Aufmarsch – Die rechte Gefahr aus Osteuropa
Gregor Mayer Bernhard Odehnal»Es ist der Kern eines autoritären Systems«, sagte der ungarische Schriftsteller Péter Nádas auf »Zeit online« nach dem bereits erwarteten Erdrutsch-Sieg der rechtsnationalen Partei Fidesz. Der Fidesz-Chef und neue Ministerpräsident Viktor Orbán, der das Land bereits von 1998 bis 2002 regierte, kommt im Parlament auf eine komfortable Zweidrittelmehrheit, die ihn sogar von der extrem rechten Partei Jobbik unabhängig macht, die ihrerseits auf 12 Prozent der Stimmen kam. Wer wissen will, wie es zu diesem Wahldesaster kommen konnte, kann dieses Buch zur Hand nehmen. Ein gutes Drittel der Neuerscheinung ist Ungarn gewidmet und der Frage, wie es zu dem aktuellen besorgniserregenden Rechtstrend kommen konnte und welches Personal ihn trägt.
Die weniger ausführlichen Kapitel über Tschechien, die Slowakei, Kroatien, Serbien und Bulgarien, ermöglichen Einblicke in Gesellschaften, in denen sich aufgrund multipler historischer, ökonomischer und politischer Opfermythen der Nährboden für allerlei Formen faschistischer Formierung als überaus fruchtbar erweist. Nationalistische Emotionen wirken dabei als Ventil für allerlei Ängste und Frustrationen, die im Zuge von wirtschaftlicher Krise und Ungewissheit gefährliche Ausprägungen annehmen können. Die wohl am stärksten gefährdete Gruppe in fast allen Gesellschaften (nicht nur) Osteuropas sind die Roma, die in all diesen Ländern zum Teil bedeutende Minderheiten darstellen. An ihnen lassen sich – fußend auf weltweit tradierten antiziganistischen Zuschreibungen – Formen von Ausgrenzung und Verelendung studieren, deren Ergebnisse dann wieder zu weiterer Exklusion, Kriminalisierung und Rassismus bis zum Mord führen können.
Verdienstvoll an dem Buch sind die tiefen, doch flott lesbaren Kapitel über die historischen Wurzeln der nationalen Mythen der behandelten Länder. Überhaupt ist die gute Lesbarkeit des 300-Seiten-Werkes wohl der handwerklichen Versiertheit der beiden Autoren zu verdanken, die für namhafte Blätter schreiben. Einige sachliche Fehler schränken das Vertrauen in die Autoren etwas ein, was angesichts der Qualität des ganzen Buches bedauerlich ist: dass man die 1995 verbotene »Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei« nicht FDA sondern FAP abkürzt, mag zu vernachlässigen sein, die »Republikaner« jedoch 1989 in den Bundestag (und nicht, wie tatsächlich, in das Berliner Abgeordnetenhaus) einziehen zu lassen, ist als Lapsus nicht mehr akzeptabel. Die beiden Osteuropa-Experten scheinen auf dem deutschen Auge etwas blind zu sein, was insofern schade ist, als sie mehrfach andeuten, dass es zwischen organisierten deutschen Neonazis und ihren osteuropäischen faschistischen Gesinnungsgenossen Kontakte und Austausch gibt, der sich etwa im Auftauchen moderner Gruppierungen von »Autonomen Nationalisten« in Osteuropa dokumentiert.
»Seit Jahren hat Westeuropa nicht mehr richtig hingeschaut. Man hat sich nicht interessiert für den armen und langweiligen Osten. Jetzt gibt es die Versuchung, sich gleich wieder irritiert abzuwenden«, beklagt Péter Nádas in der »Zeit«. Ein Buch wie »Aufmarsch« sollte uns an diesem Abwenden hindern. (Friedrich Burschel)
Gregor Mayer, Bernhard Odehnal:
Aufmarsch – Die rechte Gefahr aus Osteuropa
Residenz Verlag
304 Seiten
21,90 EUR