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Spitzel im NSU-Umfeld

Einleitung

Die Reihe von öffentlich gewordenen Verstrickungen zwischen Neonazis und deutschen Sicherheitsbehörden in der NSU-Affäre reißt nicht ab: Nun wurde bekannt, dass Thomas Starke, einer der 13 Beschuldigten im Verfahren gegen den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU), über zehn Jahre für das Berliner Landeskriminalamt (LKA) als Informant tätig war. 

Gruppenbild von Blood & Honour: Thomas Starke [1] (Informant des LKA Berlin) belastete Jan Werner [2] aus Chemnitz als Kontaktperson zum NSU. Jahre vorher verriet er die Neonaziband »Landser« und damit auch das Bandmitglied Christian Wenndorff [3].

Die brisanten Details hielt das Berliner LKA sehr lange vor den NSU Untersuchungsausschüssen, der Bundesanwaltschaft und dem Bundeskriminalamt (BKA) zu­rück. Der Neonazi Thomas Richter aus dem NSU-UnterstützerInnen-Umfeld war als »Corelli« Informant des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Auch der spätere NSU-Terrorist Uwe Mund­los selbst sollte offenbar wäh­rend seines Wehrdienstes als Informant des MAD angeworben werden.

Der Fall Thomas Starke

Bereits in der letzten Ausgabe des AIB haben wir die Rolle von Thomas Starke im NSU-UnterstützerInnen-Umfeld beleuchtet.1 Thomas Starke wurde wäh­rend der Suche nach dem NSU-Trio als potentielle Kontaktperson observiert und abgehört. Nicht ohne Grund: Bei einem Konzert der RechtsRock-Band »Oithanasie« hatte er nach eigenen Angaben das Trio kennengelernt, bevor er eine Haftstrafe wegen Körperverletzung absaß. Nach seiner Entlassung war er von Ende 1996 bis April 1997 mit Beate Zschäpe liiert. In dieser Zeit hatte er für das Jenaer Trio rund ein Kilo TNT-Sprengstoff besorgt. 1998 tauchte das Trio in den Untergrund ab, nachdem ihre Bombenwerkstatt in Jena aufgeflogen war. Starke half nach eigenen Angaben seinen KameradInnen bei der Suche nach einem ersten Versteck in Chemnitz. Als ein B&H-Funktionär Thomas Starke einige Jahre später eine Geldspende für die gesuchten Neonazis anbot, wusste er zu berichten, dass die Drei kein Geld mehr bräuchten, da sie nun »jobben« würden. Offenbar eine Umschreibung für das vorhandene Geld aus Bank­über­fällen. Den ErmittlerInnen vom Bundes­kriminalamt gestand er mittlerweile, in den 1990er Jahren Sprengstoff an die Terrorzelle geliefert zu haben. Dies war nicht seine erste Aussage gegenüber der Polizei. Als einer seiner Nachbarn in Chemnitz den gesuchten Uwe Mundlos als Gast von Starke erkannte, räumte er gegenüber der Polizei ein, die Gesuchten zu kennen und von ihnen besucht worden zu sein. Bereits Ende 2000 belastete er die Struktur um die konspirative Berliner RechtsRock Band »Land­ser«2 . Von da an wur­de er bis Anfang 2011 als »Vertrauensperson« (VP) des Berliner LKA geführt. Zwischen 2001 und 2005 lieferte Starke (Kennnummer »VP 562«) bei 38 Treffen mindestens fünf Mal Hinweise zu dem seit 1998 untergetauchten Neo­nazi-Trio des NSU und dessen UnterstützerInnen-Umfeld. So berichtete er im Februar 2002, dass der sächsische Blood & Honour-Neonazi Jan Werner zu »drei Personen aus Thüringen« Kontakt habe, »die per Haftbefehl gesucht werden« und »dass die wegen Waffen- und Sprengstoffdelikten gesucht werden«. Ob diese zutreffende und relevante Information jemals vom Berliner LKA weitergegeben wurde ist bisher fraglich. Das letzte Treffen fand 2009 statt, bevor Starke im Januar 2011 als Quelle abgeschaltet wurde. Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bun­destages erfuhr erst Monate später und nur mittelbar von dem Vorgang. Der Karlsruher Bundesanwaltschaft (BAW) war nach langem Schweigen vom Berliner LKA ein Behördengutachten geschickt worden, in dem abstrakt über Starkes Angaben berichtet worden war. Nach Bekanntwerden dieses Skandals behauptete Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU), er sei zu diesem Stillschweigen von der BAW gedrängt worden, was diese jedoch prompt entschieden zurückwies. Der SPIEGELblog veröffentlichte ein Schrei­ben des Berliner Staatsschutzchefs Oli­ver Stepien vom 3. April 2012 (durch Berlins Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers »in Vertretung« unterzeichnet) an einen Bundesanwalt in Karlsruhe. Hierin befindet sich die deutliche Absage an eine lückenlose Aufklärung: »Gleichwohl darf ich recht­liche Gegebenheiten, die beispielsweise in Beachtung einer Garantenpflicht gegenüber der ehemaligen ›VP‹ wesentliche Aspekte des Quellenschutzes berühren, nicht außer Acht lassen. Vor diesem Hintergrund erscheint mir derzeit eine Offenlegung der angeforderten Akten nicht möglich«. Laut Margarete Koppers hätte es »verschiedene weitere Vertraulichkeitszusagen anderer Behör­den« zu Thomas Starke gegeben. Diese Bemerkung  legt die Vermutung nahe, dass ihn auch andere Sicherheitsbehörden als Quelle führten.

