Der radikale Afrikaaner-Nationalismus in Südafrika
Die Geschichte des Afrikaaner-Nationalismus in Südafrika, der 1948 in die Apartheid mündete ist sehr vielschichtig. Seine Entwicklung war nicht gradlinig und von Rückschlägen geprägt, welche geradezu symptomatisch für viele nationalistische Bewegungen sind.
Um Verwirrungen zu vermeiden, ist eine genaue Definition der hier verwendeten Begriffe erforderlich. Die burische weiße Bevölkerung wird als »Afrikaaner« bezeichnet. Orthographisch ist das falsch geschrieben, denn in Afrikaans werden die Buren als »Afrikaner« beschrieben. In der historischen Forschung hat sich die Schreibweise »Afrikaaner« jedoch durchgesetzt, um sich deren Implikation, sie seien die »wahren« Afrikaner, zu entziehen. Ein Großteil der Historiker sieht das Aufkommen des Afrikaaner-Nationalismus als die Folge einer schweren Krise, welche das Gebiet Südafrikas Ende des 19. Jahrhunderts erschütterte. Der verlorene Burenkrieg 1899-1902 war für viele Afrikaaner ein einschneidendes Erlebnis und bot in der Folgezeit den Nährboden für den burischen Nationalismus.
Miroslav Hroch hat mit seiner Untersuchung zu Nationalismen kleiner Völker Europas ein Modell entwickelt, welches der Fachautor Christoph Marx für geeignet hält, auch den Afrikaaner-Nationalismus zu strukturieren. Danach wird die Entwicklung von Nationalismus in drei aufeinander folgende Phasen unterteilt. Phase A, in der sich Teile der Intelligenz mit der kulturellen Tradition und nationalen Geschichte der eigenen Gruppe beschäftigen, hier die große Sprachbewegung, die nach dem Burenkrieg einsetzte. Die Phase B, in der die nationalistische Agitation beginnt und sich deren Anhängerschaft sozial erweitert, dividiert sich in Südafrika in zwei Teile. Der erste Teil beginnt mit der Gründung der Nationalen Partei (NP) 1914, die die Gleichberechtigung der Sprache Afrikaans in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellte. Daran schließt sich der zweite Teil etwa Ende der 20er Jahre an, der durch einen Aufbau eines organisatorischen Netzwerkes, wie etwa der Gründung des Afrikaner Broederbondes 1918, gekennzeichnet ist. Die Phase C, in der der Nationalismus eine Massenbewegung wird, ist in Südafrika durch das Aufkommen der Ossewabrandwag (OB) gekennzeichnet.
Grundlagen
Die Entstehungsbedingungen des Afrikaaner-Nationalismus sind vor allem im Hinblick auf das Verhältnis von Buren und Briten zu betrachten, welches nach dem Burenkrieg nicht diffiziler hätte sein können. 1910 wurde aus vier südafrikanische Kolonien von dem britischen Empire, die südafrikanische Union gegründet. Dies geschah gegen den Willen der Mehrheit der Afrikaaner, hatten sie doch keine acht Jahre zuvor für ihre Autonomie von dem britischen Empire gekämpft. Nun wurden ihre Provinzregierungen entmachtet, da sich die Union auf eine zentralistische von Engländern dominierte Regierung stützte. Die Verbesserung des burisch-britischen Verhältnisses war daher eine wichtige Aufgabe dieser ersten gewählten südafrikanischen Regierung unter dem Premierminister Louis Botha von der South African Party (SAP) – einen ehemaligen Burengeneral. Den Buren war die Zugehörigkeit zum britischen Empire ein Dorn im Auge, was sich beim Eintritt in den Ersten Weltkrieg auf Seiten Großbritanniens zeigte. Südafrika marschierte im Oktober 1914 in Deutsch-Südwestafrika ein, was unter den Buren für weitreichende Empörung sorgte, da sie den Deutschen traditionell freundschaftlich gegenüberstanden. Ein Teil der südafrikanischen Truppen, die auch aus vielen Buren bestand, revoltierte oder lief über.
