Ein Versuch, die hessische NPD wachzuküssen...
In der hessischen, insbesondere der südhessischen Neonazi-Szene gab es innerhalb der letzten Jahre einige Umstrukturierungen. Der 24jährige Kameradschafts-Aktivist Marcel Wöll avancierte innerhalb kürzester Zeit zur Schlüsselfigur der Szene. Im bundesweiten Vergleich versteht er es, wie kaum ein anderer, erfolgreich die Interessen von »Freien Kameradschaften« und Parteipolitik der NPD zu verbinden.
Marcel Wöll wurde 2006 zum hessischen NPD-Landesvorsitzenden gewählt und löste damit den langjährigen Parteifunktionär Hans Schmidt ab. Dies gelang ihm ohne die sonst übliche parteiinterne Karriere zu durchlaufen. Sich selbst zum erwarteten Kronprinzen stilisierend, möchte er nach eigener Aussage »die NPD in Hessen aus ihrem Dornröschenschlaf« erwecken.
Und in der Tat baute er die hessische NPD in einer bemerkenswerten Geschwindigkeit von einer maroden Altherren-Partei zu einer kampagnenfähigen und jugendlichen Aktionstruppe um. Deren aktionistischer Kern besteht bisweilen aus circa acht NPD-Mitgliedern, welche stets durch Personen aus der Kameradschaftsszene unterstützend begleitet werden. Eine solche Öffnung der NPD hin zu neueren Strömungen innerhalb der extremen Rechten ist ein bundesweit zu beobachtender Trend.
Marcel Wöll scheint dies jedoch in besonderem Maße zu gelingen. Er kann nicht gerade als typischer NPD-Parteifunktionär bezeichnet werden. Seine politische Vergangenheit liegt vielmehr in militanten und extrem rechten subkulturellen Zusammenhängen wie »Blood & Honour« und der Kameradschaftsszene. Hier sind vor allem die »Freien Nationalisten Rhein/Main« sowie die »Nationale Kameradschaft Frankfurt« zu nennen. Wöll weiß um die Bedeutung einer subkulturellen Szene und deren Angebote. In der Vergangenheit trat er selbst als Veranstalter von Rechtsrock-Konzerten auf. Zudem war er maßgeblich an der Gründung des »MSC 28«, eines Neonaziclubs mit Rocker-Attitüde in Anlehnung an »Blood & Honour«, beteiligt.
»Black Block« vs. Alte Funktionäre
Zwar stehen Entwicklungen, die eine Öffnung der NPD hin zu verschiedenen subkulturellen Szenen und »Freien Kameradschaften« bewirken, im Konflikt zu den Vorstellungen alter NPD-Funktionäre, diese müssen sich jedoch meist den Veränderungen fügen, um für potentiellen jugendlichen Nachwuchs attraktiv zu werden. In Hessen folgte daraus, dass Marcel Wöll den neuen Mittelpunkt bildet und alte Kader kaum noch von sich reden machen. Der Generationen konflikt wird auch am aktuellen Streit innerhalb der rechten Szene um »Autonome Nationalisten« sowie den »Black Block« sichtbar: Nach einem von Wöll angemeldeten NPD-Aufmarsch am 7. Juli 2007 in Frankfurt/Main, bei dem es zu Auseinandersetzungen zwischen schwarzgekleideten, teils vermummten Neonazis und der Demonstrationsleitung kam, distanzierte sich die Bundesparteispitze der NPD zunächst energisch von ersteren. Mit »derartig anarchistischen Erscheinungsformen« wolle man nichts zu tun haben.
Jedoch wenige Wochen später wurde diese Aussage relativiert, um mittlerweile ausdrücklich den »Schulterschluß mit allen parteiunabhängigen Nationalisten [...]« zu betonen. Auch wenn Marcel Wöll die Schlüsselfigur in der hessischen Neonazi-Szene zu sein scheint, darf seine Abhängigkeit von Unterstützung aus dem direkten Umfeld nicht unterschätzt werden. Wöll bewohnt mit seiner Familie und mindestens zwei weiteren Neonazis ein Anwesen in Butzbach/Hoch-Weisel. Das Wohnhaus fungiert zugleich als »nationales Zentrum«, in dem Schulungen sowie Partei- und Kameradschaftsabende veranstaltet werden.
