»Schau nicht hin, schau nicht her …«
Hitler und seine Künstler – von Idolen, deren Name Hase ist
Bereits im Frühjahr 1933 boten die deutschen Städte ein alltägliches Bild: SA-Leute ziehen randalierend durch die Straßen, wer ein »jüdisches Aussehen« hat, wird angepöbelt, geschlagen, angespuckt. Schaufenster gehen zu Bruch, beschmierte Häuserwände verkünden: »Juda verrecke!« Über tausende von Künstlern werden Auftrittsverbote verhängt. Wer kann, rettet sich ins benachbarte Ausland. Die Liste der Musiker, Texter, Sänger und Schauspieler, die damals – eben noch als Publikumslieblinge umschwärmt, vergöttert und verehrt –, ihre Heimat verlassen mußten, ist lang und liest sich wie ein »Who's who« der deutschen Unterhaltungsbranche.
Sie reicht von Komponisten wie Friedrich Hollaender, Mischa Spoliansky, Rudolf Nelson und Werner Richard Heymann bis zu populären Interpreten wie Fritzi Massary, Gitta Alpár, Camilla Spira, Curt Bois, Willy Rosen, Paul Morgan, Kurt Gerron, Max Pallenberg, Otto Wallburg, Paul O’Montis, Siegfried Arno, Paul Graetz und Fritz Grünbaum. Viele Künstler, die es nur bis Österreich, Frankreich oder die Niederlande geschafft hatten, wurden später von den Nazis gejagt, verhaftet und in den Konzentrationslagern ermordet. Für alle sie fand sich rasch Ersatz.
Zumeist waren es Künstler der zweiten Garnitur, die jetzt ihre Chance witterten und sie wahrnahmen. Als Filmkomponisten waren nun Peter Kreuder, Franz Grothe, Theo Mackeben und Michael Jary im Geschäft. Nicht wenige Künstler trennten sich von ihren jüdischen Ehepartnern, wenn sie, wie im Fall Gustav Fröhlich und Heinz Rühmann, der Karriere im Wege standen. Für die nach Hollywood emigrierte Marlene Dietrich wurde nun Zarah Leander als Ufa-Star aufgebaut, auf den Kinoplakaten standen bald neue Namen: Marika Rökk, Ilse Werner, Rosita Serrano.
Auch für den aus Holland zugewanderten Charme-Import Johannes Heesters gab es ideale Startbedingungen für eine beispiellose Film- und Bühnenkarriere, nachdem seine »nichtarischen « Kollegen, die Tenöre Richard Tauber, Max Hansen, Jan Kiepura und Joseph Schmidt, aus Deutschland vertrieben worden waren.
Die Show, von der es heißt, sie müsse weitergehen, ging weiter. Auch diesmal, als Propagandaminister Goebbels rief und alle, alle kamen. Die Traumfabrik der Filmindustrie produzierte unter den neuen Bedingungen höchst effektiv und lieferte im Sinne ihres Auftraggebers unpolitische Unterhaltung, die eine wichtige, eminent politische Funktion zu erfüllen hatte: den Schlager als Ablenkung, das gefühlige Rührstück als Illusion, die – zumal in Krisenzeiten – die graue Wirklichkeit verschönt oder ganz vergessen macht.
Marika Rökk brachte die Botschaft im August 1944, als Deutschland längst eine Trümmerwüste und der Holocaust in vollem Gange war, mit ihrem Kinoschlager auf den Punkt: »Schau nicht hin, schau nicht her, schau nur geradeaus, und was dann auch kommt – mach dir nichts daraus.« Millionen Deutsche befolgten ihren Rat und gaben sich nur allzu gern einen Spielfilm lang der Illusion hin, es werde trotz Mord, Terror und Verderben doch einmal ein Wunder geschehen. All die Künstler, die seinerzeit von der Leinwand herab solche Gewißheiten vermittelten, waren nach Kriegsende alle wieder da, die Show ging weiter. Und mit ihr all die Karrieren, die im Zeichen des Hakenkreuzes begonnen hatten. All die Komödianten, Schlagersänger und Stimmungskanonen, die an der Fassade des schönen Scheins mitgebaut hatten, hinter der sich die Barbarei umso hemmungsloser hatte austoben können, waren sich keiner Schuld bewußt. Sie hatten ja nur getanzt, gesungen und gespielt.
