»Politik ist ihnen einfach fremd«
Als Reaktion auf einen Bericht über ein Berliner Chapter des Motorradclubs Gremium im AIB 73 haben wir ein längeres Gespräch mit Michael Ahlsdorf, Herausgeber der BIKERS NEWS geführt.
BN: Ihr berichtet seit Jahrzehnten regelmäßig über die Neonazi-Szene. Ich bewundere euch, wie gut ihr informiert seid.
AIB: Wir versuchen so dicht dran wie möglich zu sein. Wir besuchen Tattoo-Studios, lesen die BIKERS NEWS, oder wir fahren auch auf Treffen. Aber ich muss erstmal was klären: Es kommt hoffentlich nicht so bei euch an, dass wir ein Problem mit der Rocker-Szene haben. Das haben wir überhaupt nicht. Rocker waren nie unser Thema. Bisher gab es kaum Schnittmengen zwischen Rockern und Neonazis. Erst seit Ende der 1990er Jahre ist uns aufgefallen, dass Schnittmengen entstehen.
BN: Schnittmengen in Subkulturen. Das ist doch gleich eine gute Einleitung für unser Gespräch.
AIB: Die Biker-Szene ist ja keine homogene Masse. Die Schnittmengen betreffen einzelne Chapter. Gerade in Ostdeutschland sind in einigen MC-Chaptern anscheinend Berührungsängste gefallen. Es sind Leute, die wir aus der Neonaziszene jahrelang kennen, in MC-Chaptern aktiv geworden.
BN: Für uns wäre nun das genauere Ergebnis eurer Recherchen in der Biker-Szene interessant.
AIB: Es gibt natürlich schon lange MCs am Rande der Szene, bei denen man sich streiten kann, ob die überhaupt zur Biker-Szene gehören. Das sind Neonazi Rocker-Clubs. Die Berliner Vandalen zum Beispiel fahren zwar keine Motorräder, treten aber mit Rockerhabitus auf. Neu ist aber, dass auch einzelne Chapter von großen Biker-Clubs Neonazis aufgenommen haben. Das sind die Fälle, mit denen wir uns auseinander setzen.
BN: Ist das was, das ihr überwiegend hier in Berlin beobachtet, oder habt ihr das über ganz Deutschland beobachtet?
AIB: Ja, in Ostdeutschland tritt das vermehrt auf, in Berlin ist es auch ausschließlich Ostberlin. Aber es gibt auch in Westdeutschland solche Schnittmengen, zum Beispiel in Mannheim. Da werden in Clubhäusern Konzerte mit bekannte Neonazibands organisiert.
BN: Die Mannheimer Geschichte können wir auch beim Namen nennen. Die Bandidos dort kenne ich persönlich, ich war auch bei der Clubhauseröffnung zu Gast. Und eines vorweg: Der Bandidos MC hat die »Biker gegen Rechts«-Aktion, die wir zusammen mit Lesern in die Wege geleitet hatten, vor vielen Jahren mitgemacht. Dass in Mannheim tatsächlich Nazimucke gespielt wurde, möchte ich jetzt mal vorsichtig erklären. Es hatte vielleicht was mit zu viel Ambitionen zu tun. Die Mannheimer Bandidos hatten nämlich sehr große Ambitionen, ihr Clubhaus zu einer Begegnungsstätte für Musikgruppen aller Art zu machen. Aber viele Musikgruppen haben wiederum Berührungsängste mit Rockern. Und so hatten die Bandidos ausgerechnet die genommen, die sich angeboten hatten.
AIB: Ich habe ein paar mal Neonazikonzerte besucht. Selbst, wenn man es vorher nicht weiß – aber wenn es einmal stattgefunden hat, dann sieht wirklich der letzte, worum es da geht. Das sollte dann kein zweites oder drittes Mal stattfinden.
BN: Gut, ein zweites Mal sollte es nicht stattfinden. Meines Wissens hat es auch nur einmal stattgefunden. Und ich weiß, wie viele Schlagzeilen das prompt in der bürgerlichen Presse gemacht hat. Ich kenne die Jungs halt selbst, und ich kann ihnen keine nazistischen Ambitionen unterstellen. Die Mannheimer wollten Musikgruppen haben, und da haben welche »Hier« gerufen und dummerweise waren das Nazis. Die Bandidos sind aber auch keine Linken, weil sie bei der Aktion »Biker gegen Rechts« mitgemacht haben. Politik ist ihnen einfach völlig fremd, wie den meisten MCs. Das ist für sie eine ganz andere Baustelle.