Der Fall Thomas Richter

Auf Thomas Richter als NSU-Kontaktperson zu stoßen war kein Kunststück: Sein Name samt Adresse und mehreren Telefonnummern stand auf einer Adressliste von Uwe Mundlos, die Polizisten 1998 in der Bombenwerkstatt des späteren NSU in Jena sichergestellt hatten. Von 1997 bis 2007 soll Thomas Richter auch als Informant »Corelli« des Bundesverfassungsschut­zes tätig gewesen sein. Er war u.a. ein Herausgeber der Zeitung »Nationaler Beobachter« und betrieb mehrere Neonazi-Internetseiten. Auch im Blood & Honour Milieu mischte Richter mit. Anfang der 1990er Jahre war er laut VS-Erkenntnissen u.a. zusammen mit dem späteren Bundesvorsitzenden der NPD-Jugendorganisation Michael Schä­fer, Mitglied der European White Knights of the Ku Klux Klan (EWK KKK), einem deutschen Ableger des rassistischen Geheimbunds aus den USA.3 Weitere Mitglieder waren auch mindestens zwei Polizeibeamte aus Baden-Württemberg. Diese arbeiteten 2005 bei der Bereitschaftspolizei in Böblingen. Hier arbeitete zeitgleich die Polizistin Michèle Kiesewetter, die 2007 von den NSU-Mitgliedern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Heilbronn erschossen wurde. Einer der Polizisten war sogar schwer­punktmäßig an Einsätzen mit »rechtem Hintergrund« beteiligt.

Thomas Richter unterstützte auch das Neonazi-Fanzine »Der Weiße Wolf«. In dessen Ausgabe Nummer 18 aus dem Jahr 2002 erschien ein Vorwort mit dem fett gedruckten Hinweis: »Vie­len Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter…«. Herausgegeben wurde das Heft zeitweise von David Petereit, Landtagsabgeordneter der NPD in Mecklenburg-Vorpommern. BKA-ErmittlerInnen stellten bei ihm später einen »Unterstützerbrief« des NSU sicher.4

Der Fall Uwe Mundlos

Über mehrere Monate hinweg hatte weder der Bundeswehr Geheimdienst »Militärischer Abschirmdienst« (MAD) noch das verantwortliche Verteidigungs-Ministerium den NSU-Untersuchungsausschuss trotz besseren Wissens über die Existenz einer MAD-Akte von Uwe Mundlos informiert. Auf Anfragen hin war eine Existenz der Akte anfänglich sogar verneint worden. Mundlos hatte in einer Kaserne im thüringischen Bad Frankenhausen 1995 seinen Grundwehrdienst abgeleis­tet. Auch hier war er als Neonazi aufgefallen. Die verspätet gelieferte Akte ist nach Informationen des ARD-Magazins »Fakt« unvollständig. In ihr wird zum Beispiel nicht erwähnt, dass Mundlos Spind auf Wunsch der Polizei durchsucht worden war. Fest stehe, dass die Akte unvollständig sei, resümierte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD). Die Akte soll auch Hinweise auf eine versuchte Anwerbung des jungen Soldaten Uwe Mundlos als Quelle für die Behörden enthalten. So war Mundlos von den Beamten gefragt worden, ob er »sich vorstellen könne, ihm bekannt gewordene Termine für Anschläge auf Asylbewerberheime der Polizei oder den Verfassungsschutzbehörden zu melden«.

Aufklären & Einmischen

Offenbar scheint die Aufklärung der Verstrickungen deutscher Sicherheitsbehörden mit dem tödlichen Rechtsterrorismus des NSU noch immer erst am Anfang zu stehen. Um eine unabhängige Begleitung dieser Aufklä­rungs­bemühungen zu ermöglichen ist die Unterstützung kritischer Recherche, Bewertung und Öffentlichkeitsarbeit wichtig. Die unabhängige Beobachtungsstelle »NSU-watch: Aufklären und Einmischen«! ist hierbei ein Schritt in die richtige Richtung.1