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Mittelosteuropa rückt nach rechts

Carsten Hübner
Einleitung

Parteien und Bewegungen des rechten Lagers haben in Mittelosteuropa in den vergangenen Jahren zunehmend an Einfluss gewonnen. Ihre nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Parolen spiegeln sich längst im politischen Mainstream wieder. Nun greifen sie nach der Macht.

Die ungarischen Parlamentswahlen im April 2010 haben international für Aufsehen gesorgt. Nach einem vor allem mit erzreaktionären, antikommunistischen und chauvinistischen Parolen geführten Wahlkampf konnte der nationalkonservative »Ungarische Bürgerbund« (Fidesz) von Victor Orbán mit 52,73 Prozent die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen und die sozialdemokratisch geführte Regierung ablösen. Aufgrund von Besonderheiten des ungarischen Wahlrechts reichte das Ergebnis für 262 der insgesamt 386 Abgeordnetenmandate und damit zu einer verfassungsändernden Zweidrittel-Mehrheit. Eine wenig später an alle staatlichen Stellen versandte »Erklärung über die Nationale Kooperation« lässt das Demokratieverständnis des Fidesz erahnen. Dort ist unter anderem von einer »Revolution in der Wahlkabine« die Rede: »Die Ungarn haben mit dem Umsturz des alten Systems und mit der Gründung eines neuen Systems einen Sieg errungen.« Der 25 Zeilen lange Text, in dem auffallend oft die Wörter Kampf, Sieg und Volkswille vorkommen, ist auf einer Art Urkunde gedruckt, die samt Passepartout in einem 50 mal 70 Zentimeter großen Rahmen zur Schau gestellt wird. Sie muss laut Beschluss der Orbán-Regierung in allen öffentlichen Gebäuden wie Ministerien oder Schulen an einem würdigen Platz ausgestellt werden.

Ebenfalls in den ersten Regierungswochen wurde der 4. Juni zum »Tag der nationalen Einheit« erklärt, an dem »alle Landsleute in der Region an die größte Tragödie Ungarns im 20. Jahrhundert« erinnert werden sollen. Er markiert den Tag, an dem 1920 die ungarische Delegation ihre Unterschrift unter den »Diktatfrieden von Trianon«, so die heutige offizielle Sprachregelung beim Fidesz, gesetzt hat. Als Teil der kriegsverursachenden Mittelmächte des 1. Weltkriegs, Deutschland und Österreich-Ungarn, musste Ungarn nach der Kapitulation 1918 rund Zweidrittel seines bisherigen Territoriums abtreten. Aus Sicht des Fidesz resultieren daraus bis heute Gebietsansprüche an die Nachbarländer. Der im Ausland lebenden ungarischen Minderheit hat die neue Regierung deshalb als ersten Schritt die ungarische Staatsbürgerschaft angeboten.

Insbesondere in der Slowakei, wo die ultranationalistische »Slowakische Nationalpartei« (SNS) bis zu den Wahlen im Juni dieses Jahres in eine Koalition unter Führung der sozialdemokratischen Partei SMER eingebunden war, hat diese Maßnahme für Empörung und wiederum nationalistische Aufwallungen gesorgt. Wer das Angebot annehme, so die offizielle Reaktion, verliere die slowakische Staatsbürgerschaft und könne nicht mehr im Staatsdienst arbeiten.

Starkes rechtes Lager auch in Bulgarien und Polen

Ungarn ist nicht das einzige mittelosteuropäische Land mit einer Rechtsregierung. Seit den Parlamentswahlen in Bulgarien im Juli 2009, aus denen die rechtspopulistische Partei »Bürger für ein europäisches Bulgarien« (GERB) mit 39,7 Prozent als Sieger hervorging,  wird die daraufhin konstituierte Minderheitsregierung unter Führung von Premierminister Bojko Borissow von der offen rassistischen und antisemitischen Partei »Ataka« geduldet. Der Journalist und Bulgarien-Kenner Michael Müller nannte Borissow, ein ehemaliger Karate-Kämpfer, Personenschützer, hoher Offizier im bulgarischen Innenministerium und zuletzt Bürgermeister der Hauptstadt Sofia, unlängst in der Tageszeitung »Neues Deutschland« einen »skandalös-muskulösen Mix aus Italiens Berlusconi und dem kalifornischen Gouverneur Schwarzenegger«. Insbesondere der von ihm proklamierte Kampf gegen Kriminalität und Korruption sorgt bei der linken und liberalen Opposition wie bei Bürgerrechtlern für Verunsicherung. Sie sei, so zeigt sich etwa der Europaabgeordnete Kristian Vigenin überzeugt, nur ein Vorwand, um sich unliebsame politische Konkurrenz vom Hals zu schaffen. Gegenüber der bulgarischen Nachrichtenagentur Focus sagte er, besonders in der Art, wie gegen das Verbrechen vorgegangen werde, sei zumindest ein zweites, »sehr offensichtliches Ziel« zu erkennen – »zu verängstigen und die Opposition zu blockieren«.

