»Diese verdammte Ohnmacht«
Bettina Röder (Gastbeitrag)»Und wo bleiben die Polizisten mit ihren seelischen Nöten, wenn sie einen Menschen abschieben müssen?« Johannes Kölbel, den jungenhaft wirkenden Pfarrer aus dem brandenburgischen Schwante, hat diese Frage bewegt. Lange Jahre in der Ausländerarbeit engagiert und als guter Seelsorger bekannt, wollte er sich »auf den schmalen Grat begeben und auf die andere Seite gehen«.
Das hatte der in der solidarischen Kirche engagierte Theologe in der Friedensarbeit der Kirchen in der DDR gelernt: Dass diese Welt nur dann menschenwürdiger, sprich: friedlicher wird, wenn man versucht, sich in die andere Seite zu versetzen. Wenn man also auch um ihre Nöte und Probleme weiß. Und so bewarb er sich Anfang dieses Jahres um eine bei der Bundespolizei ausgeschriebene Stelle als Spezialseelsorger. »Wir kennen keinen Besseren«, lautete die ausdrückliche Empfehlung von Eduard Berger, dem Beauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die Seelsorge in der Bundespolizei.
Doch es sollte anders kommen. Das Datum hat sich Johannes Kölbel gemerkt. Es war der 16. Juni 2006. Da wurde Eduard Berger nebst dem zuständigen Militärdekan ins Bundesinnenministerium einbestellt. Und die Herren dort teilten mit, dass sie »ein riesiges Problem« mit dem Personalvorschlag der Kirche hätten. Mit anderen Worten: Das Innenministerium wollte entscheiden, wer ein guter Seelsorger ist. Johannes Kölbel jedenfalls sollte keiner sein. Der Hintergrund: Die Kirche von Schwante, in der er seit 15 Jahren Pfarrer ist, hatte vor drei Jahren dem vietnamesischen Familienvater Ha und seinem fünfjährigen Sohn Kirchenasyl gewährt. Das machte bundesweit Schlagzeilen, weil es erstmals in Deutschland durch eine Polizeidurchsuchung in kirchlichen Räumen gebrochen wurde. Und drei Jahre später bekam Johannes Kölbel keine Chance, sich selbst im Innenministerium vorzustellen und sich zu verteidigen. Auch weil die Kirche nicht widersprach. Dabei war der Vorwurf ebenso absurd wie abenteuerlich: Es sei kein richtiges Kirchenasyl gewesen, weil die Gemeinde nicht beteiligt war, hieß es.
Das Gegenteil war der Fall. »Der gesamte Gemeindekirchenrat stand hinter dem Kirchenasyl«, sagt Simone Tetzlaff, Referentin für Flüchtlinge im Kirchenkreis Oranienburg. Sie hat das von Anfang an begleitet. Alle von der EKD bestimmten Richtlinien wurden eingehalten, die Landeskirche wie auch der Landkreis laufend informiert. Jeder Schritt fand in enger Abstimmung mit der Gemeinde statt. Dass die zuständigen kirchlichen Verbindungsleute der EKD nach den Vorwürfen gegen Kölbel vonseiten des Bundesinnenministeriums nicht selbst nachgefragt, vor allem aber die Betroffenen nicht angehört haben, findet sie den eigentlichen Skandal. »Die haben eins zu eins ohne Rückfrage die falsche Behauptung des Innenministeriums übernommen. Auf welcher Grundlage läuft da eigentlich die Zusammenarbeit?«, fragt sie sich. Das alles zeige, dass sie in der Ausländerarbeit auch an so wichtigen Stellen wie derjenigen des Seelsorgers für den Polizeischutz keine kritischen, wachen Geister wie Johannes Kölbel haben wollen. Aber welche Rolle bitteschön, sagt sie, spielt da eigentlich Kirche?
Teilerfolge
Wie dringend allerdings genau diese Menschen gebraucht werden, zeigt ihr gerade das Kirchenasyl für Herrn Ha und seinen kleinen Sohn. Es hat ihnen möglicherweise das Leben gerettet, auf alle Fälle viel Not erspart. Die Familie wäre längst auseinandergerissen, ein Teil in Vietnam. Nun ist sie auf der sicheren Seite. Denn Herr Ha, sein Sohn und seine Frau, die durch die Probleme nervenkrank geworden war, leben und arbeiten nun in Hennigsdorf und fallen unter das neue Bleiberecht. Der Preis dafür war hoch. Damals durchsuchte die Polizei in den frühen Morgenstunden die Wohnung des Pfarrers einschließlich des Schlafzimmers, in dem Kölbels Frau krank im Bett lag. Es war einen Tag vor dem Abschiebetermin des vietnamesischen Vaters Huan Ha und seines fünfjährigen Sohnes Minh. Gerettet hat die beiden, dass sie nicht zu Hause waren. Wie auch ein sofort anberaumtes Gespräch zwischen Landesregierung und evangelischer Kirche. Johannes Kölbel, der immer auf Dialog mit den zuständigen Behörden gesetzt hatte, hatte es mit initiiert, Bischof Wolfgang Huber, so sagt er heute, eine wichtige Rolle gespielt.