Sie verstanden sich als unpolitische Frohnaturen, die ihrem Publikum mit ein paar heiteren Stunden über eine schwere Zeit hinweggeholfen haben. Kein Wort des Bedauerns ist je über ihre Lippen gekommen, kein Anflug von schlechtem Gewissen, Reue oder Scham. In ihren Memoiren wird die Erinnerung an eine gute alte Zeit beschworen, wird beschwichtigt und beschönigt, wird unter den Teppich gekehrt, bagatellisiert und sich dumm gestellt. Wer alt genug wurde, um nicht mehr ganz ernst genommen zu werden, läßt im Fernsehen sogar – wie kürzlich Johannes Heesters – verlauten, Hitler sei im Grunde doch ein »guter Kerl« gewesen.
Der holländische Operettenheld gehörte fraglos zu den Nutznießern des NS-Systems, das seinerzeit auf totale, unbekümmerte Unterhaltung setzte, um das Publikum von der mörderischen Wirklichkeit jener Jahre abzulenken. Heesters machte eine steile Karriere unterm Hakenkreuz, auch dann noch, als die Nazis seine Heimat überfielen, sie besetzten und dort in unvorstellbarer Weise wüteten.
Die Karriere im Dritten Reich gab es indes nicht zum Nulltarif. Auch Heesters wurde in die Pflicht genommen. Im Mai 1941 wurden er und das Ensemble des Münchner Gärtnerplatztheaters ins Konzentrationslager Dachau gebeten. Der einstige Leinwandheld hat den KZ-Besuch nicht bestritten, sondern ihn in seinen Lebenserinnerungen als eine Art »Tag der offenen Tür« abgetan – immerhin ist er durch rund 50 Fotos dokumentiert. Wohl aber hat er beteuert, in Dachau nicht vor der SS-Wachmannschaft zu deren Erheiterung aufgetreten zu sein. Dagegen spricht allerdings nicht nur die Widmung, mit der sich der später gehenkte KZ-Kommandant Piorkowski bei den Künstlern für »einen frohen und heiteren Nachmittag im K.L. Dachau« bedankte. Auch gibt es Zeitzeugen wie den späteren Wiener Kulturdezernenten Dr. Viktor Matejka, der 1991 in einem Fernsehinterview zu Protokoll gab, er habe im Mai 1941 als KZHäftling für Heesters und seinen Auftritt vor der SS den Vorhang gezogen. Gegen Veröffentlichungen, die diesen Tatbestand unter die Leute brachte, ist Heesters neuerdings, da alle Zeitzeugen inzwischen verstorben sind, gerichtlich vorgegangen.
Und unterlag: Das Berliner Landgericht wies am 16. Dezember des vergangenen Jahres seine Klage auf Unterlassung und Widerruf ab. Die »Süddeutsche Zeitung« kommentierte: »An dem Urteil ist nichts auszusetzen, weil der Vorwurf keineswegs aus der Luft gegriffen war.«
Dennoch will Heesters den Urteilsspruch nicht akzeptieren. Wie sein Anwalt verlauten ließ, will er nun in Berufung gehen. In der »Berliner Zeitung « heißt es dazu: »Das ist würdelos, was dem Sänger Johannes Heesters von seiner nächsten Umgebung neuerlich zugemutet wird ... Denn natürlich zieht hier nicht der alte, blinde und fast gehörlose Mann vor Gericht, sondern seine Frau oder sonstige Berater. Sie wünschen offenbar ein tadelloses Image als Erbe, selbst wenn Unbeweisbares bewiesen werden soll. In diesem Fall ist das Gegenteil eingetreten von dem, was das Ziel war: Zum 105. Geburtstag erschien der Name Johannes Heesters vor allem im Zusammenhang mit den Begriffen Hitler und KZ. Heesters hatte zuletzt angekündigt, nie mehr über die NS-Zeit zu reden. Aber seine Umgebung will nicht locker lassen.«
Das vorläufige Schlußwort lieferte die »Neue Osnabrücker Zeitung«: »Dieser immerjunge Greis sollte Schal und Chapeau claque nehmen und endlich die Bühne verlassen. Alles hat seine Zeit.«
Weiterführend
• Volker Kühn: »Mit den Wölfen geheult«, Von leichter Muse in schwerer Zeit / Unterhaltung und Kabarett im Dritten Reich, Doppel-CD, Edition »Berliner Musenkinder« bei duo-phon records (Best.-Nr. 07113), ausgezeichnet mit dem Deutschen Hörbuchpreis 2007.
• Volker Kühn: »Der Kompaß pendelt sich ein«, Unterhaltung und Kabarett im Dritten Reich, in: Hans Sarkowicz (Hrsg.): Hitlers Künstler, Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus, Insel Verlag, Frankfurt/Main.