Logik des Terrors
Es ist nichts grundsätzlich Neues, trotzdem bedarf es besonderer Erwähnung und Beachtung: Die §129a-Ermittlungen gegen Linke erleben eine Renaissance – und sind doch anders.
Die Achse des Bösen: Hamburg-Berlin
§129a-Verfahren gegen Linke sind ein alter Hut. Fast vergessen. Doch jedes Mal lässt der schrille Klang der Ziffern-Wort-Kombination aufhorchen. Der laute Knall des Rammbocks gibt den Beat dazu vor. Gleich zwei terroristischen Vereinigungen ist die Bundesanwaltschaft auf der Spur: Circa 40 Wohnungen, linke Zentren und andere Objekte wurden am 09. Mai2007 in Berlin, Hamburg und Bremen durch insgesamt 900 Polizisten durchsucht. Siebzehn Beschuldigten wird die Gründung bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach §129a StGB vorgeworfen. Die »Militante Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel – G8 – 2007 in Heiligendamm« soll in den Jahren 2005 bis 2007 zwölf Brandanschläge in Berlin, Brandenburg, Hamburg und Niedersachsen verübt haben. Zweck der Vereinigung soll die Verhinderung des Gipfels gewesen sein. So sollen die Anschläge alle im thematischen Zusammenhang mit dem G8-Gipfel gestanden haben und unter wechselnden Gruppenbezeichnungen verübt worden sein.
Am 13. Juni 2007 wurden in Bad Oldesloe und Hamburg erneut elf Wohnungen und linke Projekte auf Betreiben der Bundesanwaltschaft durchsucht. Einige Tage später, am 19. Juni, kamen noch vier Objekte in Berlin hinzu. Wieder wird wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach §129a StGB gegen insgesamt 11 Beschuldigte ermittelt. Die Beschuldigten sollen in den Jahren 2002, 2004 und 2006 unter wechselnden Gruppenbezeichnungen, u.a. »AK Origami« vier Brandanschläge verübt haben. Die Anschläge von Glinde, Bad Oldesloe und Berlin hätten sich gegen Bundeswehrfahrzeuge und eine Rüstungsfirma gerichtet; seien also antimilitaristisch ausgerichtet gewesen.
Altes und Neues
In beiden Verfahren wird eine ähnliche Konstruktion verwendet. Es gibt jeweils einen thematischen Zusammenhang der Anschlagsreihen. Zudem gab es jeweils Anschläge gegen eine Firma in Hamburg bzw. Bad Oldesloe einerseits und Berlin andererseits. In beiden Verfahren wurde die Kette der Beschuldigten über das Bindeglied der Bekanntschaft mit anderen politisch aktiven Personen weitergeknüpft. Obwohl gegen keinen Beschuldigten konkrete Beweise vorliegen, entsteht allein aus diesen Anhaltspunkten die terroristische Vereinigung. Im Verfahren »AK Origami« wird die Beschuldigteneigenschaft teilweise sogar ausschließlich damit begründet, dass die Person mit anderen Beschuldigten bekannt ist und sich politisch zum Themenbereich der Anschläge engagiert hat.
Vor Gericht und auf hoher See...
Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung vorgegeben, dass tatsächliche Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit einer begangenen Straftat vorliegen müssen, um eine Durchsuchung bei einem Beschuldigten vorzunehmen. Dass solche tatsächlichen Anhaltspunkte in dem genannten Fall des »AK Origami« nicht gegeben sind, ist offensichtlich.
Darüber dürfte sich auch die Bundesanwaltschaft im Klaren gewesen sein. Dieses wiederum wirft die Frage auf, ob mit dem Verfahren nicht vielleicht eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung erreicht werden soll, um die Ermittlungsmöglichkeiten erheblich auszuweiten. Zudem könnte man meinen, dass es einen Vorstoß darstellt, um in den Zeiten der »Terrorbekämpfung« einen Frontalangriff auf die Teile der Linken zu wagen, die die Möglichkeit militanter Politik auch nur in Betracht ziehen.
