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Am Ende doch ein Sieger

Lars Freitag (Gastbeitrag)
Einleitung

Erinnerung an die Shoa ist nicht nur Ritual, sondern derzeit Deutschlands beste Strategie sich der jüdischen Opfer zu entledigen. Im Dezember wurde die letzte Stele des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas gesetzt. Sie ist der vorerst abschließende Schritt in der rot-grünen Reise durch die Vergangenheit, die am 9. Mai 2005 ihren mutmaßlichen Höhepunkt finden wird: Gerhard Schröder gedenkt an diesem Tag zusammen mit dem russischen Präsidenten Putin der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus und macht die Bundesrepublik am sechzigsten Jahrestag der Niederlage zu Siegerin über die Geschichte.

Wieso gerade ein sozialdemokratischer Kanzler jene Gesten der selbstbewussten Normalisierung in Siebenmeilenstiefeln vollzieht, die alle Repräsentanten des postnationalsozialistischen Deutschlands vor ihm nicht einmal zu denken gewagt hätten, hängt auch mit der heutigen, sich in den letzten zehn Jahren fulminant gewandelten, Erinnerungskultur zusammen. Deren Generationen- und Perspektivenwechsel - die selbst Begriffe wie »Vergangenheitsbewältigung« zur Historie werden lies - kennzeichnet sich nicht mehr durch die reflexhafte Schuldabwehr samt apologetischen Unterton sondern agiert weitaus »skeptischer« und »sensibler« im Umgang mit dem nationalen Gedächtnis, als die identitären und Deutschland als »normale« Nation gerierenden Ansätze aus früheren Tagen.

Heute wird die moralische wie finanzielle Anerkennung der Schuldfrage durchaus eher mit ja beantwortet als plump verweigert, heute beliefert man Israel, als Staat der überlebenden Jüdinnen und Juden wie selbstverständlich mit U-Booten zur notwendigen Selbstverteidigung, heute wird der klassische Antisemitismus offiziell geächtet und selbst sekundäre Chiffren von Judenhass problematisiert. Die Deutschen also eine »geheilte Gesellschaft«?

Mitnichten. Die Anerkennung darüber, dass 60 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz so intensiv über Shoa und Nationalsozialismus geredet wird, wie wahrscheinlich noch nie, dass selbst »wirkliche« Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Geschichte stattfindet, die vor Betroffenheit nur so trieft, kommt erstens sechzig Jahre zu spät - denn die Opfer haben nichts mehr davon - und ist zweitens trotzdem vorrangig funktional.

Denn als zentrale Kategorie des »modernen« zivilgesellschaftlichen Erinnerns erscheint neben der eigenen Partizipation die vorgebliche Verhinderung von Leid. Der vernunftkritische Kategorische Imperativ der Frankfurter Schule »Alles dafür zu tun, dass sich Auschwitz nicht wiederhole« ist dabei durchaus in der gesellschaftlichen Deutung angekommen, wird allerdings ergänzt: Mit Hilfe der »Anthropologisierung von Leid«, dem Ausblenden des spezifischen Charakters, erscheint die Shoa zunehmend universalisiert.

»Flucht und Vertreibung« der Deutschen werden mittels einer dem Holocaust entnommen Bildsprache in dessen Nähe gerückt, dehistorisiert und im schlimmsten Falle gar mit diesem identifiziert. In diesem theoretisch durchaus fundierten und konfliktös daherkommenden Diskurs wirken die Einbeziehung von kollektivem Gedächtnis, Trauma- und Zeitzeugenforschung sowie der Auseinandersetzung mit den lieux de memoire zwar nicht mehr als Felder einer  »vitalen Verdrängung«, mit einer Erinnerung, die den Opfern gerecht wird, hat sie allerdings genauso wenig zu tun.

Wenn das Holocaust-Mahnmal Anfang Mai mit »seinem asketischem Reiz«, »seinem eigentümlichen Anmut« und der »außergewöhnlichen Detailqualität der Bauführung« 1 eröffnet wird, hat es Deutschland geschafft. Erinnerung an und Befreiung von den ermordeten Jüdinnen und Juden in einem, so ließe sich die Leistung funktionalen Gedächtniseinsatzes beschreiben.

Das, was für die Moral des Holocaust gehalten wird, universalisiert und pluralisiert sich jenseits des historischen Geschehens von Auschwitz. Um inflationäre wie substanzlose Gesten ist man dabei nie verlegen. In Wirklichkeit aber ist das »methodische Vermeiden« und die wohlfeile Moral des allgegenwärtigen Erinnerns bereits ein großer Schritt zu einem sich des Gedenkens bemächtigenden Vergessens, in dem Jüdinnen und Juden zur Statisterie verkommen.

Lars Freitag ist Redakteur der »Phase 2 - Zeitschrift gegen die Realität« www.phase-zwei.org

  • 1FAZ v. 12. Juli 2004