Schweden: Geht der Terror weiter?
Ein Artikel der schwedischen Antifazeitung EXPOMitte April verurteilte ein Stockholmer Gericht drei Tatbeteiligte an der Ermordung des Gewerkschafters Björn Söderberg. Die Anklage gegen Hampus Hellekant (24), Jimmy Niklasson (21) und Björn Lindberg-Hernlund (23) lautete auf Mord. Alle drei waren Mitglieder der Nationalen Jugend/Schwedischer Widerstand, einer in Stockholm ansässigen Organisation des früheren White Aryan Resistance (WAR/VAM)-Führungskaders Klas Lund.
Die VAM war eine Naziterrorgruppe, die in direkter Kontinuität zum Konzept des »führerlosen Widerstands« und der in den »Turner Tagebüchern« propagierten und in den 80er Jahren aktiven us-amerikanischen Naziterrorgruppe The Order stand. Aufgrund schlampiger Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft konnte keinem der drei Angeklagten die tödlichen Schüsse nachgewiesen werden. Stattdessen wurden Hampus Hellekant (später Karl Svensson) und Björn Lindberg-Hernlund zu sechs Jahren und Jimmy Niklasson zu viereinhalb Jahren Haft wegen »Beihilfe zum Mord« verurteilt.
Björn Söderberg wurde zur Zielscheibe der Nazis, als er bei einer neuen Anstellung zum Arbeitskollegen von Robert Vesterlund wurde, einer Schlüsselperson der schwedischen Anti-AFA. Vesterlund war nicht nur Gewerkschaftsmitglied, sondern wurde auch noch zum Vertrauensmann gewählt. Söderberg, Mitglied der syndikalistischen Gewerkschaft, war über die Infiltration der Gewerkschaften durch Nazis sehr besorgt. Er trat erst an die lokale Gewerkschaft heran und ging schließlich an die Öffentlichkeit. Der darauf folgende Skandal führte zur Entlassung Vesterlunds. Die mutmaßlichen Mörder Söderbergs sind enge Verbündete von Vesterlund, Hellekant gehört zur Anti-AFA, die »politische Feinde« ausspioniert. Auch die Staatsanwaltschaft ging von einem Racheakt gegen Söderberg aus. Die polizeilichen Ermittlungen vermuteten, dass Vesterlund über die Mordpläne zumindest informiert war. Interessanterweise standen die drei Angeklagten am Tag des Mordes unter strenger polizeilicher Überwachung.
Das Trio gehörte zu den Hauptverdächtigen für den Bombenanschlag auf den antifaschistischen Journalisten Peter Karlsson und dessen achtjährigen Sohn im Sommer 1999. Die Autobombe war für Karlsson und seine Frau Katarina gedacht, die seit einigen Jahren gemeinsam der White-Power-Industrie mit diversen Enthüllungen ernsthafte Probleme bereiteten. In den Wochen vor Söderbergs Ermordung blieb der Polizei nicht verborgen, dass die drei Nazis Söderbergs Wohnhaus auskundschafteten. Am 3. Oktober beobachtete sie die drei beim Betreten des Hauses; sie vermutet nun, dass dies ein erster, gescheiterter Mordversuch war. Am 12. Oktober, dem Tag des Mordes, wurden die drei ebenfalls observiert, die Polizei behauptet, damals nicht von einer tatsächlichen Lebensgefahr für Söderberg ausgegangen zu sein. Nur 22 Minuten vor der Schießerei wurde die Observation beendet. Die Mörder warteten auf den Gewerkschafter und erschossen ihn im Treppenhaus. Eine Zeugin, die das Geschehen weitgehend durch den Türspion verfolgte, hat in den Monaten vor dem Prozess etliche anonyme Drohungen erhalten und steht unter strenger Polizeibewachung. Dem Autopsiebericht zufolge wurde Söderberg aus zwei verschiedenen Waffen erschossen. Welche zwei der drei Angeklagten tatsächlich geschossen haben, konnte das Gericht aber nicht feststellen.