Sprachbewegung
Afrikaans war anfangs nur eine orale Sprache, die mit der Siedlungszeit in der südafrikanischen Region entstand. Erst im 19. Jahrhundert entwickelte sie sich zur Schriftsprache. Ursprünglich wurden unter dem Begriff »Afrikaaner« alle Weißen subsumiert, die Südafrika als ihre Heimat ansahen. Um 1870 wurde dieser erstmals ethnisiert und änderte somit seine Bedeutung. Fortan verstand man unter diesen Begriff weiße, afrikaanssprechende, protestantische Südafrikaner, was beispielsweise Engländer und Juden ausschloss. Um diese Zeit setzte eine neue Sprachbewegung ein, die die Erhaltung und den Ausbau von Afrikaans zum Ziel hatte, und die unter anderem die Gründung privater christlich-nationaler Schulen oder zahlreicher Vereine zur Förderung der afrikaansen Sprache hervorbrachte. Motoren dieser Bewegung waren vor allem Intellektuelle, die wirtschaftlich und sozial von einer Anglisierungspolitik bedroht waren. Der Erfolg dieser Sprachbewegung war nicht unbeträchtlich. 1918 wurde Niederländisch als Schulsprache durch Afrikaans ersetzt und sieben Jahre später wurde die Zweisprachigkeit eingeführt. Fortan war Afrikaans neben Englisch die zweite Amtssprache in Südafrika.
Die Frage der Republik
Der ehemalige Burenkriegsgeneral und das Regierungsmitglied James Barry Hertzog (SAP) setzte sich für ein unabhängiges Südafrika ein, zerwarf sich dadurch mit Premierminister Botha und wurde aus der Regierung ausgeschlossen. 1914 gründete Hertzog die Nationale Partei (NP). Dies war die erste Partei, die sich ausschließlich für die burischen Belange einsetzte. Nachdem aus der südafrikanischen Union 1926 mit dem Commonwealth-Status ein eigenständiger Staat wurde erklärte Hertzog, sein Ziel erreicht zu haben. Viele seiner Anhänger waren darüber verärgert, sie hielten den Commonwealth-Status nur für eine Etappe auf dem Weg zur autonomen südafrikanischen und burischen Republik. Das war die Ausgangslage für eine Radikalisierung des Afrikaaner-Nationalismus.
Radikalisierung
Hatte die traditionell rassistische Struktur des Landes bisher ausgereicht, den Weißen Südafrikas bessere Ausgangsbedingungen als der schwarzen Bevölkerung zu garantieren, warf die vielerorts einschneidende Industrialisierung neue Probleme auf. Politisch nahm man die zunehmende weiße Verarmung mit Sorge wahr, zumal sich in den schwarzen Slums der Städte immer mehr Weiße ansiedelten. Eine Reaktion darauf war der sog. »Native Act« von 1923, der die Städte in weiße und schwarze Wohnviertel aufteilte. Ein weiteres Element war die gesetzliche Festschreibung der schon gängigen Praxis der »job reservation«, wo bestimmte Arbeiten nur Weißen vorbehalten waren. Die Unzufriedenheit der burischen Bevölkerung mit ihrer Lebenssituation trieb viele zu der Nationalen Partei. 1924 ging die NP ein Wahlbündnis mit der Labourpartei ein und erzielte damit die Regierungsmehrheit. 1929 konnte die NP erstmals die Mehrheit im Parlament erringen, und war mit 75 von 148 Sitzen und durch Hertzog als Premier vertreten. 1934 fusionierten SAP und NP miteinander, zur »United Party« (UP) unter Hertzog als Premierminister und Jan Smuts als sein Stellvertreter. Zwei Gruppen spalteten sich daraufhin von der neuen UP ab, unter anderen die »Gereinigte Nationale Partei« (GNP) unter dem calvinistischen Pastor Daniel François Malan.
Folgte Hertzog mit seiner »two-stream-policy« einem politischen Nationsbegriff, nachdem alle Weißen, also auch die englischsprachigen, zu einer Nation Südafrika dazugehörten, sah Malan die afrikaanssprachigen weißen Buren als die einzig wahren Südafrikaner an. Die GNP erlangte bei den Wahlen 1938 auf Anhieb 27 Sitze und sah sich somit als einzige Vertreterin des burischen Nationalismus. Den größten Erfolg feierte der Afrikaaner-Nationalismus mit der 100-Jahr-Feier zur Schlacht am Blutfluss vom 16. Dezember 1838 mit einer symbolischen Nachbildung des »Great Treks«. Begleitet von zahlreichen Gottesdiensten und kulturellen Veranstaltungen wanderten Hunderttausende in einem Sternmarsch mit traditionellen Ochsenwagen nach Pretoria.
