen Geldgeschäfte. Als 1994 der Kriegsverbrecher Erich Priebke in Bariloche festgenommen und nach Italien ausgeliefert wurde, floh Reinhold Kopps aus dem Schweinwerferlicht ins chilenische Osorno. Nach Erkenntnissen der Polizei richtete Kopps, alias Juan Maier, hier sein neues Aktionszentrum ein. Bekannt ist, dass Bücher seines Verlages in Bariloche gedruckt, noch Osorno geschafft und vor dort aus auch nach Europa, insbesondere Italien und Deutschland, vertrieben werden. Einige dieser Schriften sind hier wegen ihres rassistischen Inhalts verboten. Unter der chilenischen Militärdiktatur von 1973 bis 1990, die teilweise faschistische Züge trug, gedieh in den deutsch besiedelten Gebieten um Osorno auch der braune Sumpf.

Ehemalige Wehrmachtsangehörige und SS-Leute, die nicht in die Kategorie der Kriegsverbrecher fielen, gründeten Verbände und bauten ihren politischen wie wirtschaftlichen Einfluss aus. Die Vermutung, sie propagierten aufs neue ihre alten Ideale, weisen sie weit von sich: »Wir treffen uns, gedenken der alten Zeit und pflegen unsere Freundschaft« so ein Sprecher der Exildeutschen. Jetzt versuchen diese Kreise, jene Saga mit Leben zu füllen, derzufolge der Nationalsozialismus in den Anden Südamerikas dereinst neu entstehen werde.