Kirchenasyl ist Zeitaufschub
Dabei ist das Kirchenasyl für Johannes Kölbel wie für den Bischof und andere Amtskollegen, die darauf zurückgreifen, alles andere als ein Rechtsbruch. Und zwar besonders dann nicht, wenn es sich – wie im Fall Schwante – an die dazu von der evangelischen Kirche herausgegebenen Richtlinien hält.
»Kirchenasyl«, sagt der Berliner Pfarrer Jürgen Quandt, »ist ja nichts anderes als ein Zeitaufschub, damit alle in Betracht kommenden rechtlichen, sozialen und humanitären Gesichtspunkte geprüft werden können.« Im Klartext: Es ist eine Christenpflicht. Quandt, als Gründer der Kirchenasylbewegung mit dem Georg-Elsner-Preis ausgezeichnet, hat viele Menschen als Seelsorger begleitet.
Dass das Kirchenasyl für die Unversehrtheit von Menschen unabdinglich ist, dazu sprechen die Zahlen Bände. Im letzten Jahr wurden bundesweit 24 Kirchenasyle beendet. Immerhin 21 davon waren erfolgreich. Das heißt, die Prüfung hatte ergeben, dass eine Abschiebung gegen die hierzulande geltenden Grundrechte verstoßen hätte. Insgesamt gewährten 32 evangelische Gemeinden, drei katholische und drei freikirchliche wie ökumenische Netzwerke 122 Menschen Zuflucht, darunter 62 Kinder und Jugendliche. Einigen davon bis heute.
Für die kurdische Familie Yildrim aus Koblenz allerdings war alles zu spät. Die beiden Eltern und die zehn, sieben und fünf Jahre alten Kinder, allesamt in Deutschland geboren, wären unter die neuen Bleiberechtsregeln gefallen. Zumal der Initiativkreis der Gemeinde für den Vater in einem nahegelegenen Kloster eine Arbeitsstelle gefunden hatte. Ihre Bitte an die Ausländerbehörde, die für den 10. Oktober anberaumte Abschiebung bis zur Innenministerkonferenz auszusetzen, um deren Entscheidungen noch berücksichtigen zu können, fand kein Gehör. Also entschieden sich Pfarrer und Gemeinde fürs aufschiebende Kirchenasyl. Doch am Reformationstag um 6.30 Uhr umstellte die Polizei die Kirche, nachdem sie das katholische Pfarrhaus durchsucht hatte. Dem Pfarrer drohte man an, die Kirchentüren aufzubrechen, falls er Widerstand leistete. Über der Sakristei schlief die Familie. Der Seelsorger »durfte« sie allein wecken, ihnen die Unglücksbotschaft überbringen. Dann holte das Polizeikommando – etwa 30 Beamte waren im Einsatz – die wehrlose Familie aus dem kleinen Schutzraum, in dem sie notdürftig kampierte. Eltern und Kinder wurden in die bereitstehenden Polizeiautos gebracht.
Jürgen Rathmann vom Koblenzer Unterstützerkreis vergisst die Bilder von diesem frühen Morgen nie: verzweifelte Kindergesichter hinter vergitterten Polizeiautofenstern, die Frau, die sich verzweifelt mit ihrem Schal an eines der Autos angebunden hatte. Und vor allem: »Niemand konnte Auf Wiedersehen sagen.« Gegen 8.30 Uhr war die Aktion beendet, um 13 Uhr saß die Familie im Flugzeug in die Türkei. Dort wurde Ali Yildrim, der Vater, noch auf dem Flughafen verhaftet und anschließend gefoltert. Der gelernte Bauer war aus der Türkei geflohen, weil er sich geweigert hatte, in seinem Dorf als Dorfschützer eingesetzt zu werden. Eine Art türkischer Staatssicherheitsmann, der seine kurdischen Landsleute überwachen sollte.
Für die Ausreise aus Deutschland hatte man ihm 10.000 Euro geboten. »Ich verkaufe meine Ehre nicht«, hatte er gesagt. Nun steht sein Leben auf dem Spiel. Er ist vor dem Strafgericht Diyarbakir, dem berüchtigtsten in der Türkei, angeklagt. Der Initiativkreis hat zu Menschenrechtsorganisationen Verbindung aufgenommen, um ihm zu helfen. Die Mutter ist mit den Kindern bei der Großmutter untergebracht; in diesen Tagen werden die Kinder eingeschult, ohne die türkische Sprache zu beherrschen. »Gelebt habe ich noch nie«, hat die Frau einmal zu Rathmann gesagt. Immerhin, der Trierer Bischof Reinhard Marx hat sich inzwischen mit der Familie solidarisiert. Aber ansonsten, so der langjährige Siemens-Mitarbeiter Rathman, fehle die breite Unterstützung durch die Kirche für all das. »Diese verdammte Ohnmacht«, fügt er hinzu.
Der Artikel erschien erstmals in der Zeitschrift Publik Forum Nr. 23
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