Handbuch Rechtsradikalismus
Gute Gesamtdarstellungen der bundesdeutschen extremen Rechten gibt es nur wenige. Viele Bücher scheitern an dem Anspruch und dem Umfang des Themas. Hierin reiht sich leider das »Handbuch Rechtsradikalismus« ein, das im vergangenen Herbst im Verlag Leske & Budrich erschienen ist. Die Herausgeber Bernd Wagner und Thomas Grumke, beide Mitarbeiter des Berliner Zentrum für demokratische Kultur, wollten einen »umfassenden Überblick über den gegenwärtigen deutschen Rechtsradikalismus in all seinen ideologischen und organisatorischen Facetten und Ausformungen« vermitteln. Ein gewaltiger Ansatz, der leider nicht umgesetzt wurde. Der Band vereinigt fünfzehn Fachartikel und rund 250 Seiten Profile von Organisationen und Aktivisten der extrem rechten Szene. Ein Großteil der Fachartikel scheint schon bei der Drucklegung veraltet gewesen zu sein. Eine Bebilderung fehlt durchgängig, worunter vor allem der Beitrag zu Symbolen leidet. Bei einigen Autoren fällt unangenehm auf, dass sie sich zwar in der Sekundärliteratur über die rechte Szene auskennen, eine eigene Recherche oder neue Erkenntnisse jedoch nicht ersichtlich sind. Der Beitrag von Sven Pötsch zu rechtsextremer Musik fällt in diesem Sinne besonders negativ auf. Positiv hervorzuheben sind dagegen die Beiträge von Renate Bitzan oder Michael Minkenberg. Insbesondere fällt hier auf, wie unterschiedlich die Herangehensweisen und Begrifflichkeiten der AutorInnen sind. Die Mitte der Gesellschaft, die die Herausgeber ausdrücklich beleuchten wollten, taucht kaum auf. Die Begriffe Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus werden, entgegen der Definition im Vorwort, beliebig und unscharf verwendet. Diese Mängel treten im Lexikon besonders deutlich zu Tage. Wer oder was in den Profilen Platz bekam, scheint an der Menge des verfügbaren Materials aus Internet oder Sekundärquellen gelegen zu haben. Ein Abbild des bundesdeutschen Rechtsradikalismus ist das nicht. Etliches ist veraltet, anderes fehlt. Es fehlt die national-konservative Rechte – also das klassische Brückenspektrum –, es gibt keine Einschätzung zu extrem rechten Burschenschaften – immerhin einer der aktivsten Bereiche der organisierten extremen Rechten –, und Gruppen der völkischen Jugendarbeit gibt es für die Herausgaber des Buches seit der Wiking Jugend offenbar auch nicht. Vertriebenenverbände? Fehlanzeige. Wer annimmt, die Profile des »Handbuch Rechtsradikalismus« beleuchten die wesentlichen »Personen – Organisationen – Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft«, der wird also einige Überraschungen erleben - und einen falschen Eindruck bekommen. Viele Profile können sich nicht zu eindeutigen Aussagen darüber durchringen, ob eine Organisation »rechtsradikal« oder neofaschistisch ist. Die Einschätzungen sind im Gegenteil von Vermutungen durchzogen. Das zeigt, dass auch hier der Quellenstand nicht sehr aussagekräftig gewesen sein kann. Fazit: Wer einen guten Überblick über die bundesdeutsche extreme Rechte sucht, muss sich weiter gedulden. Oder die guten Bücher lesen, die zu einigen Spektren vorliegen.
Thomas Grumke, Bernd Wagner (Hrsg.)
Handbuch Rechtsradikalismus
ISBN 3-8100-3399-5
Leske + Budrich
Opladen 2002