Traditionell stark verankert ist das rechte Lager zudem in Polen. Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 20. Juni dieses Jahres unterlag der Kandidat der nationalkonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), Jaroslaw Kaczynski, mit 47 Prozent der Stimmen nur knapp in der Stichwahl seinem christdemokratischen Konkurrenten Bronislaw Komorowski. Mit 166 Parlamentssitzen (32 %) ist die PiS derzeit die mit Abstand stärkste Oppositionspartei des Landes.

Rechter Mainstream

Die Schnittmengen zwischen dem etablierten rechten Lager Mittelosteuropas und den Formationen der extremen Rechten sind vielfältig. Antiziganismus, Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und ein virulenter Antikommunismus sind tragende Säulen ihrer Programmatik und Ideologie, allerdings mit unterschiedlichem Gewicht und in unterschiedlich deutlicher Diktion. Gleichzeitig bilden sie weit verbreitete gesellschaftliche Vorurteile und Ressentiments ab.

Regelmäßig versammelt sich zu nationalen Gedenktagen, bei Protesten gegen Paraden von Schwulen und Lesben oder auf revisionistischen Veranstaltungen ein dementsprechend breites Spektrum, das von nationalkonservativ bis neonazistisch reicht. Berührungsängste sind hier weitaus geringer ausgeprägt als es, zumindest in der Öffentlichkeit, in den meisten westeuropäischen Ländern üblich ist. Damit einher geht eine vergleichsweise hohe Akzeptanz in Teilen der Bevölkerung selbst für militante Aktionen der neonazistischen Szene, etwa im Jahre 2008 gegen Roma in der nordtschechischen Stadt Litvinov oder bei Aufmärschen der paramilitärischen »Ungarischen Garde«.

Gleichwohl ist es den Parteien der extremen Rechten in Mittelosteuropa bisher nicht gelungen, eine spürbar größere Klientel zu erreichen als ihre westeuropäischen Kameraden, zum Beispiel in Österreich (FPÖ: 17,5 %, BZÖ: 10,7 %), Italien (Lega Nord: 8,3 %), den Niederlanden (PVV: 15,5 %), Dänemark (DF: 13,9 %) oder Belgien (VB: 7,8 %). In Tschechien oder Polen etwa spielt die parteiförmige extreme Rechte bei Wahlen gar keine Rolle. In der Slowakei (SNS: 5,1 %), Bulgarien (Ataka: 9,4 %), Rumänien (PRM: 5,6 %) oder Slowenien (SNS: 5,4 %) liegen die Ergebnisse etwa im europäischen Mittel. Auch offen neonazistische Parteien und Gruppierungen wie der »Bulgarische Nationalbund« (BNS), der sogenannte »Nationale Widerstand« in Tschechien oder die polnische NOP haben, von ihren zum Teil erheblichen Gewalttaten gegenüber dem politischen Gegner und Minderheiten einmal abgesehen, gesamtgesellschaftlich gesehen nur marginale Bedeutung.


Einzige Ausnahme in diesem Spektrum ist derzeit die ungarische Partei »Jobbik«, die trotz ihres unverhohlenen Antisemitismus und ihrer roma-feindlichen Miliz »Ungarische Garde« bei den Parlamentswahlen im April dieses Jahres mit 16,7 Prozent zur drittstärksten Partei des Landes wurde. Für das extrem rechte und neonazistische Lager in Europa proklamiert sie dementsprechend eine Art Vorreiterrolle, was nicht zuletzt in verstärkten Bündnisbestrebungen zum Ausdruck kommt.

Zum Autor:
Carsten Hübner lebt und arbeitet als Journalist in Berlin. Er betreibt das Watchblog www.eurorex.info, das sich mit der extremen Rechten in Europa und ihren Netzwerken befass
t.