In der äußerst sportlichen Herleitung der Beschuldigteneigenschaft liegt zugleich eine neue Qualität von §129a-Ermittlungen. Ein Anwalt eines Beschuldigten brachte die Sache auf den Punkt: »Dieses Ermittlungsverfahren wegen §129a ist ein offener Angriff auf legale Strukturen. Mit der vorliegenden Konstruktion der Durchsuchungsbeschlüsse könnte eine Vielzahl der im Norddeutschen Raum aktiven Antifaschisten und Kapitalismusgegner ins Visier der Bundesanwaltschaft geraten. Eine beliebige Vielzahl von Hausdurchsuchungen kann angeschlossen werden. Denn was macht eine politische Szene aus?: Praktisch kennt jeder jeden und alle sind politisch ähnlich aktiv.« Mit mehr Berechtigung denn je muss man wohl sagen: Gemeint sind wir alle!
Nahziele
Abgesehen von den neuen Gefahren, die in diesen Ermittlungen stecken, ist aber auch die zeitliche Einordnung der Durchsuchungsmaßnahmen an sich interessant. Bereits Mitte 2006 wurde sichtbar, dass sich die staatlichen Behörden intensiv für die Vorbereitungen gegen den im Juni 2007 stattfindenden G8-Gipfel interessieren.
Damals wurde bekannt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Berliner Verfassungsschutz und auch die Polizeibehörden zusammen gleich fünf Spitzel auf das Berliner Sozialforum ansetzten. So war es nicht besonders überraschend, dass die Durchsuchungen im Zusammenhang mit der »Militanten Kampagne« kurz vor dem G8-Gipfel stattfanden, begleitet mit einer Pressekampagne der Ermittlungsbehörden, dass es um die Verfolgung von Anti-G8-Terroristen gehe. Dasselbe Diskreditierungskonzept versuchten die italienischen Behörden vor dem G8-Gipfel in Genua im Jahre 2001. Doch im Gegensatz zu Italien führten die Durchsuchungen zu einer Solidarisierung innerhalb des gesamten Protestspektrums. Die »Ak Origami«-Durchsuchungen kurz nach den Protesten dürften dagegen der Einschüchterung der (für die Sicherheitsbehörden überraschend) starken militanten Protestbewegung gedient haben.
Fernziele
Doch auch abgesehen von den unmittelbaren Zielen der Ermittlungsverfahren, sollen diese auch dazu beitragen, den sicherheitspolitischen Rollback zu verstärken. In den Tagen nach den Durchsuchungen wurde in Berlin durch Innensenator Erhart Körting die These vertreten, die »Terrorgefahr« – was immer darunter zu verstehen ist – sei gestiegen. Auf Bundesebene übernahm das Innenminister Wolfgang Schäuble. Und mit eben dieser Begründung versucht er zeitgleich, das Gesetz zur heimlichen Online-Durchsuchung durchzubringen. Alles begründet mit der »Terrorgefahr«, selbstverständlich durch empirische Daten untermauert wird – nämlich durch solche Ermittlungsverfahren. Doch auch das klassische Fernziel der §129a-Ermittlungen darf nicht vergessen werden: Die umfassende Durchleuchtung linker Strukturen, denn bei diesen Ermittlungen ist alles erlaubt, was die Strafverfolgung zu bieten hat. Telefon- und E-Mail-Überwachung, Observation mit und ohne Peilsender, Lauschangriffe etc.
Davon abgesehen haben solche Verfahren und die damit erzeugte »Terrorgefahr« auch den Effekt, dass die politischen Strafverfolgungsbehörden, deren Tätigkeitsfeld nach 1990 erheblich eingebrochen ist, sich im Sinne einer self-fulfilling prophecy selbst ihre »Daseinsberechtigung« erhalten.