AIB: Wir würden auch nie von irgendeinem Club oder gar der ganzen Szene behaupten, dass sie rechts wäre. Es geht wirklich nur im einzelne Chapter. Wir haben immer das Gefühl, dass unsere Kritik für mehr Unmut sorgt, als das Problem an sich oder ist es einfach nur eine normale Reaktion, zu sagen: »Wir regeln das auf unsere Weise, und wir sind so eine geschlossene Gemeinschaft.« Das ist okay, aber dann müssen wir das schreiben, was wir sehen, wie zum Beispiel auch beim Berliner Chapter vom Gremium.
BN: Ich bin schlichtweg nicht autorisiert, darüber zu sprechen. Ich weiß, dass im Osten einige MC-Mitglieder aus der Neonazi-Szene kommen. Die bringen ihre Emblematik möglicherweise auch noch mit, kahlgeschoren sind sie sowieso, aber das sind auch viele Biker im Westen, und ich war es auch. Ich habe jedenfalls noch nicht erlebt, dass diese Ehemaligen in den MCs noch politisch aktiv gewesen wären.
AIB: Darum geht es uns ja in Berlin beispielsweise gar nicht. Aber wir kennen einen Club, der seit Jahren Treffpunkt der rechten Szene ist. Da spielten neben »Grauzonen Bands«, auch Neonazi-Bands. Ein MC eröffnet nun ein Chapter in Berlin und ausgerechnet der Club, wird deren Clubhaus, es behält den Namen und die gleichen Betreiber. Da lassen wir auch nicht mit uns reden, dass das kein Neonazi-Club wäre. Sind die jetzt plötzlich Rocker geworden und haben mit der Neonaziszene nichts mehr zu tun? Die Rocker-Szene bietet dann natürlich auch Schutz.
BN: Die Antwort hattest du schon selbst gegeben: Ein Mitglied ist ein Bruder, und der zählt mehr als alles andere. Aber du hast recht, es gibt natürlich eine Schmerzgrenze, und die bestimmen die Medien. Hier ist natürlich zwischen seriöser Berichterstattung und schlagzeilenträchtigen Rufmorden zu unterscheiden. Das ist dann vielleicht auch eure Aufgabe, und vielleicht verrichtet ihr sie in der Hinsicht sogar ganz richtig. Sobald irgendwas dieser Art nämlich Schlagzeilen macht, dann reagieren auch die Clubs, denn das bringt ihnen womöglich weitere Polizeikontrollen und Razzien ein.
AIB: Wir glauben ja auch nicht, dass der Gremium MC ein rassistisches oder neonazistisches Projekt ist, und die anderen Clubs schon gar nicht. Aber gerade aktuell wieder ein Beispiel ein bedeutsamer Neonazi-Versandhändler, stand gerade wegen seiner Geschäfte in Dresden vor Gericht. Und der trat bei seinem Prozess in Kutte an. Der hat nicht gesagt, dass sei Vergangenheit und er ist jetzt Rocker. Es gibt sicher einige Neonazis, die über die Rocker-Szene aussteigen. Aber bei den Einzelfällen, die wir thematisieren, sehen wir auch einen aktuellen Handlungsbedarf.
BN: Na gut, mit der Nennung von Ausnahmen drehen wir uns im Kreis. Ich kenne nicht die ganze Biker-Szene persönlich. Wenn ihr gegebenenfalls Alarm schlagt, ist auch das okay. Politik steht in den meisten Fällen jenseits jeder Biker-Ideologie.
AIB: Unpolitisch wäre es, keine Affinitäten nach rechts zu haben. Sich gegen Neonazis, die Mitglieder sind, nicht zu positionieren, ist auch ein politisches Statement. Klar, vielleicht ist die Biker-Szene weder links noch rechts, aber es gab oder gibt doch unausgesprochene Standards, die verhindern, dass sie in eine falsche Richtung marschiert. Wir haben ja auch eine gemeinsame Basis, um uns mit den meisten gemeinsam an einen Tisch zu setzen.
BN: ...und nun haben auch wir an einem Tisch gesessen. Einigen wir uns darauf, dass es aufzupassen gilt. Vielleicht trägt auch die Veröffentlichung dieses Gesprächs dazu bei.