Eine Medienoffensive?
Auch die »kritischen Nachrichten der Woche« werden dort produziert. Hierbei handelt es sich um eine Sendung, in der Marcel Wöll »Nachrichten« im Sinne seines antisemitischen und menschenverachtenden Weltbildes präsentiert. Diese fand in der Neonazi-Szene schnell großen Anklang, und sollte durch das Zusenden von Videomaterial gesichert werden. Maßgeblich verantwortlich für die Produktion sind Wölls Mitbewohner und langjähriger Mitstreiter Christian Müller (26), sowie der 18jährige Kevin Schnippkoweit. Letztgenannter ist Schüler aus Butzbach und wurde auffällig schnell in die Szene integriert. In Bezug auf die »kritischen Nachrichten der Woche« wurde das zunächst gesteckte Ziel von einer wöchentlichen Sendung schnell auf zweiwöchige und schließlich komplett unregelmäßig erscheinende Sendungen reduziert. In den letzten zwei Monaten gab es nur eine neue Sendung. Grund dafür ist Schnippkoweits Umzug nach Jena ins »Braune Haus«.
Andere Videoclips werden jedoch weiterhin auf Youtube und einschlägigen Neonazi-Portalen zur Verfügung gestellt. Hierbei handelt es sich meist um kurze selbstdarstellerische und propagandistische Sequenzen, die sich durch ihre geschlossenen Argumentationsmuster von anderen Neonazivideos unterscheiden. Diese Videoclips können gemeinsam mit den »Nachrichten« als eine neue Qualität in der Nutzung des Massenmediums Internet gewertet werden. Zusammen stellen sie einen Hauptbestandteil der von Wöll verkündeten »Medienoffensive« dar. Die hessische NPD versucht also mit immer neuen Aktionsformen, eine Vorbildfunktion für andere Landesverbände einzunehmen. Ein weiteres Beispiel hierfür ist das Projekt der Einrichtung einer »Deutschen Winterhilfe« im Rahmen des Wahlkampfes für die hessische Landtagswahl im Januar 2008. Geworben wird um Sach- und Geldspenden, die dazu benutzt werden sollen »deutsche Obdachlose« zu unterstützen. Diese gehörten »zwar nicht mehr zur BRD-Konsumgesellschaft [...], aber immer noch zu[r] Volksgemeinschaft«, heißt es erklärend. Trotzdessen konnte die hessische NPD bezüglich der Wahl nur auf wenig Unterstützung durch den Bundesvorstand der Partei bauen. Dieser konzentrierte sich vorwiegend auf die Wahl in Niedersachsen, bei der sich größere Stimmgewinne erhofft wurden. Dem hessischen Wahlkampf dagegen schenkte er keine sonderliche Beachtung.
Fazit
Zwar scheinen die Veränderungen, die mit Marcel Wöll durchgeführt wurden und werden, teils erfolgreich zu sein, dennoch mehrt sich auch die Kritik. Innerhalb der rechten Szene steigt die Unzufriedenheit seiner Person gegenüber. In der NPD wird sich über sein rücksichtsloses, arrogantes und intrigantes Verhalten beschwert, unter den »Freien Kameraden« gilt er inzwischen als parteitreuer NPD-Funktionär, der die Attraktivität seines ursprünglich aktivistischen Images eingebüßt hat. Ergänzend kommt hinzu, dass Wöll wegen Volksverhetzung vor kurzem zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährung verurteilt wurde. Auf Listenplatz eins für die Landtagswahl stand demnach auch die eher uncharismatische Doris Zutt (52), und nicht Marcel Wöll. Dennoch war die Wahl ein Knackpunkt um die Zukunft Wölls. Bei Erfolg hätte er sich weiter innerhalb der Partei etablieren können. Nach der Niederlage bleibt abzuwarten, wie die Zukunft des Bündnisses zwischen »Freien Kameradschaften« und NPD – dessen wichtigstes Bindeglied Wöll darstellt – aussehen wird.