Angesichts fehlender Geständnisse und Mordwaffen, stand der Prozess von Anfang an auf wackligen Füßen. In anderer Hinsicht allerdings war die Ausgangslage gut belegt. Hampus Hellekant, ehemaliger Jurastudent und nun Computerexperte, ist seit Jahren begeisterter Nazi und hat bereits einige Nazi-Internetseiten kreiert. Auf seinem PC wurde eine Liste »politischer Feinde« gefunden, und er hat sich erwiesenermaßen am Auskundschaften von Söderberg beteiligt. In Jimmy Niklassons Haus wurde außerdem Munition der Art gefunden, mit der Söderberg erschossen wurde. Und am Tatort war ein Handschuhabdruck, der Handschuhen in Niklassons Besitz entspricht. Die Ermordung Söderbergs steht am Ende einer Reihe von terroristischen Übergriffen durch Nazis im Jahr 1999.1 Im Mai wurden die Polizisten Olof Boren und Robert Karlstrom nach einer Schießerei mit drei Nazi-Bankräubern bei einem Dorf südlich von Stockholm mit Kopfschüssen aus ihren eigenen Waffen regelrecht hingerichtet. Die Mörder waren Tony Olsson (bereits wegen Beteiligung an einem versuchten Auftragsmord verurteilt), Jackie Arklöv (bereits als Kriegsverbrecher als kroatischer Söldner im Bosnienkrieg zu lebenslänglich verurteilt, aber nach den Friedensverhandlungen nach Schwedenausgeliefert) und Andreas Axelsson (ein Nazi-Intellektueller und Herausgeber des Stormpress-Magazins). Olsson war ehemals Komplize der aufgelösten Naziorganisation Reichsfront, während Axelsson ein hochrangiges Mitglied der National Sozialistischen Front (NSF) ist. Jackie Arklöv, Sohn eines euro-afrikanischen Paares, war trotz seiner Herkunft NSF-Aktivist. Alle drei wurden zu lebenslanger Haft verurteilt.
Im gleichen Prozeß wurde Olssons Freundin, eine Armeeangehörige, sowie vier weitere Nazis, die Teil der Gruppe waren, die als NRA – vermutlich die National Revolutionäre Armee – bekannt ist, wegen Beihilfe ebenfalls zu Haftstrafen verurteilt. Die Übergriffe der Nazis und die Themen ihrer Propaganda haben 1999 eher das politische Establishment angegriffen – Journalisten, Polizei, Gewerkschaften und Lokalpolitiker – als die »üblichen« Opfer. Im April 2000 wurde bekannt, dassschwedische Neonazis Feindlisten mit Namen, Passbildern und persönlichen Angaben von mehr als 1.000 Menschen angelegt haben. Die meisten der Betroffenen sind wegen Äußerungen gegen Neonazis auf die Listen gekommen. Bemerkenswert war weiterhin die Zunahme an antisemitischer Propaganda. Öffentlich bekannt wurde u.a. der Angriff auf den berühmten jüdischen Dirigenten Ilja Stupel, der vor den Augen seiner 13jährigen Tochter zusammengeschlagen wurde. Dieser Übergriff war Höhepunkt einer langjährigen Hetzkampagne gegen Stupel, die von der örtlichen Polizei ignoriert worden war. Als Ergebnis des zunehmenden Nazi-Terrors fanden eine Vielzahl antifaschistischer Aktivitäten in verschiedenen Spektren in Schweden statt. So taten sich die vier größten Zeitungen Schwedens in einer unüblichen Aktion zusammen. Am 30. November 1999 veröffentlichten alle den selben Bericht, in dem Namen und Gesichter der 60 gefährlichsten Nazis in Schweden und der führenden Nazi-Ideologen offen gelegt wurden. Diese Aktion erntete ausgesprochen breite Zustimmung.
- 1Im Juni 1999 wurden der Journalist Peter Karlsson und sein Sohn von einer Autobombe in Stockholm verletzt. Zwei Tage später verletzte eine ähnliche Autobombe zwei Polizisten in Malmö. Die Ermittlungen konzentrierten sich in Malmö auf eine Gruppe von Hells Angels mit lockeren extrem rechten Verbindungen. Obgleich der Fall ungelöst ist, sollte festgehalten werden, dass der Anschlag eine Woche nach dem Racheschwur von Blood & Honour wegen Polizeirazzien in Dänemark stattfand. Kurz nach Söderbergs Ermordung wurde durch das Wohnzimmerfenster von Kurdo Baksi, Herausgeber von Black&White/Expo-Magazine, ein Schuss abgefeuert.