Südafrika und der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
Der zweite Weltkrieg stellte die Regierung von Smuts und Hertzog vor der Entscheidung, ob Südafrika sich an dem Krieg beteiligen sollte. Die Mehrheit der Buren wollte zumindest neutral bleiben, da viele noch verhaftet in ihrem Hass auf das Empire Deutschland nicht den Krieg erklären mochten. Da sich Hertzog, der neutral bleiben wollte, und Smuts, der sich für eine Beteiligung aussprach, im Kabinett nicht einigen konnten, wurde die Entscheidung vom Parlament gefällt. Mit 80 zu 67 Stimmen entschieden sich die Abgeordneten für einen Kriegseintritt auf Seiten Englands. Das zwang Hertzog zum Rücktritt und er bildete mit seinem Teil der UP und Malans GNP eine Oppositionsfraktion. Smuts wurde mit einer Koalitionsregierung neuer Premierminister. Die burische Bevölkerung zeigte sich von ihrer Regierung enttäuscht und es entstand ein Vakuum, welches in der Folgezeit außerparlamentarische Kräfte, wie etwa die Ossewabrandwag (OB) auszufüllen wussten.
Die »Herenige Naisonale Party«
Nach dem Austritt aus der Regierung, gründeten der GNP-Führer Malan und Hertzog Ende Januar 1940 die »Wiedervereinigten Nationalen Partei« (HNP). Während der folgenden Kriegsjahre war sie es die den radikalen Afrikaaner-Nationalismus im Parlament vertrat. Sie kämpfte mit der OB lange um den Machtanspruch im Nationalistenlager und gewann schließlich die Oberhand. Viele Afrikaaner waren jedoch mit der unentschiedenen Haltung beider zur Republik unzufrieden und sahen in einem unabhängigen Südafrika eine bessere Ausgangsbasis, falls der Krieg zugunsten des Nationalsozialismus ausfallen sollte. Schon nach zehn Monate verließ Hertzog die Partei. Seine Anhänger gründeten daraufhin die »Afrikanerpartei« (AP) oder schlossen sich der Ossewabrandwag (OB) an. Die von Oswald Pirow gegründete »Neue Ordnung« (NO) trat für eine territoriale Rassentrennung des gesamten Kontinentes Afrika unter der Führung eines totalitären Südafrikas ein. Pirow bezeichnete sich selbst als Nationalsozialist und war nach Kriegsende eine wichtige Figur des internationalen Rechtsextremismus. Der damalige Führer der OB, Jan van Rensburg, stand Pirow ideologisch nahe, so dass er öffentlich eine Zusammenarbeit mit Teilen der HNP und auch ausdrücklich mit der NO anbot. Malan drängte Pirow sowie seine Anhänger daher zum Parteiaustritt.
Das Cradock-Abkommen und seine Folgen
Der rasche Aufstieg der OB veranlasste die HNP schon sehr früh, durch einen Beschluss die Terrains abzustecken, auf welchen sich jede Organisation bewegen sollte, dies geschah durch das »Cradock-Abkommen« von 1940. Die HNP sollte dabei auf parteipolitischen Feld agieren, während die OB sich mit gewaltlosen Mitteln, um alles nicht-politische, z.B. die Kultivierung der alten Traditionen oder den Schutz des Afrikaanertums kümmern sollte. Malan setzte sich hier augenfällig durch, da die Verpflichtungen der OB überwogen.
Der Zulauf der OB, die sich für einen Sieg Deutschlands aussprach, veranlasste die HNP sich zunehmend in ihrer Agitation faschistischer Ideologieelemente zu bedienen, warnten jedoch auch vor einer Abschaffung des Parlamentarismus in Südafrika, um ihre eigene Existenzberechtigung zu wahren. Um sich von der OB abzugrenzen, ging die HNP dazu über, die Zustimmung zum Nationalsozialismus der OB als »unafrikaanse Ideologie« zu brandmarken. Die HNP riskierte zu der damaligen Zeit viel, als sie sich von der OB, die unablässig wuchs, abwendete, aber ihre Taktik ging auf. Zu der HNP gab es keine Alternative, da die OB über zu wenig Handlungsspielraum verfügte und kein Freund des Parlamentarismus war. Die Konflikte innerhalb des Afrikaaner-Nationalismus gingen mit aller Schärfe bis 1943 weiter, da die beiden Organisationen nicht nur um dieselbe Wählergruppe buhlten, sondern die vielen Verflechtungen, die die öffentliche Abgrenzung erschwerten. Der Konflikt spielte sich jedoch nicht nur auf politischer Ebene ab, sondern zog sich auch durch viele Familien, zerstörte langjährige Freundschaften und sorgte sogar in afrikaansen Wirtschaftsunternehmen, wie bei dem Versicherungsunternehmen SANLAM, für Wirbel.
