Stalingrad und kein Zurück
Wahn und Wirklichkeit
Die apologetische Literatur über Stalingrad im Zweiten Weltkrieg ist Legion. Sie reicht von Offizierserinnerungen bis zu Landserheften. Die Stalingradschlacht jährt sich in diesem Jahr zum sechzigsten Mal. Entsprechend breit war die publizistische Aufmerksamkeit schon vor dem eigentlichen Jahrestag. Dabei ist in Radiosendungen und Fernsehdokumentationen der Versuch einer Entpolitisierung des Geschehens erkennbar. Im Mittelpunkt der Deutungen steht das Schicksal des einfachen deutschen Soldaten im Kessel von Stalingrad. Damalige politisch-ideologische Hintergründe der Schlacht und heutige geschichtspolitische Dimensionen bleiben sowohl in einer Sendereihe des Deutschlandfunks als auch in einer ARD-Dokumentation weitgehend ausgespart. Das neue Buch des Berliner Historikers Kurt Pätzold rückt die sekundären medialen Reproduktionen des Stalingradmythos zurecht. Anschaulich erläutert Pätzold noch einmal die zentrale Bedeutung der Eroberung Stalingrads für die deutsche Wehrmachtsführung. Dieser ging es Ende 1942 darum, mit der Eroberung der Wolgastadt Stalingrad der Roten Armee die Nachschubwege abzuschneiden und das Tor für die Ausbeutung der Ölfelder von Baku zu öffnen. Pätzold skizziert aber nicht nur schlüssig die deutsche Kriegszielpolitik der Wehrmachtsführung. Ausführlicher als diese bespricht der Autor die Mechanismen und Wirkungen der spezifischen Opfergang-und Erlösungspropaganda, die recht bald nach der Einkesselung der 6. Armee sowohl in Deutschland als auch an der Front einsetzte. Bis zuletzt trug die Generalität die militärische Vorgabe Hitlers, Stalingrad zu halten, propagandistisch und faktisch mit. Schließlich wendet sich Pätzold der Analyse der ideologischen Indienstnahmen der Schlacht um Stalingrad nach dem Krieg zu. Das Buch ist als Ergänzung zu übergreifenderen Standartwerken, etwa von Wette oder Messerschmidt, gut lesbar.
Pätzold, Kurt
Stalingrad und kein Zurück: Wahn und Wirklichkeit
Militzke Verlag Leipzig; 206 S. 17,90 Euro