Wahlen
1943 führte die HNP einen alleinigen Wahlkampf und gewann bei der Parlamentswahl 16 Sitze hinzu. Die AP hatte keinen Sitz erringen können, Pirow war mit seiner NO gar nicht erst angetreten und die OB war mit diesem Zuwachs ebenfalls empfindlich getroffen. Bei der Wahl 1948 bot sie sich mit ihrem klaren rassistischen Apartheids-Programm all jenen an, die nach dem Krieg keine Arbeit fanden und eine stärkere »Rassenpolitik« forderten. Außerdem hatte sie 1947 mit der Afrikanerpartei (AP) vereinbart, sich im Wahlkampf gegenseitig zu helfen. Der Wahlausgang war knapp, aber die HNP gewann die meisten Stimmen und errang 70 Sitze im Parlament. Zusammen mit der AP, die neun Sitze bekam, bildete sie unter dem neuen Premierminister Malan eine Koalitionsregierung. Vier Jahr später fusionierten die Koalitionsparteien zur »Nationalen Partei« (NP) und konnten in den Folgejahren ihre Apartheidspolitik umsetzen. Trotz der Schwierigkeiten in den 40er Jahren, wo sie ihren Führungsanspruch innerhalb des Afrikaaner-Nationalismus zeitweilig von der OB in Frage gestellt sah, wurde die HNP zur mächtigsten Organisation des Afrikaaner-Nationalismus.
Außerparlamentarische Organisationen: Die Ossewabrandwag
Die OB wurde im Februar 1939 als Kulturbund gegründet. Sie trat als halbmilitärische Bewegung mit eigenen Flaggen und Uniformen in Erscheinung. Obwohl sie schon früh von der Regierung Smuts (UP) verboten wurde, wuchs die OB seit dem Kriegseintritt Südafrikas. 1941 gehörten ihr etwa 250.000 Buren an, insgesamt 25% der afrikaansen Bevölkerung. Sie propagierte einen populären Antiparlamentarismus und sah ihre Gegner vor allem in den Engländern und Juden. Als 1945 die deutsche Wehrmacht kapitulierte, wurden van Rensburg und die Anhänger des Nationalsozialismus völlig überrascht. Die eigentliche Legitimation als Widerstandbewegung hatte sie wegen dem Krieg gehabt. Viele Mitglieder, vor allem wohlhabende Farmer, traten aus. Sie fand ihre Klientel jetzt vorzugsweise auf dem Land und in den unteren sozialen Schichten. Der aufkommende Streit um die ideologische Ausrichtung der OB brach Ende der 1940er Jahre offen aus und führte in der verbleibenden Zeit zur einer Umwandlung in eine faschistische Bewegung. Die Ossewabrandwag existierte allerdings formell nur noch bis zum 10. September 1953 und wurde dann vom »Republikeinse Bond« abgelöst.
Trotz des Abgangs der OB von der politischen Bühne Südafrikas ist deren 14jährige Wirkungszeit nicht zu unterschätzen. Viele Buren wurden durch sie erst politisiert und die HNP profitierte in den folgenden Jahren immens von diesem Umstand. Der spätere Apartheidsstaat unter der Führung von Malans HNP wurde in ein nicht zu unterschätzenden Maß von OB-Vertretern mitgeprägt, deren Ideologieelemente sich problemlos in die Parteipolitik der HNP nach deren Wahlsieg 1948 einfügten.
Literatur:
· Marx, Christoph (1998): Im Zeichen des Ochsenwagens. Der radikale Afrikaaner-Nationalismus in Südafrika und die Geschichte der Ossewa-brandwag. Studien zur Afrikanischen Geschichte. Band 22. Münster: LIT.
· Hroch, Miroslav (1985): Das Erwachen kleiner Nationen als Problem der komparativen Forschung, in: H.A. Winkler (Hg.): Nationalismus. 2. erw. Aufl. Königstein: Althäneum. S. 155–172.